Vor 55 Jahren: Intensivierung der Bespitzelung der sozialen Demokraten im Landkreis Wismar

Aufbegehren gegen das sich etablierende SED-Regime

Der Monat November in der deutschen Geschichte: ereignisreich, tragisch und zugleich auch hoffnungsvoll. Während man den Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, an die verfolgten und ermordeten Deutschen jüdischen Glaubens insbesondere aus Anlass der „Reichspogromnacht“ 1938 gedachte, sei auch an die Bedrängten und Unterdrückten in der kommunistschen Diktatur erinnert, in der von Beginn an, seit Juni 1945 ff., Andersdenkende drangsaliert und bespitzelt wurden.

Schwerpunkt der Spitzeltätigkeit der kommunistischen „Sicherheitsorgane“ bzw. der Staatssicherheit war auch die neben Rostock bedeutendste sozialdemokratische Hochburg in Mecklenburg, die Hansestadt Wismar bzw. der Landkreis Wismar.

Nach 1945 hatte sich Wismar zu einem Zentrum des Widerstandes gegen die kommunistischen Vereinnahmungs- sowie Vereinigungsbestrebungen entwickelt; der SPD-Kreisvorsitzende Karl Moritz, der Oberbürgermeister Herbert Säverin oder der Landrat Robert Brinkmann argumentierten offen gegen die „Einheits“kampagne der KPD-Landesleitung.

Dazu schreibt ein kommunistischer Spitzel in seiner „politischen Analyse“ für die Kreisparteikontrollkommission vom 13.Februar 1953: „ … Nach 1945 bis zur Vereinigung hatte die SPD 46 und die KPD 42 Mitglieder. Die Zusammenarbeit in dieser Zeit war nicht besonders gut, es traten dort besonders politische Auseinandersetzungen auf, wer die Schuld hatte, dass die Nazis es so wie gebracht hatten, das deutsche Volk in Not und Elend zu stürzen.

Eine wirkliche ideologische Auseinandersetzung in den Mitgliederversammlungen der beiden Arbeiterparteien (im Landkreis Wismar – red. Anm.) über die Vereinigung ist nicht durchgeführt worden. Es besteht auch heute noch (1953 – red. Anm.), wenn es auch nicht äußerlich zum Ausdruck kommt, ein Gegensatz zwischen dem Genossen Oeser, welcher Mitglied der KPD war und nach der Vereinigung Sekretär wurde, und zwischen dem Genossen Mahn, der Mitglied der SPD war und heute Sekretär der Parteiorganisation ist. Auch wurde von dem ehemaligen Vorsitzenden (der SPD – red. Anm.) (Karl) Moritz aus Wismar  in einer nach der Vereinigung stattgefundenen Mitgliederversammlung besonders die SPD hervorgehoben (Karl Moritz sowie SPD-Genosse Wiese und SPD-Genosse Joseph Kraft (wohnhaft in Warin) aus Wismar waren Gegner der Vereinigung) …“. (BStU, Außenstelle Schwerin, Abt. XX, Rep. 2/104, BV Rostock)

Intensivst wurde auch jegliche „Erscheinung“ des „Sozialdemokratismus“ im Landkreis Wismar von den kommunistischen „Sicherheitsorganen“ beobachtet. So notierte der kommunistische Spitzel in seinem Bericht über die Kleinstadt Neukloster folgendes: „ … Der Genosse Brinker war vor 1933 und nach 1945 Mitglied des Vorstandes der SPD in Neukloster und (ist) heute noch ein eingefleischter Sozialdemokrat. Der Genosse Brinker brachte in einem Schreiben an die Ortsleitung (der SED) zum Ausdruck, dass die alten Genossen (der SPD) nicht mehr (in der SED) mitmachen wollen, mit den jungen Genossen will er nichts zu tun haben und auch nicht mit denen, die 1945 einer Linkspartei (Gemeint ist die KPD – red. Anm.) beigetreten sind.

Der Genosse Wilhelm Dombrowski (Kiesgrubenbesitzer und Straßenbauunternehmer/nach 1945 SPD – red. Anm.) sagte zu dem Kollegen Walter Gerhardt (nach 1945 SPD – red. Anm.) nach einer Verhaftung des Mühlen- und Bäckereibesitzers Lüth (nach 1945 SPD, wegen seiner antikommunistischen Gesinnung verhaftet – red. Anm.) folgendes: `Wir müssen dafür sorgen, dass Otto Lüth wieder freigelassen wird. Heute ist es Otto Lüth, morgen bist du es und übermorgen kann ich es sein, der verhaftet wird.` Auch die Genossin Marta Post (nach 1945 SPD – red. Anm.) äußerte sich in derselben Angelegenheit: `Wir müssen die SPD mobilisieren.`, um den nach ihrer Meinung immer hilfsbereiten Otto Lüth wieder frei zu bekommen … Auch einige andere Genossen (der SPD), die zum Kreis des Genossen Brinker gehören, sind eifrige Hörer des feindlichen Rundfunks, dieses trifft zu bei der Genossin Haase (nach 1945 SPD – red. Anm.), die eine Schwester des Genossen Brinker ist … Der Genosse Schlomann war vor 1933 und nach 1945 Vorsitzender der SPD in Neukloster, …, nimmt jetzt auch sehr wenig am (SED-)Parteileben teil.

Er ist kein Freund der Sowjetunion, darüber äußerte er sich wie folgt: `Die Russen haben mir nach dem Zusammenbruch das Schuhwarenlager geräumt und darum kann ich kein Freund der Sowjetunion sein. ` Ferner erklärte er in einer Leitungssitzung, dass er den RIAS und den Nordwestdeutschen Rundfunk, aber nicht unseren Rundfunk hört, um den goldenen Mittelweg gehen zu können …“. (BStU, Außenstelle Schwerin, Abt. XX, Rep. 2/104, BV Rostock)

Der ehemalige Sozialdemokrat Gerd Schlomann wurde nach diesem Bericht – aufgrund „sozialreformistischer Bestrebungen“ – aus der SED ausgeschlossen.
Bereits 1948 wurde Karl Moritz, u.a. aufgrund seiner Ostbüro-Kontakte von Vertretern des NKWD verhaftet und von einem russischen Militärtribunal zu einer mehrjährigen Haftstrafe vin einem Arbeitslager in der Nähe von Workuta verurteilt, nachdem er bereits seit Juni 1945 von den kommunistischen „Sicherheitsorganen“ observiert wurde.

SPDRobert Brinkmann wurde zuvor – im Jahre 1948 – als Landrat des Landkreises Wismar abgesetzt und aus der SED – aufgrund seiner sozialdemokratischen Gesinnung – ausgeschlossen. Willi Visser, als ehemaliger Sozialdemokrat Kontaktmann des SPD-Ostbüros in Wismar, mußte 1948 aufgrund einer drohenden Verhaftung nach Westdeutschland fliehen. Damit zeigten führende Kommunisten in der SED, wie Kurt Bürger, Hans Warnke oder Bernhardt Quandt, und vor allem die russische Besatzungsmacht, dass sie bestrebt waren mit Gewalt und Repressalien eine Stalinisierung der Gesellschaft in Mecklenburg gegen jeglichen Widerstand durchzusetzen.

M.Michels

F.: Wahlkampfplakat der SPD zur Bundestagswahl 1949. Den Zielen der westdeutschen SPD fühlten sich die Sozialdemokraten in M-V, auch in Wismar, wie Karl Moritz, Herbert Säverin oder Willi Visser, verpflichtet.