„Wollen eine Politik im Interesse der Mehrheit …“

Die Politikerin Sahra Wagenknecht von der LINKEN über den Bundesparteitag in Rostock, deutsche Vergangenheit und Gegenwart, ihr Politik-Verständnis und die Defizite in der real existierenden Demokratie

Der Rostocker „Kahn“ neigt sich nach links. Das gilt jedenfalls für Mitte Mai, denn die erste Tagung des zweiten Bundesparteitag der LINKEN wird am 15.5. und 16.5. in der Hanse- und Universitätsstadt stattfinden.

Dort werden unter anderem die Gremien der Partei DIE LINKE auf Bundesebene neu gewählt. Als stellvertretende Parteivorsitzende geht Sahra Wagenknecht ins Rennen, neue Bundes-Vorsitzende der LINKEN sollen Klaus Ernst und Gesine Lötzsch werden.

Frage: Die Linken zieht es anscheinend gern in den Nordosten. Vertraut  man der dortigen treuen Stamm-Wählerschaft der LINKEN; liegt es an der herrlichen Landschaft und der guten Luft oder will die gesamte Partei in der Ostsee baden gehen – vorausgesetzt es gibt genügend geübte Schwimmer … ?! Aber ernsthaft: Welche „Signale“ erhoffen Sie sich vom
Bundesparteitag in Rostock ?

Sahra WagenknechtSahra Wagenknecht: In Rostock geht es darum, eine neue Führung für DIE LINKE zu wählen. Über die Frage, wie ihre künftige Führungsstruktur aussieht, hat DIE LINKE gerade einen Mitgliederentscheid abgehalten. Das Ergebnis mit einer Zustimmungsquote von 84,5% zeigt, dass es in dieser Frage eine große Übereinstimmung in der Partei gibt.

Für die neue Führung liegt ein solider Personalvorschlag vor, der von den Landesvorsitzenden der Partei mit ausgearbeitet wurde und in dem sich die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Partei wieder finden können.

Der Parteitag in Rostock wird über diesen Vorschlag diskutieren und dann entscheiden, wer der neuen Führung der LINKEN angehören soll. Ich hoffe, dass das Ergebnis signalisieren wird: DIE LINKE steht mit großer Mehrheit hinter der neuen Führung und hinter dem erfolgreichen Kurs, für den Oskar Lafontaine steht und der jetzt fortgeführt werden muss.

Frage: Sie selbst sind eine glänzende Analytikerin. Ihr Buch „Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft“ ist sehr anregend. Einige  politische Konsequenzen, die sich für Sie persönlich aus der „Finanz- und Wirtschaftskrise“ ergeben sind natürlich sehr diskussionswürdig.
Auch wenn man nicht unbedingt Ihrer Meinung ist, Sie lieferten eine interessante Analyse des „Finanzcrashs“ ab.

Aber mal offen: Glauben Sie nicht, dass in der Realität alle gesellschaftlichen Utopien schon allein aufgrund der Tatsache scheitern, da der Mensch nun einmal nicht naiv, sondern ganz einfach primitiv ist, wie es schon in einem Song von Marius Müller-Westernhagen heißt … Der Mensch ist nun einmal nicht „ohne Weiteres“ wirklich zu Solidarität und/oder christlicher Nächstenliebe bereit. Selbstsucht, Gier, Missgunst, Neid und Hass sind ihm nun einmal „in die Wiege“ gelegt, wenn auch in unterschiedlichster Ausprägung.

Glauben Sie daher wirklich an eine erfolgreiche Alternative zur „real existierenden Demokratie“ ?

Sahra Wagenknecht: Ich betrachte es nicht im Geringsten als naiv, mich für eine Verbesserung der Gesellschaft und für eine Überwindung des herrschenden ungerechten Wirtschaftssystems einzusetzen. Mit welch eklatanten Mängeln das derzeitige System behaftet ist, zeigt doch gerade erst die momentane Krise.

Es geht der LINKEN nicht um das Träumen von einem Wolkenkuckucksheim. Es geht uns um andere Macht- und  Eigentumsverhältnisse, die wirkliche Demokratie erst möglich machen, und um wirksame Regeln, damit Politik nicht mehr im Interesse einer kleinen reichen Schicht, sondern im Interesse der Mehrheit der Menschen gemacht wird.

Frage: Trotz vieler anregender Diskussionsbeiträge: Sie machen es dem neutralen Beobachter nicht einfach, Sie einfach – gerade im politischen Sinne – sympathisch zu finden. Ihre oftmals relativierenden Äußerungen zu den Verbrechen, gravierenden Menschenrechtsverletzungen und zum Spitzelsystem in der DDR sind oftmals ziemlich unerträglich.

