Ärzte zwischen Schweigepflicht und Strafanzeige

Rostock, den 19. Januar 2008. „Gewalt gegen Frauen – Zwischen Schweigepflicht und Strafanzeige“ lautet der Titel der heutigen Fachtagung, an der rund 130 Mediziner, Rechtswissenschaftler und Vertreter weiterer betroffener Berufsgruppen teilnehmen.

Die Experten diskutieren unter anderem über die Ursachen von Gewalt gegen Frauen, den Umgang mit den Opfern. Die Dokumentation von Spuren der Gewalt sowie die rechtlichen Vorschriften werden ebenso thematisiert.

„Ärzte sind für die betroffenen Frauen mit die wichtigsten Vertrauenspersonen. Sie benötigen deren medizinische Hilfe, aber auch deren Rat. Denn in den meisten Fällen sind Frauen und Kinder als hauptsächliche Opfer häuslicher Gewalt nicht in der Lage, allein die Gewaltspirale zu durchbrechen“, so die Parlamentarische Staatssekretärin für Frauen und Gleichstellung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Margret Seemann.

„Die Behandlung gewaltbetroffener Frauen ist ein besonders sensibles Thema für uns Ärzte“, betont Dr. med. Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern. „Wir müssen die Patientin, die sich uns anvertraut, nicht nur dazu bringen, die Gefährdung ihrer Gesundheit anzuerkennen, sondern sie auch dazu bewegen, weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen. Durch die richtige Dokumentation von Gewaltverletzungen können wir die Frauen bei ihrem Weg aus der Gewalt heraus unterstützen“, so Dr. Crusius.

Entbindet die Patientin ihren Arzt von seiner Schweigepflicht kann er seinen Gewaltverdacht zur Anzeige bringen. Dann besteht für die Rechtsorgane die Möglichkeit, aktiv zu werden. „Letztlich muss aber der Arzt oder Zahnarzt auch seinem Gewissen folgen, wenn er entscheidet, ob er gegen die Schweigepflicht bewusst verstößt, um weiteren Schaden am Patienten zu verhindern“, so Dr. Dietmar Oesterreich, Präsident der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern.

Die Techniker Krankenkasse (TK) engagiert sich im Land schon seit vielen Jahren in der Gewaltprävention. Erstmals im April 2000 erschien in Mecklenburg-Vorpommern der Leitfaden „Gewalt gegen Kinder“ für Ärzte und Institutionen. Seit dieser Woche ist auch das Internetportal, dessen Basis der Leitfaden bildet, freigeschaltet. Zugleich betont Dr. Volker Möws, Leiter der TK-Landesvertretung Mecklenburg-Vorpommern, die Bedeutung des engen Miteinanders im Ringen gegen Kindesvernachlässigung, Gewalt gegen Kinder und Frauen. Er sagt: „Wir wollen die Kooperationen in den Regionen noch enger schmieden. Ministerien, Ärzteschaft, Gesundheitsämter, örtliche Jugendhilfe, Polizei und Justiz gehören an einen Tisch gemeinsam mit den Projekten und Angeboten der Beratung.“

Hintergrundinformation
37 Prozent aller Frauen zwischen 16 und 85 Jahren werden mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher Gewalt. Jede siebente Frau hat seit ihrem 16. Lebensjahr sexuelle Gewalt in strafrechtlich relevanter Form erlebt. Jede vierte Frau erlebt Gewalt durch ihren Partner. Internationale Organisationen schätzen inzwischen Gewalt gegen Frauen und Mädchen als eines der größten Gesundheitsrisiken ein. Neben den eindeutig festzustellenden äußerlichen Verletzungen erleiden die Opfer häufig in hohem Maße psychische und seelische Folgebeschwerden wie Schlafstörungen, Angstzustände, Niedergeschlagenheit oder Depressionen.