Buchpräsentation „Der Betrieb…kann mit Häftlingen durchgeführt werden“ in HTM Peenemünde

Präsentation des Buches „Der Betrieb…kann mit Häftlingen durchgeführt werden“ – Zwangsarbeit für die Kriegsrakete. Peenemünder Hefte 3, Schriftenreihe der HTM Peenemünde GmbH; Termin: Montag, 11. Januar 2010, 13.00 Uhr

Es ist kein Zufall, dass nach einem Leitfaden zur Ausstellung sowie einer Einführung in die Geschichte des historischen Ortes Peenemünde sich nun in der Reihe der „Peenemünder Hefte“ die Thematik dem dunkelsten Kapitel zuwendet: Der Zwangsarbeit von Menschen vieler Länder Europas in den unterschiedlichsten Formen ihrer Ausbeutung bei der Entwicklung und Produktion des Aggregates 4, im goebbelschen Jargon später Vergeltungswaffe 2 (V 2) genannt. Zwar waren die in Peenemünde entwickelten Waffensysteme im Bereich des Heeres wie der Luftwaffe unter rein militärischem Aspekt weitgehend bedeutungslos, aber sowohl durch die Umstände ihrer Produktion wie durch ihren Einsatz wurden sie als Terrorwaffen zum Ursprung unsäglichen Leids. Als Propagandawaffen bzw. „Wunderwaffen“ bildeten sie zudem ein Sinnbild für die Verbreitung einer verbrecherischen Weltsicht, die entscheidenden Anteil daran hatte, die deutsche Nation an den Rand ihres Unterganges zu führen.

Untrennbar bleibt die neu zu entwickelnde Technologie der Flüssigkeitsgroßrakete wie der Raketentechnik im Bereich der Luftwaffe mit der spätestens seit 1929 erfolgten militärischen Ausrichtung der Nutzung verknüpft. „Ein erheblicher wehrtechnischer Vorsprung kann eine entschlossene Staatsführung dazu bringen, einen an sich unvermeidlichen Kampf frühzeitig unter wehrtechnisch möglichst günstigen Bedingungen zu beginnen, statt zu warten, bis der Gegner den Vorsprung eingeholt hat“, so hatte bereits 1934 der spätere Chef des Heereswaffenamtes und stete Förderer der Raketentechnik Karl Becker das Ziel der Produktion einer Kriegsrakete umrissen.

Da Becker zugleich als Dekan der „Wehrtechnischen Fakultät“ der TH Berlin und Präsident des 1937 gebildeten Reichsforschungsrates tätig war, musste die Frage nach der zielgerichteten Einbindung und Verstrickung von Wissenschaft und Technik in die Kriegsvorbereitung mit aufgegriffen werden, wenn die Ausbeutung von Zwangsarbeitern bei der Produktion eines solchen Hochtechnologieproduktes, wie es eine gesteuerte Flüssigkeitsgroßrakete darstellt, betrachtet werden soll.

In drei Beiträgen wenden sich die Autoren dieses Heftes damit verbundenen Fragestellungen zu.
Dr. Hans Knopp gibt im einleitenden Beitrag einen Überblick über eine Reihe publizierter Forschungsergebnisse zu Fragen der Kriegsvorbereitungen, ihrer Grundsätze und Ziele sowie darin eingebunden der Nutzung der Zwangsarbeit zur letztlichen Erreichung gesteckter imperialer Ziele. Dabei versucht er, diesen Komplex in den Gesamtrahmen der Kriegsvorbereitungen auf allen Gebieten, darunter eben auch von Wissenschaft und Forschung, einzubinden.
So erscheint die für Peenemünde mit dem ersten Einsatz tschechischer Vertragsarbeiter 1939 beginnende und durch die Ausbeutung der durch das Internationale Militärtribunal 1945 als „Sklavenarbeiter“ charakterisierten Häftlinge aus den Konzentrationslagern als Bestandteil einer terroristischen, chauvinistischen, unmenschlichen Politik.
Die Einrichtungen des Heereswaffenamtes wie die Erprobungsstelle der Luftwaffe in Peenemünde waren von Beginn an Teil und Ergebnis jener den Krieg um Weltherrschaft vorbereitenden und durchsetzenden Bestrebungen. Dabei wird deutlich, dass sowohl Forschung und Entwicklung wie auch Produktion ein reichsweites Netz erforderten, die Einbindungen sehr vielfältig waren und bis in die Spitzen großer Konzerne, wie z.B. der IG Farben reichten.

