Filmbüro M-V: „Wismar im Spiegel der Zeit“

Gespräch mit dem Wismarer Stadtarchivar Gerd Giese

Heute wird um 19.30 Uhr die Veranstaltungsreihe „Wismar im Spiegel der Zeit“ im Filmbüro M-V in Wismar eröffnet. Gezeigt wird dabei einzigartiges historisches Film-Material über die Stadt Wismar.
Senator Thomas Beyer, Filmbüro-Geschäftsführerin Sabine Matthiesen, Stadtarchivar Gerd Giese und der Historiker bzw. Leiter des Landesfilmarchives Karl-Heinz Steinbruch werden vor der Filmvorführung über die neue Veranstaltungsreihe referieren.

Mit dem Wismarer Stadtarchivar Gerd Giese sprach MV-Schlagzeilen.

„Viel Lokalkolorit und viel `heile Welt` …“

Frage: Herr Giese, am 1.April wurde das Projekt „Wismar im Spiegel der Zeit“ in der ersten von vier Veranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt. Was macht dieses Projekt, an dem das Stadtarchiv Wismar mitwirkte, so einzigartig ?

Gerd Giese: Der Umfang dieser Filme so einzigartig. In der ehemaligen DDR hat es in dieser Größenordnung keine vergleichbaren Projekte gegeben. Zwar wurden auch in anderen Städte Filme über das dortige Geschehen gedreht. Doch dieses erfolgte zumeist in ehrenamtlicher Tätigkeit und mittels 16 mm-Filmen. In Wismar beschloss hingegen die SED-Kreisleitung zum 1.Januar 1960, dass die Realisierung des Wismarer Film-Projektes ab diesem Zeitpunkt von zwei hauptamtlichen Mitarbeitern erfolgen sollte. Allerdings stand die Finanzierung von Anfang an unter keinem guten Stern. Die Tätigkeit hinsichtlich der Wismarer Filme wurde letztendlich beim Volkskunstzentrum angesiedelt.

Frage: Wer waren eigentlich die „Regisseure“ der Wismarer Filme vor knapp 50 Jahren ? Mit welcher Filmtechnik wurde gedreht ?

GGGerd Giese: Die beiden Wismarer Filmschaffenden waren Siegfried Kajdasz und Erwin Suckow. Diese drehten ihre Filme im 35 mm-Format und wurden dann in den Kinos der Stadt, dem Weltspiegel zum Beispiel, gezeigt. Die fachliche Arbeit der Akteure ist als sehr beachtlich zu bezeichnen. Diese schickten ihre Filme zum Schneiden/Bearbeiten an die DEFA nach Babelsberg, mit der entsprechende Verträge geschlossen wurden. Schnell stellte sich heraus, dass die Kosten weitaus höher waren als ursprünglich geplant. Siegfried Kajdasz und Erwin Suckow erhielten für ihre Arbeit übrigens zwischen 650,- und 700,- DDR-Markt – keine schlechte Entlohnung für die damaligen Verhältnisse.

Frage: Gab es in den Filmen auch mehr oder minder offene Kritik an den damaligen politischen Gegebenheiten in Wismar ?

Gerd Giese: Es fand schon eine wirklich gelungene, kabarettistische Umsetzung von Problemen im täglichen Leben statt. Die Filme mit „Hugo Leichtsinn“ animieren schon zum Schmunzeln, wenn auf Gefahren im Straßenverkehr hingewiesen wird. Es wurden vordergründig jedoch vor allem Schwierigkeiten bei der Verwirklichung von Beschlüssen dargestellt. Das konnten Probleme bei der Essensversorgung sein, der *Schlendrian“ am Arbeitsplatz und sogar die „Problematik Alkohol“ wurde dargestellt. Hierzu gibt es auch einen Film über eine Ausflügler am Himmelfahrtstag, der nach üppigem Alkoholkonsum am „Weißen Stein“, nicht mehr Herr seiner Sinne ist. Im Kontrast zu ihm wird eine Busfahrt ebenfalls zum besagten Himmelfahrtstag gezeigt, in der glückliche Familien gemeinsam diesen Feiertag begehen. Der „erhobene Zeigefinger“ war hier offensichtlich. Überhaupt wurde den Menschen zumeist eine „heile Welt“ vorgegaukelt. Gezeigt wurden schöne Wohnungen, schöne Gegenden. Das es aber damals auch viele immense Probleme mit der Qualität des Wohnraumes in der Altstadt gab, wurde komplett ausgeblendet. So gut die fachliche Qualität der Filme auch war, inhaltlich spiegelten diese nicht die Realität Wismars Anfang der 1960er Jahre wieder.

