Mehr Stellen, weniger Bewerber – Herausforderung für Unternehmen
In Mecklenburg-Vorpommern haben am Dienstag mehr als 7.000 junge Menschen eine betriebliche Ausbildung begonnen. 2.617 unversorgten Bewerbern standen zum Monatsende 2.287 unbesetzte Ausbildungsstellen gegenüber. „Der Markt hat sich in wenigen Jahren komplett gedreht“, sagte Wirtschaftsminister Jürgen Seidel am Dienstag auf der Landespressekonferenz. „Der deutliche Rückgang der Bewerberzahlen um 4.400 stellt unsere Betriebe vor ganz neue Herausforderungen.“
„Chefs, Betriebs- und Personalleiter müssen jetzt alle Chancen nutzen, um die Fachkräfte der Zukunft auszubilden“, sagte Seidel. „Vor fünf Jahren gab es in Mecklenburg-Vorpommern 16.500 Jugendliche mit Berufsreife/Hauptschul- oder Realschulabschluss, in diesem Jahrgang sind es noch rund 6.000. Bis 2020 wird sich an diesen Zahlen kaum etwas ändern. “
„Ausbildung ist das Gebot der Stunde, weil damit heute der Grundstein für die Sicherung des künftigen Fachkräftebedarfs gelegt wird. Jugendliche haben heute mehr Chancen, ihren Wunschberuf in Mecklenburg-Vorpommern zu erlernen“, sagte Seidel. „Neue Ideen bei der Werbung um geeignete Bewerber, aber auch bezahlte Ferienjobs sind geeignet, um Nachwuchs zu interessieren und zu binden.“
Bereits im vergangenen Jahr klagten viele Betriebe quer durch alle Branchen darüber, dass sie entweder deutlich weniger Bewerbungen oder sogar keine Bewerbungen mehr erhalten haben. Diese Tendenz hat sich in diesem Jahr verstärkt. Insbesondere die Hotel- und Gastronomiebranche „buhlt um Lehrlinge“. Gerade in dieser Branche haben wir auch jetzt noch viele freie Plätze (z. B. Köche: 323, Hotelfachleute: 195, Restaurantfachleute: 275).
Der Rückgang der Bewerberzahlen wird sich auch in den nächsten beiden Jahren fortsetzen, weil die prognostizierten Schulabgängerzahlen 2010 (11.610) und 2011 (10.700) weiter sinken werden. In den Jahren bis 2020 wird es nur noch leichte Schwankungen nach oben bei diesen Zahlen geben. Nach den Prognosen des Bildungsministeriums werden wir im Jahr 2020 fast genauso viel Schulabgänger (13.130) wie in diesem Jahr (13.180) haben.
„Die Wirtschaft darf nicht sehenden Auges in eine Fachkräftekrise laufen“, sagte Seidel. Zum fehlenden Nachwuchs kommt die Tatsache, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter durchschnittlich um 1.200 pro Monat abnimmt. Damit reduziert sich die Zahl derjenigen, die Arbeit nachfragen, kontinuierlich.
Für die Sicherung des Fachkräftenachwuchses sprach Seidel 10 Punkte an:
1. Ausbildung – Chance für alle. Die Zeiten eines Bewerberüberschusses sind endgültig vorbei. Jeder Jugendliche, ob mit oder ohne Schulabschluss, Altbewerber, leistungsschwächere Jugendliche – alle können zu potenziellen Fachkräften ausgebildet werden.
2. Schwächere fördern. Für leistungsschwächere oder sozial benachteiligte Jugendliche gibt es die Fördermöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit, wie z. B. ausbildungsbegleitende Hilfen mit Stützunterricht und sozialpädagogischer Betreuung im Rahmen einer betrieblichen Ausbildung. Die Ausbildungsberater der Kammern müssen die Betriebe verstärkt beraten.