Warum sagen Sie nicht ganz eindeutig, ohne „Wenn und Aber“ und ohne mit dem „Zeigefinger“ auf Andere zu verweisen:

– Ja, in der DDR gab es extremes Unrecht, wurden Menschen, ganz gleich aus welchem politischen Lager (Es waren ja auch bekennende Kommunisten darunter !), aufgrund ihrer Oppositionshaltung getötet, inhaftiert, bespitzelt und drangsaliert.

– Ja, in der DDR wurde eine Gesellschaftsutopie in der Realität diskreditiert.

– Ja, die DDR war eine Diktatur, die von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt wurde, und ist völlig zu Recht untergegangen. Denn Sie selbst wollen doch auch nicht zurück zur DDR.

Warum gehen Sie nicht auf die Opfer der DDR-Diktatur zu und zeigen deutlich ihre Anteilnahme – mal ohne gleichzeitig auf die Defizite der heutigen deutschen Demokratie hinzuweisen ?

Sahra WagenknechtSahra Wagenknecht: Die beständige Wiederholung, ich würde die DDR bejubeln oder gar Verbrechen bagatellisieren, macht diesen Vorwurf nicht wahrer. Es entspricht einfach nicht den Tatsachen, dass ich der DDR unkritisch gegenüber stehen würde oder Verbrechen, die begangen wurden, verharmlose.

Ja, vieles, was geschehen ist, hat den Sozialismus diskreditiert. Trotzdem bin ich nicht bereit, in den Chor derjenigen einzustimmen, die die DDR in Bausch und Bogen verdammen oder gar auf eine Ebene mit dem Hitlerfaschismus setzen. Damit wird man der damaligen Realität, bei allen Unzulänglichkeiten, nicht gerecht. Was meine Aufgabe betrifft, so sehe ich diese darin, mich mit den drängenden Problemen der Gegenwart zu beschäftigen.

Frage: Die LINKE stellt sich oft als Interessenvertretung der sozial Schwachen dar. Aber gleichzeitig hat sie die Macht stets im Blick. Manche würden sagen, die LINKE ist „machtgeil“. In Ludwigslust fand am 17.April ein Landesparteitag statt, auf dem sich der Fraktionsvorsitzende der Linken im Schweriner Landtag, Helmut Holter, zum Spitzenkandidaten küren ließ. Zudem will er unbedingt Ministerpräsident werden.

Wird bei den Linken, wie bei anderen Parteien übrigens auch, erst nach den Posten geschaut noch ehe die Inhalte geklärt sind ?

Sahra Wagenknecht: Es geht der LINKEN darum, eine andere Politik durchzusetzen. Wir sind gegen Privatisierung und Sozialabbau, wir lehnen Krieg ab und sind für Umverteilung von Oben nach Unten. Wir wollen keine Rente mit 67 und sind für die Abschaffung von Hartz IV. Damit unterscheiden wir uns grundlegend von den anderen Parteien. Dies gilt sowohl in der Opposition als auch in Regierungsverantwortung.

Deshalb haben wir ja auch in den aktuellen Programmentwurf geschrieben, dass die LINKE sich in Zukunft nur noch dann an Koalitionen beteiligen wird, wenn Mindestbedingungen für eine soziale Politik erfüllt sind.

Frage:
Das vereinigte Deutschland feiert 2010 zwanzigsten Geburtstag. Was sind für Sie persönlich die positiven Momente der deutschen Einheit ? Das Negative werden Sie ja auch ohne Frage nicht vergessen zu erwähnen …

Sahra Wagenknecht: Von der Polemik Ihrer Fragestellung mal abgesehen, bin ich tatsächlich der Ansicht, dass es vieles gibt, was sich nicht zufrieden stellend entwickelt hat. Mit dieser Meinung stehe ich übrigens bei weitem nicht alleine, wie Umfragen zeigen.

Die Hoffnungen, die viele Menschen mit der Einheit verbunden haben, sind nicht aufgegangen – es gibt eine immer größer werdende Kluft zwischen Reich und Arm, es gibt Massenarbeitslosigkeit bei sinkenden sozialen Leistungen, es gibt große regionale Einkommensunterschiede und es gibt eine wachsende Verhärtung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, wie erst jüngst die unsägliche von Guido Westerwelle angestoßene Debatte über das angebliche Luxusleben von Hartz-IV-Empfängern gezeigt hat. Darüber können auch die unstrittig positiven Dinge wie die Reisefreiheit und die größere politische Freiheit, die mit der Einheit verbunden sind, nicht hinwegtäuschen.

