Der Percussionist präsentiert sein Soloprogramm im ehemaligen VEB Reparaturwerk Neubrandenburg
Kaum eine Reihe der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern lebt so sehr von Überraschungen und dem Spiel mit dem Unbekannten wie die „Unerhörten Orte“: Es handelt sich um Konzerte, die weit ab von etablierten oder auch nur erwartbaren Spielstätten präsentiert werden und nicht selten einen engen Bezug zum jeweiligen Ort haben. Das erste Konzert dieser Reihe findet in diesem Jahr am Mittwoch, den 21. Juni ab 19:30 Uhr im Reparaturwerk in Neubrandenburg statt.
Der Abend auf dem Gelände an der Nonnendorfer Str. 19 beginnt mit einer Einführung zur Geschichte des ehemaligen Volkseigenen Betriebs. Im Anschluss daran präsentiert der Preisträger in Residence Alexej Gerassimez sein multimediales Soloprogramm „Rhytholution“ in den Werkshallen. Dieses Konzert findet in Kooperation mit dem Landesmarketing MV und mit freundlicher Unterstützung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, der NORD/LB Kulturstiftung sowie der Oscar und Vera Ritter-Stiftung statt. Für das Konzert gibt es unter Umständen noch Restkarten an der Abendkasse.
Auf dem Programm stehen neben Eigenkompositionen von Gerassimez Werke anderer Komponisten. Aus der Feder des Percussionisten stammt unter anderem das Stück Eravie für Marimba Solo. Die Idee für das Werk hatte Gerassimez, als er das Stück „Otche Nash“ – Vater unser – des russischen Komponisten für liturgische Musik, Nikolai Kedrov Sr. hörte. Gerassimez spielte nach eigener Aussage die ersten Noten des Stücks und versuchte anschließend, das Instrument selbst „singen“ zu lassen.
Alexej Gerassimez wird auch „Chega de Saudade“ des brasilianischen Komponisten Antonio Carlos Jobim spielen. Das Stück, komponiert Ende der 50er Jahre, wird oft als erster jemals aufgenommener Bossa Nova bezeichnet.“Chega de Saudade“ ist vielfach und mit unterschiedlichsten Besetzungen interpretiert worden. Bei Alexej Gerassimez darf man allerdings auf eine ganz besondere Version gespannt sein. Darüber hinaus stehen Werke von Andrew Thomas, Javier Alvarez und Iannis Xenakis auf dem Programm.
Gemeinsam mit seinem Bruder Nicolai erhielt der Percussionist Alexej Gerassimez 2006 den NORDMETALL-Ensemblepreis der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Als Preisträger in Residence prägt er den Festspielsommer 2017 mit 24 Konzerten. Der 1987 in Essen geborene Schlagzeuger ist als Musiker so vielseitig wie sein Instrumentarium. Sein Repertoire reicht von Klassik und Neuer Musik über Jazz bis zu Minimal Music und erweitert sich zusätzlich durch eigene Kompositionen. Im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten der Elbphilharmonie in Hamburg wirkte Alexej Gerassimez an Sasha Waltz’ choreografischer und musikalischer Raumerkundung mit.
Als Solist ist er zu Gast bei international renommierten Orchestern wie der NDR Radiophilharmonie Hannover, den Münchner Philharmonikern, dem Konzerthausorchester Berlin, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR oder dem Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter der Leitung von Dirigenten wie Tan Dun, Kristjan Järvi oder Eivind Gullberg Jensen.
Zudem gestaltet er Soloprogramme, ist ein begeisterter Kammermusiker und tritt mit seinem Percussionensemble auf. Zusätzlich zu seinem üblichen Instrumentarium nutzt Alexej Gerassimez auch Objekte aus eigentlich musikfernen Kontexten, wie Bremsscheiben, Fässer oder Schiffsschrauben. Inspiration bezieht der Schlagzeuger dabei aus den Klängen und Rhythmen des Alltags.
Seine erste CD (Label GENUIN, 2012), die auch eigene Kompositionen beinhaltet, wurde von der Presse begeistert aufgenommen. Alexej Gerassimez kann auf eine große Anzahl an Wettbewerbserfolgen zurückblicken, darunter der zweite Preis beim Internationalen Musikwettbewerb der ARD 2014 und der erste Preis sowie Publikums-, Presse- und Sonderpreis bei der TROMP Percussion Competition 2010. Sein Studium absolvierte er an den Musikhochschulen in Köln, Berlin und München. Inzwischen ist er Gastdozent am Mozarteum Salzburg und in Birmingham.
Gerassimez ist langjähriger Stipendiat der Deutschen Stiftung Musikleben, die ihn mit Preisen und Stipendien, einer Patenschaft und zahlreichen Konzertauftritten förderte und ihn 2006 erstmals für einen Auftritt bei den Festspielen empfahl. Gefördert wurde er zudem u. a. von der Studienstiftung des deutschen Volkes, dem PE-Förderkreis und der Jürgen Ponto Stiftung. 2016 wurde ihm der Musikpreis des Verbands der Deutschen Konzertdirektionen verliehen.
Der VEB Reparaturwerk Neubrandenburg (kurz: RWN) wurde 1953 mit der Aufgabe gegründet, Militärfahrzeuge der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, aber auch der anderen Warschauer-Pakt-Staaten, insbesondere der Sowjetunion, instand zu setzen. Hierfür nutzte man die übergebliebenen Hallen der einstigen Torpedo-Versuchsanstalt. Diese war 1941 von der Wehrmacht gegründet worden, um im Tollensesee mittels Forschung die Laufrichtung der deutschen Torpedos zu präzisieren, um so die Trefferwahrscheinlichkeit im späteren Einsatz zu erhöhen.
Das Hauptaugenmerk für das RWN wurde auf den Panzertyp T-34 gelegt, später kamen weitere Schützenpanzer und Spezialfahrzeuge sowie die Panzerserien T-55 und T-72 hinzu. Als Rüstungsbetrieb unterlag die Arbeit im Werk der Geheimhaltung und durfte nicht öffentlich gemacht werden. Vereinzelte Geschäfte, u. a. mit dem Iran, waren zudem politisch brisant und wurden öffentlich verschwiegen.
Die Mitarbeiterzahl des RWN stieg von anfänglich 700 schnell auf über 2.000 an. Ende der 80er-Jahre zählten dann schließlich über 5.000 Mitarbeiter zum Betrieb, der damit der größte Arbeitgeber der Region war. Die Wende brachte das Ende der NVA und des Warschauer Paktes mit sich und damit eine neue Aufgabe: Abrüstungs- und Verschrottungsaufträge. Doch schon 2001 musste aufgrund mangelnder Aufgaben der Betrieb endgültig eingestellt werden. Große Teile des Geländes gingen an die Stadt, die wiederum an Investoren verkaufte. Geplant ist nun ein vielfältiges Nebeneinander von Kultur, Industrie, Freizeit und Wohnen.
Pressemitteilung / Festspiele M-V