Lorenz Caffier: „Das Europäische Recht muß wieder gelten“

Persönlicher Brief an Bundesinnenminister de Maiziere


Der Sprecher der Innenminister und –senatoren der Union der Länder Lorenz Caffier wandte sich heute auch im Namen seiner Kollegen aus Bayern, Berlin, Hessen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt in einem persönlichen Brief zur Situation der Flüchtlingsaufnahme in Deutschland an den Bundesminister des Inneren, Dr. de Maizière.

Darin schreibt Lorenz Caffier: „…die Innenminister und -senatoren der Union begrüßen die Ergebnisse der Besprechung von Bund und Ländern bei der Bundeskanzlerin am 24. September 2015. Entscheidend ist nach ihrer festen Überzeugung nun jedoch die zügige Umsetzung der Beschlüsse, insbesondere im Bereich der sicheren Herkunftsstaaten.
Gleiches gilt für den Entschluss zur Schaffung von preiswertem Wohnraum für Menschen mit Bleibeperspektive. Ziel muss es sein, einerseits eine deutliche Entlastung der kommunalen Ebene zu bewirken. Gleichzeitig wird hierdurch ein wesentlicher Schritt in Richtung Integration veranlasst, der allerdings durch viele weitere Faktoren, wie Integrationskurse und Kinderbetreuung, sowie Bemühungen zur Vermittlung von Arbeit zu begleiten ist.

Positiv haben die Innenminister und -senatoren der Union darüber hinaus die Entscheidung auf europäischer Ebene zur Kenntnis genommen, Flüchtlinge in Europa erstmals einer Verteilung zuzuführen. Es ist ohne Zweifel, dass diesem Ergebnis bereits langwierige und harte Verhandlungen vorausgingen, die gerade von deutscher Seite ein erhebliches Engagement verlangten.

Die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen kann unserer Ansicht aber nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Verteilung auf alle Mitgliedsstaaten nach festen Quoten sein. Dies ist unabdingbar, um eine dauerhafte Entlastung Deutschlands zu erreichen, zumal allein im September circa 200.000 Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind.

Im Angesicht der weiterhin anhaltenden Flüchtlingsströme kann dieses Ergebnis auch nicht die Tatsache überdecken, dass die Mehrzahl der Mitgliedstaaten nach wie vor Ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der Dublin-Verordnung nicht nachkommt. Diese Verstöße führen dazu, dass in Deutschland täglich Tausende von Flüchtlingen ankommen, die – obwohl über einen Mitgliedstaat eingereist – nicht bereits dort registriert wurden. Damit werden Rücküberstellungen nach der Dublin-Verordnung erheblich erschwert.
Die Innenminister und -senatoren der Union stellen fest, dass weniger als zwei Prozent der Asylbewerber einen Aufenthaltstitel nach deutschem Recht erhalten. Die weitere Schutzgewährung basiert auf europäischem Recht oder internationalen Verpflichtungen.

Es ist daher aus Sicht der Innenminister und -senatoren zwingend durchzusetzen, dass sich die Mitgliedstaaten der europäischen Union ebenfalls an die Verpflichtungen der europäischen Asyl-Rechtsetzung halten.

Sollte sich die derzeitige Verfahrensweise nicht sehr kurzfristig ändern, muss auch Deutschland in der Zukunft davon abweichen und Artikel 16a Grundgesetz anwenden. Danach könnten die Asylsuchenden bereits deshalb an allen deutschen Grenzen abgewiesen werden, weil sie aus Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften oder sicheren Drittstaaten einreisen, in denen die Anwendung des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge und die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.

Um die Forderung an alle Mitgliedstaaten, die Dublin-Verordnung einzuhalten, zu unterstreichen, muss auch Deutschland künftig wieder konsequent Rücküberstellungen (Dublin-Verfahren) in andere Mitgliedstaaten durchführen, und zwar auch von Asylbewerbern aus Syrien. Spätestens mit Abschluss der Einrichtung von Hotspots bis Ende November 2015 sollten im Übrigen auch die Bedingungen für ein geordnetes Asylverfahren in Griechenland und Italien wieder gegeben sein und somit auch in Bezug auf diese Länder keine Rücküberstellungshindernisse mehr vorliegen.

Die eingeführten temporären Grenzkontrollen sind ein wichtiges Instrument zur Steuerung des Asylverfahrens und ermöglichen ein geordnetes Verfahren bei der Einreise. Das ist auch aus Sicherheitsgründen erforderlich. Bereits innerhalb der nächsten Wochen ist jedoch aus unserer Sicht damit zu rechnen, dass die Anzahl der neu hinzukommenden Flüchtlinge steigt und sodann nicht mehr in geordneten Verfahren zu bewältigen ist.

Daher fordern wir nachdrücklich, schnellstmöglich die Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes in nationales Recht umzusetzen.

Es müssen in Umsetzung von Artikel 43 der Richtlinie sogenannte beschleunigte Verfahren ermöglicht werden, die Prüfungen von Anträgen auf internationalen Schutz direkt an der Grenze bzw. in grenznahen Gebieten erlauben.

Sowohl bei der Umsetzung der Richtlinie, als auch bei dem Verfahren nach Art. 16a Grundgesetz müssen wir tatsächlich, insbesondere vom Kräfteansatz sowie räumlichen Gegebenheiten her betrachtet, in der Lage sein, das jeweilige Verfahren erfolgreich zu vollziehen.

Auch sollte die „Vorverlagerung von Grenzkontrollen“ durch die Bundespolizei, z. B. nach Kroatien und Slowenien, im konstruktiven Dialog mit beiden Staaten weiter ernsthaft geprüft werden.“

Und weiter: „… Wir sehen mit großer Sorge, dass die personellen Kapazitäten sowohl seitens der Behörden als auch seitens der Hilfsorganisationen und die nicht hoch genug zu schätzende Hilfsbereitschaft der Bevölkerung angesichts der täglich steigenden Zahlen an ankommenden Flüchtlingen und der derzeit fehlenden Aussicht auf eine Veränderung zunehmend ermüden. Die Möglichkeiten zur Bereitstellung geeigneter Unterkünfte in den erforderlichen Größenordnungen sind nahezu ausgeschöpft. Unabhängig vom weiteren täglichen Zustrom stellen uns Herbst und Winter hinsichtlich der Unterbringung und Versorgung der bereits vorhanden Flüchtlinge vor weitere große Herausforderungen. Die Krise hält nun schon seit Monaten an, hat jedoch seit Anfang September nicht absehbare Ausmaße angenommen.

Auf internationaler Ebene wird sowohl die Hilfe für die Herkunftsländer als auch für die Hauptaufnahmeländer erheblich ausgebaut. Der hierzu ergangene Beschluss der Bundeskanzlerin und der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 24.09.2015 wird insoweit ausdrücklich begrüßt.

Diese Herausforderung müssen und wollen wir bewältigen.

Angesichts der nunmehr jedoch zeitnah erschöpften Ressourcen schaffen wir das aber nur, wenn kurzfristige Maßnahmen von deutscher Seite zu einer sofort spürbaren und deutlichen Abschwächung des Zustroms bis zum Jahresende führen und auf europäischer Ebene schnellstmöglich solidarische Lösungen zur Flüchtlingsverteilung gefunden werden. …“

Pressemitteilung / Ministerium für Inneres und Sport M-V