Frage:
Mal weg von der großen Politik hin zum großen Sport. Kürzlich fanden die Winterspiele in Vancouver und in Whistler statt. Aus deutscher Sicht setzten bei den „Olympics“ und „Paralympics“ vor allem die deutschen Damen die Akzente, so Maria Riesch, Magdalena Neuner, Verena Bentele, Tatjana Hüfner, Claudia Nystad, Evi Sachenbacher, Stephanie Beckert, Viktoria Rebensburg, Andrea Rothuss oder Kerstin Szymkowiak. Sind Frauen nicht mittlerweile überall in der Gesellschaft auf der „Überholspur“ ?! Wie erklärt eine linke Politikerin dieses „Phänomen“ ?

Sahra Wagenknecht: So schön die sportlichen Erfolge einiger Spitzenathletinnen sind, so lässt sich doch daraus kaum ein genereller gesellschaftlicher Trend ablesen. Das Gegenteil ist der Fall. Frauen haben immer noch ein deutlich geringeres Einkommen als Männer, sie arbeiten überproportional in schlecht bezahlten Jobs, oft in Teilzeit.

Dadurch und durch oft hinzukommende unbezahlte Ausfallzeiten in der Erwerbsbiographie aufgrund von Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen haben Frauen Stadthalle Rostockdurchschnittlich ein entsprechend miserables Rentenniveau. Die grassierende Arbeitslosigkeit, von der Frauen insbesondere betroffen sind, droht die Problematik noch zu verschärfen.
Auch in den Führungsetagen sieht es für Frauen weiterhin nicht gut aus. Bislang liegt der Frauenanteil in den Vorständen deutscher Unternehmen bei gerade einmal 2,5%.

Sogar ein Vorschlag wie die jüngst erfolgte unverbindliche Absichtserklärung des Telekom-Chefs Rene Obermann, eine Verbesserung der Frauenquote im mittleren und höheren Management bis 2015 auf 30 Prozent erreichen zu wollen, stieß umgehend auf Zurückweisung durch fast alle DAX-Konzerne. Und der Frauenanteil im Bundestag liegt bei 32,1% und damit sogar noch niedriger als 2002.

Trotz aller politischen Unterschiede: Viel Erfolg bei Ihrer Kandidatur in Rostock und weitere interessante Beiträge, ganz gleich in welcher Form, die zum Diskutieren anregen !

> > Angepasst – alles andere als das …
Anfang der 1990er Jahre noch als Neo-Stalinistin medial tituliert, ist die linke Politikerin Sahra Wagenknecht, Jahrgang 1970, studierte Philosophin und Germanistin (Neuere Deutsche Literatur), auch eine ambitionierte Wirtschaftswissenschaftlerin.

Ihr Buch „Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft“ ist eine glänzende Analyse der gegenwärtigen ökonomischen und finanzpolitischen Bedingungen, auch wenn man nicht alle Schlussfolgerungen mit ihr teilen mag.

Vieles muss an dem Bild der Sahra Wagenknecht wohl ebenfalls grundlegend revidiert werden. In einem „taz“-Interview vom 30.April 2010 gab sie tiefgründigere Einblicke in ihr Leben in der DDR. Die Unterstellungen, sie sei in der DDR angepasst, eine Vorzeige-Jungpolitikerin der SED und glühende Anhängerin der DDR gewesen, werden deutlich widerlegt.

Das ändert zwar nichts, an einigen mehr als missverständlichen Einlassungen von ihr zur DDR Anfang der 1990er Jahre, aber neue Einsichten, neue Sichtweisen sollten jeder und jedem im Lauf des Lebens zugebilligt werden. Wie meinte schon der einstige Innenminister und Sozialdemokrat Otto Schily „Nur ein Idiot ändert sich nicht !“. Auch wenn man noch heute die politischen Auffassungen von Sahra Wagenknecht nicht teilen mag, anregend sind ihre Beiträge, ob in mündlicher oder schriftlicher Form, immer. Also eine Politikerin mit und aus Leidenschaft.

Wie viele Politiker, gleich welcher Parteibuch-Farbe, können das schon von sich aufrichtig behaupten …
Die Mehrheit sicherlich nicht !

Marko Michels

Foto:

1. Sahra Wagenknecht
2.Eine glänzende Analyse „Wahnsinn mit Methode – Finanzcrash und Weltwirtschaft“
3.Tagungsort des Bundesparteitages der LINKEN  in Rostock – die Stadthalle