Zuversicht schöpfen aus Vertrauen

Ansprache des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, im Ökumenischen Gottesdienst „60 Jahre Grundgesetz“ am 22. Mai im Berliner Dom

EKD„Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Unter diesem biblischen Leitwort steht in unseren Kirchen das Jahr 2009. So antwortet Jesus auf die erstaunte Frage seiner Jünger, wer denn überhaupt selig werden kann, wenn es schon einem reichen Jüngling so schwer fällt, von seinem Reichtum abzulassen, um sich ganz der Nachfolge Jesu zu widmen.

Wer kann denn dann überhaupt vor Gott bestehen, wird Jesus gefragt. Seine Antwort heißt: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“

Für Politikerinnen und Politiker ist es in diesem Jahr ein vertrautes Gefühl, dass für Menschen Unmögliches gefordert wird. Es ist ein strapaziöses Jahr. Eine außerordentlich große Zahl von Wahlen, Jubiläen und internationalen Konferenzen verbindet sich mit einer schweren Wirtschaftskrise.

Neue Wirtschaftsdaten und Steuerschätzungen können denen, die für das Geschick unseres Landes und für die Zukunft Europas, ja für unsere globalisierte Welt Verantwortung tragen, schier den Atem nehmen. Wenn wir an die Sorgen derer denken, die um ihre tägliche Arbeit oder um das tägliche Brot für ihre Kinder bangen, gilt das erst recht.

Da ist es wichtig, innezuhalten und aus dem Vertrauen auf Gott neue Zuversicht zu schöpfen. Denn wie sollte man derart dichten Herausforderungen standhalten ohne Zeit zum Durchatmen, zum Gottvertrauen, zum Gebet?

„Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Wer sich an die Entstehung der freiheitlichen, demokratischen Ordnung des Grundgesetzes vor sechzig Jahren erinnert, dankt Gott für ein großes Wunder, das uns widerfahren ist. Aus den Trümmern der Diktatur entstand ein neues demokratisches Gemeinwesen.

Das Grundgesetz, dessen Jubiläumstag uns zusammenführt, gibt uns den Ton vor, in dem wir heute Gottesdienst feiern. Seine Maßstäbe zeigen sich daran, dass Menschenwürde und Demokratie, Rechtsstaat und Bundesstaat nicht zur Disposition des Gesetzgebers stehen, auch nicht mit verfassungsändernder Mehrheit.

Es anerkennt, dass wir alle, Regierende wie Regierte, nur Menschen mit begrenzter Vollmacht sind. Es respektiert, dass zur politischen Loyalität die Freiheit gehört, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Es stellt unser menschliches Handeln unter den Vorbehalt: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich.“ Wir danken Gott für eine gute und bewährte Verfassung. Als der Weg zur deutschen Einheit sich öffnete, wurde das Provisorium bestätigt.

Das Grundgesetz bewährt sich nun seit zwanzig Jahren für ganz Deutschland. Es zieht die Lehren aus dunkler deutscher Vergangenheit. Es knüpft an das christliche Menschenbild an, bietet aber allen Bürgerinnen und Bürgern unabhängig von ihren jeweiligen religiösen Überzeugungen eine Heimstatt.

Diese Verfassung geht von der gleichen Würde jedes Menschen aus. Sie orientiert sich nicht am Recht des Stärkeren, sondern an der Stärke des Rechts. Bei klarer Unterscheidung zwischen dem Staat und den Kirchen ermöglicht sie deren Zusammenwirken zum Wohle der Menschen. Sie rückt alles staatliche Handeln in den Horizont der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“.

Denn der Staat kann nicht alles; er ist auf Voraussetzungen angewiesen, die er nicht selbst hervorbringt. Er braucht das Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger.

Die Kirchen begegnen unserem demokratischen Rechtsstaat in kritischer Solidarität. Sie treten auf die Seite der Menschen, die ihren Platz in unserer Gesellschaft suchen, die an den Rand geraten und Beistand brauchen.

Eben deshalb stehen sie Menschen in politischer Verantwortung bei, nicht zuletzt in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise, in denen politisch Verantwortliche ins Ungewisse hinein handeln müssen.

Dass in Deutschland alle Menschen in Freiheit und Selbstbestimmung leben, ihren Glaubensüberzeugungen folgen und ihren Beitrag zum Gelingen des gemeinsamen Lebens leisten können, ist ein starker Grund dafür, dass wir in diesem Gottesdienst Gott danken und ihn loben. Wir trauen dem Grundgesetz Dauer zu.

Aber Gottesdienst feiern wir nicht dem Grundgesetz zu Ehren. Denn nicht einmal eine bewährte Verfassungsordnung ändert etwas daran, dass wir Gottesdienst immer nur aus einem Grund feiern, allein Gott zur Ehre.
Amen.

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick

F.: EKD.