Sozialministerin Schwesig über die Bedeutung der „neuen Ostpolitik“

Vor 40 Jahren setzte die Bundesregierung von Willy Brandt und Walter Scheel die neue Politik-Strategie durch …

Ein Jubiläum in diesem Jahr sollte nicht vergessen werden: 40 Jahre „neue Ostpolitik“ der damaligen SPD/FDP-Bundesregierung gegenüber den Staaten des früheren Ostblocks. Mit der Strategie „Wandel durch Annäherung“ versuchte die sozialliberale Koalition von Willy Brandt und Walter Scheel, die kommunistischen Diktaturen in Mittel- und Osteuropa auf friedlichem Weg zu überwinden.

Ein größtmögliche Kooperation und Zusammenarbeit auf allen Gebieten, ob im Sport, in der Kultur, in der Wirtschaft, in der Politik oder im menschlichen Miteinander, sollte die Staaten des real existierenden Sozialismus in einen direkten Wettbewerb mit den westlichen Demokratien zwingen. Mit Selbstbewußtsein und der Gewissheit, dass dieser Kampf zugunsten der demokratischen Staatengemeinschaft ausgeht, verfolgten Brandt/Scheel diese neue Strategie.

Hatte die SPD, die CDU und die FDP mit ihren „Ostbüros“, ihren gesamtdeutschen Widerstandsbewegungen, versucht, die kommunistische Staatenwelt konfrontativ zu attackieren, war die politische Konzeption der SPD/FDP-Koalition ab 1970 darauf ausgerichtet, auch die direkten Gespräche mit den Machthabern zwischen Ostberlin und Moskau zu suchen.

Dass dabei vielfältige Kontakte zu den Oppositionsgruppen in der DDR, CSSR, in Polen oder in der Sowjetunion vernachlässigt wurden, ist einer der Kritikpunkte an der Ostpolitik von Brandt/Scheel, die später modifiziert auch die Regierungen Schmidt/Genscher sowie Kohl/Genscher fortsetzten und die von Bundeskanzler Helmut Kohl 1989/90 erfolgreich – mit dem Überwinden der deutschen und europäischen Teilung – zu Ende geführt wurde.

Dass dabei die Überwindung der deutschen Einheit stets auch das Haupt-Ziel der sozialliberalen Koalition blieb, zeigt der „Brief zu deutschen Einheit“, der u.a. den Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der Bundesrepublik 1972 ergänzte. Darin wurde festgehalten, dass der Vertrag „nicht im Widerspruch zu dem Ziel der Bundesrepublik steht, auf einen Frieden in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“.

Dennoch: Die viel zu geringe Kontakte im Prozess der „neuen Ostpolitik“ bleiben ein Makel und so stellte Willy Brandt 1989/90 auch selbstkritisch fest: „Wo immer schweres Leid über die Menschen gebracht wird, geht es uns alle an. Vergessen wir nie: Wer Unrecht lange gewähren läßt, bahnt dem Nächsten den Weg!“.
Aber: Das Ziel der „neuen Ostpolitik“ wurde Realität – trotz aller Widrigkeiten, trotz aller Opfer, die erbracht werden mußten. Deutschland und Europa sind wieder vereint.

Manuela Schwesig, Sozialministerin des Landes M-V und stellvertretende SPD-Vorsitzende, über 40 Jahre „neue Ostpolitik“, die Zusammenarbeit von SPD sowie Linkspartei und ihre politische Motivation

„In der DDR hätte ich die Chance mitzugestalten, so nicht gehabt …“

Frage: Frau Sozialministerin, 40 Jahre „neue Ostpolitik“: Was verbinden Sie mit dieser neuen politischen Strategie der Regierung Brandt/Scheel? Wie beurteilen Sie als junge Politikerin die Wirkung dieser Politik-Konzeption?

