Auftakt der Schwimm-EM 2010 mit deutschem Gold über 10 Kilometer

Interview mit Rostocks Langstrecken-Ass Britta Kamrau

Das schwimmsportliche Budapest verzeichnet mit 44 teilnehmenden Nationen den ersten Rekord der Europameisterschaften 2010. So werden mehr als 1100 maritime Athletinnen und Athleten bis zum 15. August in 61 Entscheidungen im Becken-Schwimmen, Langstrecken-Schwimmen, Synchron-Schwimmen und Wasserspringen um Gold und weiteres Edelmetall wetteifern.

Deutsche Medaillen-Hoffnungen in Budapest
Große Medaillen-Hoffnungen im Becken-Schwimmen haben aus deutscher Sicht Paul Biedermann (SV Halle/Saale), Isabelle Härle (SV Nikar Heidelberg), die im Juni über 1500 Meter-Freistil Jahresbestleistung in Europa schwamm. Weiterhin r haben der WM-Vierte über 50 Meter-Brust Hendrik Feldwehr (SG Essen) und Steffen Deibler (Hamburger SC) über 50m Schmetterling hervorragende Edelmetall-Chancen. Vize-Weltmeisterin Daniela Samulski über 50 Meter-Rücken, Kurzbahn-Europameisterin Caroline Ruhnau über 100 Meter-Brust und Yannick Lebherz (DSW Darmstadt, über 400 Meter-Lagen / 200 Meter Rücken sowie die Junioren-Europameisterin Silke Lippok (SSG Pforzheim / 100 Meter-, 200 Meter-Freistil sind ebenfalls für EM-Plaketten mehr als gut.

Deutsche Langstrecken-Asse für EM-Medaillen ambitioniert
Bei den Langstreckenschwimmerinnen und –schwimmern werden den Langstrecken-Assen erstklassige Aussichten auf EM-Medaillen eingeräumt. Bei den WM in Roberval/Kanada im Juli zeigten die Beiden hervorragende Leistungen. Thomas Lurz wurde Weltmeister über die 5 Kilometer, Angela Maurer kam über 10 Kilometer auf Platz 5. Und: Bereits in der ersten EM-Entscheidung überzeugte Thomas Lurz … Er wurde Europameister über 10 Kilometer vor Valerio Cleri aus Italien und Jewgeni Drattsew aus Russland. Nadine Reichert kam bei den Frauen über fünf Kilometer auf Rang fünf.

… Zur schwimmsportlichen „Csardas-Fürstin“ wird in Budapest jedoch leider nicht die Rostockerin Britta Kamrau avancieren … Wegen ihrer „Juristerei“ legt die 31-jährige 2010 eine kleine Verschnaufpause ein.

Britta und Peggy – ein Erfolgs-Duo!
Zusammen mit Peggy Büchse bildete Britta Kamrau jahrelang das Rostocker Erfolgs-Duo im Langstreckenschwimmen. Die Rostockerin, Jahrgang 1979, hatte dabei vor 15 Jahren, 1995 bei den Deutschen Meisterschaften, ihren Premieren-Einsatz auf den langen Kanten. Auf Anhieb wurde sie über die 5 Kilometer Dritte. Als Britta diese hervorragende Platzierung bei den Deutschen Meisterschaften im Jahre 1996 über die 25 Kilometer wiederholen konnte, beschloss die „gelernte Beckenschwimmerin“ den endgültigen Wechsel zum Langstreckenschwimmen. Viele Erfolge konnte die Hanseatin in der Folgezeit erschwimmen. Die Höhepunkte waren zweifellos die vier Weltmeister-Titel zwischen 2004 und 2007, der zweifache Gewinn des Gesamt-Weltcups 2003 und 2006 sowie der dreifache Erfolg bei den Europameisterschaften 2004 in Madrid.

Auch jenseits der Gewässer feiert Britta Erfolge. Ihr Studium der Rechtswissenschaften zog sie – neben den ihrer schwimmsportlichen Einsätzen – mit Bravour durch, legte das erste Staatsexamen erfolgreich ab und bereitet sich nun auf das zweite Staatsexamen vor. Deshalb pausiert die Athletin vom SC Empor 2000 Rostock in diesem Jahr.

„London 2012 wäre noch einmal eine große Herausforderung !“

Interview mit Britta Kamrau

Frage: Britta, vor sechs Jahren wurden Sie in Madrid dreifache Europameisterin im Langstreckenschwimmen, gewannen bei EM zwischen 1999 und 2008 insgesamt 3 x Gold, 3 x Silber und 4 x Bronze. Nun finden (fanden) in Budapest die europäischen Titelkämpfe 2010 statt. Verfolgen Sie mit Wehmut oder Gelassenheit die EM-Entscheidungen?

