Mit Reiner Kunze „das Morgen instand setzen“

Lesung des Lyrikers in Wismar vor zahlreichem Publikum

Sie brachten ihn nach Großenhain,
dort lochen sie die Großen ein.
Er sprach, er sei ein Kleiner.
Sie sagten, er sei einer,
und ob er groß sei oder klein,
bestimme man in Großenhain.

Da sagten die in Großenhain:
Was ist denn das für einer?
Was ist das für ein Kleiner?
Was will denn der in Großenhain?
Wir lochen nur die Großen ein,
der ist kein Großenhainer.

Da ließen sie den Gauner frei,
erließen für die Gaunerei
die Strafe ihm in Großenhain.
Dort locht man nur die Großen ein.
Er war ein kleiner Wicht,
und Kleinhain gibt es nicht.

RKLeider gibt es kein richtiges „Großenhain“ – mal von dem idyllischen sächsischen einmal abgesehen – das hier Reiner Kunze so amüsant und treffend in dem von ihm auch auf der Lesung in Wismar zitierten Gedicht beschreibt. D i e s e s  Großenhain – bedauerlicherweise nicht …

Nicht in Deutschland, nicht in Mecklenburg noch sonst wo auf der Welt.
Wenn es dieses dann geben würde, wäre die Welt um einiges angenehmer und tatsächlich vielleicht sogar amüsant. Dann gäbe es keinen „IM Sputnik“, keinen „IM Czerny“, keine Politiker, die einst die „Kirche im Sozialismus“ propagierten, um dann im geeinten Deutschland Landesvater zu werden.

Es gäbe keine Ackermänner und Saubermänner, keine Spritzensportler noch gesellschaftliche Pharisäer. Jeder hätte dann wirklich die Chance, für sein Leben selbst verantwortlich sein zu können: Leben, die von großen Gaunern, von Wilhelm Zwo , von Adolf Nazi und Erich ,dem Dachdecker sowie deren Jüngerinnen bzw Jüngern und sonstigen Gesinnungslumpen ruiniert oder schwer beschädigt wurden.

RKRKEin „echter Kunze“ war also in Wismar, der stets jedes einzelne Leben in den Mittelpunkt stellte, wie Senator Thomas Beyer in seiner Eröffnungsrede treffend äußerte.

Reiner Kunze, dessen kurze, aber kurzweilige Lesung, ein echter geistreicher Höhepunkt in der Wismarer Steppe wurde, las unter der Thematik „Die Instandsetzung des Morgens. Tagebuchnotizen und Gedichte aus 40 Jahren.“. Wer nun eine Kritik an gegenwärtige DDR-Glorifizierungen, an aktuellen politischen wie wirtschaftlichen Missentwicklungen oder an der anhaltenden gesamtdeutschen Dekadenz erwartete, wurde zwar nicht enttäuscht, aber eines Besseren belehrt.

Es lebt sich auch leichter, wenn man Missratene bzw. Missratenes und Unerfülltes einmal in den Hintergrund stellt. Das Leben aus den kleinen Details, aus den kleinen Lebensepisoden zu begreifen, das Schöne dort zu entdecken, wo es auch ist, das brachte Reiner Kunze vor allem mit seiner Lesung zum Ausdruck. Dabei nie die Attraktivität des Augenblickes vergessend …

Wir hatten immer eine Wahl und sei es die, sich denjenigen nicht zu beugen, die sie uns nahmen ! Auch das war Reiner Kunze an diesem Wismarer Abend. Nachdenklich rückblickend und dennoch Eigenverantwortlichkeit des Handelns – auch in weniger günstigen Momenten – fordernd.

RKRKDer Kunze, der realsozialistisches Desaster in Worten auf den Punkt brachte, zu Zeiten als die Staatsdiener nicht nur unfähig, sondern sogar kriminell und mörderisch waren. Der Kunze, der zu Mauer-Zeiten Halt gab, Mut zusprach und damit auch meinte: Sich niemals mit dem nicht Hinnehmbaren abzufinden ! Sich nie zu beugen und beugen zu lassen, denn das Spiegelbild ist bekanntermaßen nur ein Zerrbild.

Der Reiner Kunze am 4.März 2009:  ein Meister des Wortes und des Nachdenkens. Der Reiner Kunze seit 1933 ff. – zudem der unangefochtene Meister der mutigen Tat !

Mit einem Reiner Kunze kann man wahrlich nicht nur den Morgen, sondern auch das Morgen instand setzen …

Der Stadtbibliothek Wismar und dem Bibliotheksverein Wismar gebühren – neben dem „Aktiven“ – Dank für diese Lesung im Zeughaus.

M.Michels

F.: M.M.