Frage: Die vorhandenen Wismarer Filme – drei Stummfilme und 24 Folgefilme von 1960 – behandeln den Zeitraum 1958/59 sowie 1960 bis 1962. Was war in diesen Jahren eigentlich in Wismar los ? Welche Ereignissen werden in den Filmen gezeigt ? Und: Warum hörte der „Film-Spass“ bereits 1962 wieder auf ?

FRGerd Giese: Die Filme haben vor allem viel Lokalkolorit. Thematisch wurden vor allem gesellschaftliche Ereignisse gezeigt, z.B. Demonstrationen zum 1.Mai, Militärveranstaltungen, Sportfeste, gemeinsame Erntearbeiten, Manöver der Volksmarine, der Bau des Schiffes „Fritz Heckert“ erhielt eine umfassende Berücksichtigung (Anmerkung d.A.: Hier heuerten auch die Eltern der 1965 in Wismar geborenen Jacqueline Börner an, die 1992 Olympiasiegerin über 1500 Meter im Eisschnelllaufen wurde.), kulturelle Veranstaltungen, die Sendungen mit den „Roten Blitzen“ bzw. Hochzeiten waren ebenfalls beliebt. Sportveranstaltungen, wie das Hanseatenringrennen oder die deutschen Meisterschaften der DDR im Radsport mit Klaus Ampler, fanden zudem viel Beachtung.
Was allerdings verwundert, ist die Tatsache, dass damalige, sehr prägende Ereignisse, wie die Sprengung der Marienkirche oder der Bau der Berliner Mauer, in den Filmen nicht vorkamen. Anscheinend befürchtete man, dass es während der Vorführungen schon zu Unmutsbekundungen kommen könnte und so blendete man diese Dinge einfach aus.

Frage: Dennoch wurden die Filmarbeit im Frühjahr 1962 eingestellt …

Gerd Giese: Das hatte vor allem mit finanziellen Gründen zu tun. Man musste die Tätigkeit zu den Filmen bereits 1961 aus dem Lohnfonds des Theaters bezahlen. Was auch nur ging, weil einige Mitarbeiter des Theaters in jenem Jahr nach Westdeutschland geflüchtet waren und einige für dessen Lohn bestimmte Gelder „ungenutzt“ blieben. Im März 1962 wurde dann der letzte Wismarer Film gezeigt und im April 1962 beschloss der Rat des Bezirkes Rostock die Einstellung des Projektes.

Frage: Wie bewerten Sie das Film-Material aus archivarisch-wissenschaftlicher Sicht ?

Gerd Giese: Resümierend lässt sich sagen, dass die Arbeit der beiden Filmschaffenden Siegfried Kajdasz und Erwin Suckow fachlich und qualitativ sehr gut war, aber inhaltlich den damaligen Bedingungen angepasst wurde. Das Archiv der Hansestadt zeigte die Filme bereits während der Landesgartenschau 2002 in der Bauernscheune und während der Tage der Archive. Dieses „Stück Zeitgeschichte“, so bedingt es auch nur aussagekräftig ist, wollten und wollen viele Wismarer nicht entgehen lassen …

M.Michels

Cineastisch zurückgeblickt …

Nicht erst mit der Realisierung des Projektes „Wismar im Spiegel der Zeit“ dank des Filmbüros M-V in Wismar fanden historische Filme über die Region den Weg zurück in die Öffentlichkeit. Vor fast 15 Jahren – im September 1995 – wurden Film-Szenen über Dorf Mecklenburg aus den 1970er Jahre im Rahmen der Festwoche zum 1000jährigen mecklenburgischen Jubiläum gezeigt.
Eine Nachfrage 1995 im DEFA-Archiv in Berlin ergab, dass Szenen über Dorf Mecklenburg ab 1970 gedreht wurden. Der damalige Amtsleiter Gerhard Schmidt erfuhr seinerzeit, dass es fast einmalig sei, dass über ein Dorf drei Filme entstanden. Diese wurden zwischen 1972 und 1974 in der Nachrichtensendung „Der Augenzeuge“ gezeigt, damals ein Vorprogramm zum jeweiligen Kino-Film. Die drei – 20 Minuten langen – Beiträge beinhalteten die Thematik „Frauentag“, „Frauen und Technik“ und einen „allgemeinen Bericht über Dorf Mecklenburg“. mm

F.:

1.Sabine Matthiesen, Filmbüro-Geschäftsführerin (rechts im Bild), und Henrike Ehlich, Wismarer Regisseurin und Vorsitzende des Mecklenburg-Vorpommern Film e.V. . mm

2.Filmbüro M-V / Kinosaal. mm

3.Gerd Giese, Wismarer Stadtarchivar. mm

4.Historische Filmrollen im Stadtarchiv Wismar. mm

5.Im damaligen Kino „Weltspiegel“ (heute Stahlhaus) waren ebenfalls die Wismarer Filme zu sehen. mm