Martinschule Greifswald gewinnt Deutschen Schulpreis

Professor Häcker: „Schule symbolisiert, wie Individualität und gesellschaftlicher Zusammenhalt in Balance kommen können.“

Professor Thomas Häcker gehört seit sechs Jahren der Jury für die Vergabe des Deutschen Schulpreises an (Copyright: Universität Rostock/Julia Tetzke)

Das Evangelische Schulzentrum Martinsschule Greifswald hat den mit 100 000 Euro dotierten Deutschen Schulpreis gewonnen. Er wurde am 14. Mai 2018 durch Bildungsministerin Anja Karliczek feierlich in Berlin verliehen. Schirmherr ist Fußballtorwart Manuel Neuer. Der Deutsche Schulpreis ist der höchstdotierte Wettbewerb für Schulen in Deutschland.

Bereits am Sonntag lief in Berlin der Abend der nominierten Schulen. Alle stellten sich hier mit einem Motto vor. Das Motto der Martinschule lautet: „Unsere Schule steht für Selbstverwirklichung im sozialen Miteinander für eine bessere Welt.“ Das Eldenburg-Gymnasium hat sich mit der These präsentiert: „Unsere Schule steht für miteinander arbeiten, aufeinander verlassen und voneinander lernen, für Lehrer, die sich ihres Einflusses auf den Lernerfolg ihrer Schüler bewusst sind und die das Lernen durch die Augen ihrer Schüler sehen.“

Die Laudatio für die Greifswalder Schule hielt Professor Anand Pant vom Institut für Erziehungswissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist zugleich einer der beiden Geschäftsführer der Deutschen Schulakademie in Berlin und war im Besuchsteam der Martinschule Greifswald dabei. Inklusion ist anstrengend – diese Auffassung teilen in Deutschlandviele Eltern, Lehrkräfte und Bildungspolitiker.

Das Evangelische Schulzentrum Martinschule in Greifswald sei den Weg der „umgekehrten“ Inklusion gegangen, sagte Professor Pant in seiner Laudatio. Innerhalb von 25 Jahren öffnete sich die einstige „Schule für geistig Behinderte“ zunächst zur inklusiven Grundschule und dann ergänzt zu einer Integrierten Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe. Inklusiver Unterricht bedeute hier, dass fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler aufgrund ihrer geistigen oder emotional-sozialen Entwicklung besonders unterstützt werden müssten.

„Die Idee des gemeinsamen Lernens von gehandicapten und nicht gehandicapten Kindern wird konsequent ausgereizt. Jedes Kind erlebt in der Martinschule sowohl binnendifferenziertes Lernen in stabilen Stammgruppen als auch äußere Differenzierung, die die Förderung individueller Begabungen und Neigungen in flexiblen Lerngruppen ermöglicht“, unterstreicht Professor Pant. Gehandicapte Jugendliche könnten in Greifswald systematisch Selbstwirksamkeitserfahrungen machen. Eine Schülerfirma, Wohnungstraining und Abschlussstufenzentrum bereiten sie zum Ende der Schulzeit auf einen möglichst autonomen Lebensalltag und eine berufliche Integration vor.

„Dabei leiden an der Martinschule, die regelmäßig in landesweiten Lernstandserhebungen und zentralen Abschlussprüfungen über dem Landesdurchschnitt liegt, die Leistungen der „normalen“ Schülerinnen und Schüler nicht. Und das, obwohl oder gerade weil auf Ziffernnoten bis zur neunten Klasse verzichtet werde, betont Professor Pant. Die Martinschule zeichne sich außerdem durch eine starke Eltern- und Schülerpartizipation, besondere förderdiagnostische Kompetenz des Lehrpersonals sowie ausgeprägte Kooperation in multiprofessionellen Teamstrukturen aus.

„Hinter den professionell reflektierten Alltagsroutinen lebt in der Martinschule aber vor allem eines: der unbedingte Wille, das „Anderssein“ der Kinder und Jugendlichen radikal zu akzeptieren und wertzuschätzen“, unterstreicht Professor Pant. Nach einem Besuch der Martinschule Greifswald wisse man: „Ja, Inklusion ist anstrengend, und sie gelingt nicht zum Nulltarif! Aber Inklusion lohnt sich. Die Martinschule steht hoffnungsstiftend für eine inklusivere Gesellschaft.“

Und Thomas Häcker, Professor für Erziehungswissenschaft, Schulpädagogik und Bildungsforschung an der Universität Rostock, der der Jury für den Deutschen Schulpreis angehört, sagt: „Die Martinschule leistet Pionierarbeit in Bezug auf inklusive schulische Erziehungs- und Bildungsarbeit. Sie symbolisiert in beeindruckender Weise, wie Individualität und gesellschaftlicher Zusammenhalt in eine Balance kommen können. Die Martinschule hat gesellschaftliche Signalwirkung in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus.“

Pressemitteilung der Universität Rostock