Ing.-oec. Manfred Kanetzi hat sich in jahrelanger Tätigkeit ein profundes Detailwissen um die soziale Lage und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern in Peenemünde erarbeitet: Seine sehr detailreiche Studie liefert wesentliche neue Erkenntnisse über jene Form der Ausbeutung, die in den Erinnerungen vieler Zeitzeugen, darunter an erster Stelle der Memoirenliteratur von in Peenemünde tätig gewesenen Ingenieuren und Wissenschaftler häufig genug verdrängt oder beschönigt dargestellt wird.
Mit zahlreichen Dokumenten und persönlichen Erinnerungsstücken überlebender Zwangsarbeiter illustriert, entsteht hier ein Bild, das die im ersten Beitrag gelieferten theoretischen Grundlagen am konkreten Beispiel ihrer Umsetzung in Peenemünde nachhaltig unterstreicht. Und es entsteht eine facettenreiche Darstellung, die wesentlich dazu beiträgt, den „Mythos Peenemünde“, wie er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in eben jener erwähnten schier unüberschaubaren Memoirenliteratur bewusst und teilweise wohl auch unbewusst produziert und jahrzehntelang reproduziert worden ist, zu entzaubern.
Peenemünde war, und das lässt sich eben bis ins Detail nachweisen, keine „Insel der Glückseligen“, auf der „reine“ Wissenschaftler und Techniker in aller Abgeschiedenheit auch von den gesellschaftlichen wie sozialen Bedingungen des Nationalsozialistischen/faschistischen Regimes sich mit dem Fortschritt der Menschheit befassten, der sich letztlich nicht im gewünschten Maße durch „widrige Umstände“ verwirklichen ließ. Das genaue Hinsehen bietet ein deutlich anderes Bild – Manfred Kanetzki zeigt es auf.

Die für Peenemünde vorgesehene Serienfertigung der Kriegsrakete ließ sich bekanntlich infolge der Bombardierung durch die Royal Air Force im August 1943 nicht verwirklichen.
Wir sind besonders froh, dass wir Herrn Dr. Jens-Christian Wagner gewinnen konnten, einen Beitrag über die Serienfertigung der Kriegsrakete in den Stollen des Kohnsteins am Südrand des Harzes für dieses Heft beizutragen. Dr. Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora, ist Autor einer Vielzahl von Publikationen. Er hat sehr früh darauf verwiesen, dass das Geschehen im KZ Dora-Mittelbau von der Forschung und Entwicklung der Raketentechnologie in Peenemünde nicht zu tren- nen ist. Konkret weist er auf zahlreiche personelle und strukturelle Verknüpfungen zwischen den Stätten in Peenemünde und dem Südharz nach. Die „Produktion des Todes“, so der Titel seines Werkes über das KZ Mittelbau-Dora, hat ihren Ursprung in den Forschungseinrichtungen und Laboratorien Peenemündes. Zugleich wies er immer wieder darauf hin, dass auch auf der Ostseeinsel der Einsatz von Zwangsarbeitern zahlreicher Länder und KZ-Häftlingen erfolgte, im Bereich der Luftwaffe sogar bis in den April 1945 hinein.

Mit diesem Teil des Peenemünder Heftes 3 wird ein wichtiger Punkt auch der regionalgeschichtlichen Forschung deutlich präzisiert. Dies wird u.a. auch deutlich durch die im Anhang beigefügten Liste von Häftlingen aus Konzentrationslagern in Peenemünde, die diese Lager nicht überlebt haben. Erstmalig können Sie namentlich benannt werden und erhalten auf diesem Wege „ein Gesicht“, sie werden der Anonymität entrissen. Interessierte Leser aller Altersgruppen, vor allem aber auch heranwachsende Menschen, Schüler, erhalten ein aussagekräftiges Material über die Herrschaft des Nationalsozialismus in einem sehr konkreten, heimatgeschichtlichen Rahmen.

Mit Heft 3 der Reihe Peenemünder Hefte haben wir also auf mehreren Gebieten erfolgreich Neuland beschreiten können. Nicht zuletzt werden die hier publizierten Arbeitsergebnisse wesentlich dazu beitragen, das Projekt „Denkmallandschaft Peenemünde“ qualitativ weiter zu entwickeln, den Besuchern einen noch detaillierteren Einblick auch in jene Teile der historischen Kulturlandschaft zu ermöglichen, die zum tieferen Verständnis der Vorgänge in der Zeit von 1936 bis 1945 beitragen können.

Christian Mühldorfer-Vogt M.A.