3. Imageprobleme – Berufsbilder verbessern. Branchen mit einem Imageproblem müssen an der Verbesserung des Berufsbildes arbeiten. Stichworte sind: Qualität der Ausbildung (keine ausbildungsfremden Tätigkeiten), Höhe der Ausbildungsvergütungen und der späteren Facharbeiterlöhne, Übernahme nach der Ausbildung, preiswerte Unterkunftsmöglichkeiten schaffen, bezahlte Überstunden bzw. Überstundenausgleich bzw. Arbeitszeitkonten usw.
4. Karrieremöglichkeiten aufzeigen. Alle Branchen müssen die Karrieremöglichkeiten in den jeweiligen Berufen aufzeigen. Im Handwerk gibt es gute Beispiele, wie man sich vom Lehrling über den Gesellen zum Meister und weiter zum Betriebswirt des Handwerks weiterentwickeln kann.
5. Werbung in den Schulen. Kontakte mit den Schulen müssen intensiviert werden. Plätze für Schülerbetriebspraktika helfen den Jugendlichen bei der Berufswahlentscheidung und den Betrieben bei der Nachwuchsgewinnung.
6. Verträge frühzeitig abschließen. Die Auswahlentscheidungen der Betriebe müssen frühzeitig getroffen werden. Ein frühzeitiger Vertragsabschluss gibt auch den Jugendlichen Sicherheit. Und wenn dann noch bezahlte Ferienjobs an den künftigen Azubi vergeben werden, erhöht man die Bindungswirkung und die Motivation.
7. Perspektiven aufzeigen. Der Lebens- und Arbeitsstandort MV muss bei den jungen Menschen deutlich attraktiver dargestellt werden. Wir müssen die Chancen für junge Menschen aufzeigen, der Abwanderung entgegenwirken und Zuzüge aus anderen Bundesländern ermöglichen. Deshalb werde ich mit den drei Industrie- und Handelskammern des Landes im Oktober eine breit angelegte „Informationskampagne zur Fachkräftesicherung“ starten. Wir wollen an konkreten Beispielen aufzeigen, dass die Perspektiven hier im Land sind.
8. Zweijährige Ausbildungsberufe stärker nutzen. Viele Ausbildungsordnungen sind heute so anspruchsvoll, dass leistungsschwächere Jugendliche häufig die Ausbildungsanforderungen kaum noch erfüllen können. Hierfür wurden in den letzten Jahren rund 40 theorieentlastete und praxisorientierte 2-jährige Ausbildungsordnungen geschaffen. Das Modell der Stufenausbildung ermöglicht z. B. in der Bauwirtschaft einen Abschluss sowohl nach 2 als auch nach 3 bzw. 3 1/2 Jahren.
9. Migranten stärker integrieren. Wir müssen Migranten über Ausbildung und Arbeit integrieren. Ein positives Beispiel: Die Kreishandwerkerschaft Schwerin verfolgt mit dem Projekt „HANDIS – Handwerksorientierte berufliche Integration jugendlicher Spätaussiedler in Westmecklenburg“ einen solchen richtigen Ansatz.
10. Ausbildungsplatzsonderprogramme Ost. In den letzten Jahren haben Bund und Land gemeinsam die Ausbildungsplatzprogramme Ost für nicht vermittelte Bewerber aufgelegt. Diese Jugendlichen (über alle laufenden Programme rund 4.100) werden sehr betriebsnah mit Unterstützung der IHK“n und HWK“n in qualifizierten Ausbildungsbetrieben zu einem Berufsabschluss geführt. Betriebe, die ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen können, haben die große Chance, diese Bewerber in eine betriebliche Ausbildung zu übernehmen.
In diesem Jahr soll das Ausbildungsplatzprogramm Ost (821 Plätze) grundsätzlich nur im Rahmen der Vorsorge für Konkurslehrlinge, soweit diese nicht in andere Betriebe vermittelt werden können, eingesetzt werden.