Sozialministerin Schwesig: Zunächst einmal möchte ich daran erinnern, dass ich zu dieser Zeit ja noch gar nicht geboren war … Aber was die Wirkung der Ostpolitik angeht, ist meine Antwort ganz einfach: Ich profitiere heute davon, dass am Ende des Wandels durch Annäherung die Vereinigung der beiden Teile Deutschlands stand.

Ich bin ja in einem Alter, in dem ich bereits den größeren Teil meines Lebens in diesem vereinten Land gelebt habe. Für mich war die Ostpolitik von Willy Brandt und Walter Scheel immer ein Vorbild für die Kraft der Verständigung und des Dialogs.

Im Rückblick ist doch das besondere daran, dass da ein Bundeskanzler mit der Politik der Stärke gebrochen hat. Er hat auf die Überzeugungskraft einer freien und demokratischen Gesellschaft gesetzt und nicht auf Panzer und Raketen. Das ist etwas, das bleibt.

Frage: Die „neue Ostpolitik“ war auf subtile Weise antikommunistisch konzipiert. Der damalige SED-Außenminister Otto Winzer sprach von einer „Aggression auf Filzlatschen“. Sehen sie die „neue Ostpolitik“ der Regierung Willy Brandt/Walter Scheel ausreichend gewürdigt?

Sozialministerin Schwesig: Selbstverständlich hofften Willy Brandt und Egon Bahr, die Architekten der Entspannungspolitik, irgendwann in ferner Zukunft die Diktatur der SED zu überwinden. Ihr langfristiger Verdienst für die Einheit kommt für meinen Geschmack manchmal zu kurz. Die friedliche Revolution ging 1989 von den Bürgerinnen und Bürgern der DDR aus.

Helmut Kohls Regierung hat die Gelegenheit ergriffen. Willy Brandt hat diese Gelegenheit geschaffen. Er hat außerdem den Eisernen Vorhang etwas gelüftet. Was dahinter war, konnten die Menschen in den so genannten sozialistischen Staaten seitdem besser sehen. Das hat es für die SED nicht einfacher gemacht.

Er hat Westdeutschland zu einem Volk der guten Nachbarn gemacht, wie er es in seiner ersten Regierungserklärung versprochen hatte. Diese Nachbarn haben 1990 die Vereinigung zugelassen. Sie haben das vereinte, größere Deutschland nicht gefürchtet.

Frage: Die SPD war stets eine Partei, in der Antifaschismus und Antikommunismus wesentliche Politik-Bestandteile waren. Die vielen Opfer der diktatorischen Vereinigung von KPD und SPD 1946 ff. auch in Mecklenburg-Vorpommern sind bekannt. Müsste die SPD ihre große Nähe zur Linkspartei nicht überdenken? Auch Willy Brandt sprach ja stets davon, dass „sich Antifaschismus und Antikommunismus nicht aus-, sondern einschließen …“.

Sozialministerin Schwesig: Eine große Nähe der SPD zur Linkspartei sehe ich nicht. Für mich ist grundsätzlich klar, dass die Linkspartei nur dann als Partner infrage kommt, wenn sie sich glaubwürdig von der SED-Vergangenheit distanziert und die Spielregeln der Demokratie anerkennt. Hier in Mecklenburg-Vorpommern erfüllt die Linke weitgehend diese Voraussetzungen. Ob und wie eine Zusammenarbeit möglich ist, wird sich aber erst nach den Wahlen im September 2011 entscheiden.

Frage: Sie sind ja letztendlich auch Nutznießerin der „neuen Ostpolitik“. Was ist für Sie persönlich das eindeutig Positive der deutsch-deutschen Einheit?

Sozialministerin Schwesig: Mir macht es große Freude, da anzupacken, wo es im Zusammenleben von Menschen klemmt. Deshalb bin ich ja in die Politik gegangen und mache diese Aufgabe sehr gern. In der DDR hätte ich diese Chance, mitzugestalten, so nicht gehabt.

Dann weiterhin bestmögliche Erfolge in der Landespolitik, in der SPD und in der Familie!

Die Fragen stellte Marko Michels.