Britta KamrauBritta Kamrau: Es überwiegt eindeutig die Gelassenheit. Natürlich interessiert mich das schwimmsportliche Geschehen in Budapest schon. Ich werde auch auch die Ergebnisse verfolgen, wenn es die Zeit erlaubt, mir die eine oder andere Entscheidung auch im Fernsehen anschauen. Natürlich drücke ich dem deutschen Team die Daumen, bin aber nun einmal auch nicht mehr „so nah am Wasser tätig“. Dennoch: Die EM ist selbstverständlich im persönlichen Blickwinkel.

Frage: Sie pausieren vom Schwimmen aufgrund ihrer juristischen Ausbildung. Wie läuft es dort eigentlich für Sie?

Britta Kamrau: Ich absolviere zurzeit mein Referendariat in einer Anwaltskanzlei in Rostock. Es ist dabei die letzte Station. Vorher arbeitete ich bereits bei der Staatsanwaltschaft und am Landgericht Rostock sowie am Verwaltungsgericht in Schwerin. Im November werden dann die Prüfungen zum zweiten Staatsexamen folgen.

Da ist momentan ganz, ganz viel Lernen angesagt. Aber eine Tätigkeit als Juristin hat mich ungemein gereizt, das ist das, was ich auch machen möchte. Deshalb habe ich die Studienzeit und auch das Referendariat trotz aller Anstrengungen, trotz der großen Beanspruchung als sehr angenehm empfunden. Mit der Arbeit kann ich mich identifizieren – sie macht mir Spass. Rückblickend kann ich sagen: Die Entscheidung für das Jura-Studium war goldrichtig.

Frage: Trotz Ihrer juristischen Verpflichtungen: Sie trainieren doch sicherlich weiterhin in der Neptun-Schwimmhalle und auf den Seen bzw. Flüssen dieser Welt, oder? Ihr Ziel bleibt doch Olympia 2012 in London …

Britta Kamrau: Ja, ganz eindeutig. Wenn ich mich für das Langstreckenschwimmen überhaupt noch motivieren kann, wenn es etwas gibt, was mich noch einmal –zeitweise – zum Langstreckenschwimmen zurück bringt, dann ist es eindeutig London 2012. Wenn ich also tatsächlich wieder ganz ernsthaft mit dem Schwimmen anfange, dann einzig und allein wegen Olympia. Gegenwärtig trainiere ich ja nur drei- bis viermal wöchentlich. Dann sind dann vielleicht pro Woche insgesamt mitunter nur 5 Stunden.

So viel Trainingszeit hatte ich früher an einem Tag zur Verfügung. Da trainierte ich sogar zwölfmal wöchentlich – im Becken oder im Kraftraum. Heute kommt zum Training gegebenenfalls noch eine Stunde Laufen in der Woche dazu. Mein Referendariat erfordert eben die ganze Juristin. Was ich aber hinzufügen möchte: Trotz des deutlich reduzierten Trainings fühle ich mich ausgelastet, ausgepowert. Auch die Tätigkeit als Juristin ist „Leistungssport“ – nur auf eine andere Weise. Ich trauere der entgangenen Trainingszeit im Schwimmbecken nicht nach.

Frage: Ihre Erfolgsbilanz – 10 EM-Medaillen 1999-2008, davon drei Europameistertitel, 10 WM-Medaillen 2002-2007, davon vier Weltmeistertitel, und 6 Top-Platzierungen im Gesamt-Weltcup 1999-2007 (2 x Gewinn des Gesamt-Weltcups 2003/2006 und viermal Gesamt-Weltcup-Zweite 1999, 2001, 2004 und 2007) – ist schon „umwerfend“.

Der einzige „Makel“ war die verpasste Olympia-Qualifikation für Peking 2008. Olympia als Aktive zu erleben: Ist das Ihre Motivation für die Fortsetzung Ihrer einzigartigen Karriere? Welcher der genannten Erfolge sind für Sie die schönsten bzw. nachhaltigsten?

Britta Kamrau: Das Jahr 2004 war für mich das schönste Jahr als Langstreckenschwimmerin. Dreimal EM-Gold und zweimal WM-Gold, also fünf von sechs möglichen internationalen Titeln, das ist gar nicht mehr zu toppen. Hinzu kommt: Bei den Europameisterschaften 2004 in Madrid war ich ja die erste Langstrecken-Schwimmerin, die das schaffte. Leider war Langstreckenschwimmen bei Olympia in Athen noch nicht olympisch – 2004 war ein super Jahr für mich.

