So wild ist Deutschland- eine Reise in Bildern

„Die Fahrt durch Ostdeutschland war spannender als eine Reise nach Brasilien“

Berlin, 25. November 2009
Norbert Rosing ist einer der bekanntesten deutschen Naturfotografen. Neben Fotostrecken zu den Eisbären in den Polarregionen und dem Yellowstone Nationalpark fotografiert Rosing seit über 25 Jahren in Deutschland. Der Bildband „Wildes Deutschland“ wird bereits zum fünften Mal von National Geographic aufgelegt. Er zeigt unerwartete Einblicke und unberührte Nationale Naturlandschaften.

National Geographic Deutschland, Norbert Rosing„Wildes Deutschland“ ist ein Bestseller, obwohl er nur Fotos aus Deutschland enthält. Woher kommt der große Erfolg?
Ich glaube, das Thema ist en vogue. Viele Menschen wollen nicht mehr ins Ausland reisen, weil es zu teuer ist und auch nicht sicher. Man besinnt sich auf die die Urlaubsziele im eigenen Land. Wir haben in Deutschland unberührte Natur, von der die meisten nichts wissen. Ich weiß von Lesern, die versucht haben, die fotografierten Orte aus dem Buch zu finden: Einen einzelnen Baum oder zerklüftete Felsen. Die Fotos scheinen die Augen für die Schönheit der Landschaft in Deutschland zu öffnen.

Sie sind weltweit mit Ihrer Kamera unterwegs. Was hat Sie gereizt, in Deutschland zu fotografieren?
Ich fotografiere seit den 80er Jahren in Deutschland. Damals war ich viel in Berchtesgaden unterwegs und kannte jeden Stein. Nach dem Mauerfall kam ein Verlag auf mich zu und bat mich, in den neuen Ländern zu fotografieren. Die Fahrt durch Ostdeutschland war spannender als eine Reise nach Brasilien. Diese Art von Wildnis gab es in Westdeutschland nicht: Die raue Ostseeküste, der Darßer Wald, die Auflächen an der Oder und das arktische Klima auf dem Brocken sind einzigartig – auch heute noch. Daran haben die Naturschützer von damals einen großen Verdienst. Ohne sie hätten wir heute Hotels anstelle von Nationalparks.

National Geographic Deutschland, Norbert RosingWelche Schwierigkeiten haben Sie als Profi-Fotograf überrascht?
Man kämpft mit dem Wetter. Ich habe im Elbsandsteingebirge bei Minus 17 Grad, Schnee und Wind fotografiert. Wenn man einen ganzen Tag auf so einem Felsen ausharrt, nur Wurstbrot und Tee dabei hat, fühlt man sich wie in der tiefsten Arktis.

Haben Sie bei Ihren Fototouren einen Lieblingsplatz in Deutschland entdeckt?
Da gibt es einige. Wenn im Frühjahr oder Spätherbst der Nebel durch das Elbsandsteingebirge zieht, glaubt man, in einer chinesischen Landschaft zu stehen. So etwas erwartet man nicht. Traumhaft ist auch der tiefblaue Königsee mit seinem Bergpanorama. Die überfluteten Auwälder an der Oder im Frühjahr, wenn sich die Wiesen im Wasser spiegeln und die Zugvögel rasten.

Wie finden Sie diese unberührten Orte, die scheinbar gar nicht in Deutschland liegen?
Die Amerikaner sagen ‚go the extra mile’. Ich bin ein Schatzsucher, der weitergeht als andere. Dabei bin ich fast ausschließlich in frei zugänglichen Gebieten unterwegs, wo jeder hinkommt. Aber Menschen trauen sich selten vom Weg ab. Ich mache das auch nur an Orten, wenn ich etwas Reizvolles erwarte. Es gibt nichts Langweiligeres als eine Fichtenmonokultur.

Was hat sich in den vergangenen Jahren in den Nationalen Naturlandschaften verändert?
Vor drei Jahren habe ich im Südschwarzwald den Todtnauer Wasserfall fotografiert. Nach starken Regenfällen rauschte dort das Wasser. Mit den Buchen drum herum hätte dieses Motiv aus Brasilien sein können. Im vergangenen Jahr habe ich den Wasserfall kaum wiedererkannt. Alle Buchen sind abgeschlagen worden, um Wege anzulegen und ihn touristisch zu erschließen. Für mich hat er seinen Reiz verloren. An der Müritz sind vor 20 Jahren die Hirsche und Wildschweine durch das Schilf gebrochen. Heute ist es dort am Morgen still. Kaum ein Tier. Die meisten Nationalen Naturlandschaften haben sich aber eher zum Positiven verändert.

Glauben Sie, dass man diese Landschaften noch in 100 Jahren so erhalten wird?
Das kommt auf die Politik an. Wenn der wirtschaftliche Druck wächst, dann glaube ich nicht, dass es diese Landschaften noch geben wird. Wobei der Schutz der Nationalparks und in Teilen der Biosphärenreservate in Deutschland relativ hoch ist. Bei den Naturparks wird es sicherlich schwieriger sein, sie zu erhalten. Aber wir können uns trotzdem glücklich schätzen. Im Vergleich zum Ausland gibt es in Deutschland eine Menge kleiner Naturperlen.

Wie sieht die gesellschaftliche Verantwortung bei der Bewahrung der Nationalen Naturlandschaften aus?
Ob Umweltschützer, Verbände oder Einzelpersonen – wir ziehen alle an einem Strang und müssen versuchen, die Natur zu erhalten. Vor 100 Jahren haben wir noch keine Parks gebraucht. Doch inzwischen sind viele Naturlandschaften der Landwirtschaft gewichen. Die Lüneburger Heide beispielsweise reichte von Hannover bis Hamburg. Heute ist nur noch ein Prozent der typischen Heide erhalten. Der Rest wird genutzt. Mit meinen Fotos versuche ich meinen Teil zur Erhaltung beizutragen.

Wie sehen Ihre kommenden Projekte aus?
Ein Projekt wird in Bayern sein. Wenn die Sonne aufgeht, der wallende Nebel im Tal liegt und nur die Spitzen der Dächer und Bäume daraus hervorragen, dahinter die Alpenkette liegt, ist das ein beeindruckendes Panorama. Außerdem werde ich kreuz und quer durch Deutschland fahren. Ich treffe meine Entscheidungen mit dem Wetterbericht und am nächsten Autobahnkreuz. Privat kann man dadurch schlecht planen. Wenn gerade am 24. Dezember der Wintereinbruch kommt, dann sitze ich nicht am Weihnachtsbaum, sondern bin draußen.

Das hört sich an, als könnte das für den Privatmenschen Rosing schwierig sein.
(Lacht.) Nein. Meine Frau hat gewusst, worauf sie sich einlässt, als sie mich geheiratet hat. Sie trägt dieses Leben mit. Und manchmal ist sie auch mit dabei.

Herzlichen Dank für das Interview.

Die Fragen stellte Nina Kuschniok.