Frage: Sie sind jetzt „Neutrale“ … Wie beurteilen Sie das Leistungsniveau im deutschen Team für Budapest – bei den Becken- wie Langstreckenschwimmern?

Britta Kamrau: Leider ist Britta Steffen, unsere Ausnahme-Schwimmerin, in der ungarischen Hauptstadt nicht dabei. Ihre Medaillen werden in der Gesamt-Bilanz sicher fehlen. Ansonsten dürfte Paul Biedermann der Leistungsträger in der Mannschaft sein.

Was auffällt, ist die Tatsache, dass zumeist die älteren Schwimmer die Medaillen aus dem Wasser holen müssen. Das ist insbesondere bei den Langstrecklern so. Thomas Lurz und Angela Maurer sind seit vielen Jahren absolute Weltspitze und dürften auch 2010 vorn mit dabei sein. Thomas holte ja gerade Gold über die 10 Kilometer – hervorragend!
Im Wasserspringen sollte auch die eine oder andere Medaille aus deutscher Sicht möglich sein.

Schwimmer in Aktion bei den Jugendsportspielen in WismarLeider wird nach meiner Meinung für die Förderung des Schwimmsportes in Deutschland nicht genug getan. Den jungen Talenten werden nicht genug Perspektiven geboten. Es gibt nur ein ungenügende „Verzahnung“ von Ausbildung/Studium und dem Leistungssport. Das ist in Ländern, wie den USA, Australien oder Großbritannien, anders. Dort gibt es echte Kooperationen zwischen z.B. den Universitäten/Colleges und dem Leistungssport. Die Athleten erhalten nicht nur eine weit reichende sportliche, sondern eben auch weit reichende berufliche Förderung – verbunden mit finanziellen Anreizen. Das ist in Deutschland ziemlich anders: Viele Talente fragen sich schon: „Die Ausbildung vernachlässigen, um meinen dürftig dotierten Leistungssport zu betreiben  … ?!“ Dann hören zahlreiche Talente lieber gleich auf. Das sollte sich grundlegend ändern, will Deutschland sportlich auch in Zukunft mit den USA, China, Australien, Großbritannien oder Russland mithalten.

Frage: Welche Wettkämpfe verfolgen Sie in Budapest?

Britta Kamrau: Ich bin nun einmal Langstrecken-Schwimmerin. Da interessieren mich die Entscheidungen dort schon sehr!

Dann maximale Erfolge in der juristischen Ausbildung – und behalten Sie London 2012 im Blick!

Die besten Schwimmerinnen und Schwimmer aus M-V bei Olympia
01. Andrea Pollack (Schwerin): 3 x Gold / 3 x Siber (1976/80)
02. Caren Metschuck-Mahn (Greifswald/Rostock): 3 x Gold / 1 x Silber (1980)
03. Sarina Hülsenbeck (Rostock): 1 x Gold (1980)
04. Frank Wiegand (Rostock): 4 x Silber (1964/68)
05. Egon Henninger (Rostock): 2 x Silber (1964/68)
05. Lars Hinneburg (Rostock): 1 x Silber / 1 x Bronze (1988)
06. Klaus Katzur (Rostock): 1 x Silber (1972)
07. Frank Pfütze (Rostock): 1 x Silber (1976/1980)
08. Patrick Kühl (Güstrow): 1 x Silber (1988)
09. Rosemarie Gabriel (Schwerin): 1 x Bronze (1976)
10. Bärbel Fuhrmann (Rostock): 1 x Bronze (1960)

Beste Nationen bei den Schwimm-EM 2008 in Eindhoven (Land-Gold-Silber-Bronze)
1.Russland: 12-7-6 2.Italien: 5-7-9 3.Frankreich: 5-4-3 4.Spanien: 5-3-4 5.Deutschland: 4-4-1 6.Niederlande: 4-3-3 7.Ungarn: 3-4-2 8.Österreich: 3-2-2 9.Schweden: 3-1-6 10.Ukraine: 2-3-8
Anmerkung: Die EM im Langstrecken-Schwimmen fanden 2008 in Dubrovnik statt. Bei den Herren siegte u.a. Thomas Lurz über 10 Kilometer.

Marko Michels

Fotos:
1. Foto: 11 EM-Tage zwischen Schwimm-Becken und Wassersprung-Anlagen in Budapest ziehen die Fans des maritimen Sportes in ihren Bann. (M. Michels)
2. Foto: Britta Kamrau, eine der erfolgreichsten Langstrecklerinnen aller Zeiten, pausiert berufsbedingt 2010. (M. Michels)
3. Foto: Schwimmer in Aktion bei den Jugendsportspielen in Wismar. (M. Michels)