Nachdenkliche und empfehlenswerte Filme über sportliche Schicksale
Gegenwärtig, noch bis zum 5.Mai, findet das Filmkunstfest M-V in Schwerin statt. Hauptspielstätte ist dabei das 1936 eröffnete traditionsreiche Kino CAPITOL. Dabei sind Filme jenseits des Mainstreams zu sehen, die realistisch, fundiert und kompetent auch deutsch-deutsche Wirklichkeiten zeigen.
Auch Filme über den Sport sind zu sehen. Nachdenkliche Beiträge, die zum Diskutieren, Innehalten und Reflektieren auffordern. Zwei Film-Beiträge sind dabei besonders empfehlenswert:
Der Dokumentarfilm „Einzelkämpfer“ der Regisseurin und ehemaligen Wasserspringerin Sandra Kaudelka (am 3.Mai um 16.00 Uhr im Capitol 2), der über Sportlerinnen und Sportler, wie der gebürtigen Wismarerin, ehemaligen Leichtathletin des SC Empor Rostock und 400 Meter-Olympiasiegerin 1980, über Udo Beyer, den Olympiasieger 1976 im Kugelstoßen, und über Ines Greipel, der früher erfolgreichen DDR-Sprinterin, Publizistin, studierten Philosophin bzw. Soziologin und Sporthistorikerin, berichtet – über deren Haltung und Ansichten auch zum DDR-Sportsystem.
Ein Film über das persönliche Verdrängen und das persönliche Offenlegen, über den politischen Missbrauch des Sportes, über das Instrumentalisieren der Sportler für politische Zwecke und über kriminelle Machenschaften im Sportsystem. Ein großartiger Film, gerade weil er polarisiert, weil er zum Mitdiskutieren anregt und weil er so engagiert sowie fundiert über sportliche Einzelkämpfer, ja Einzelschicksale berichtet.
Das gilt auch für den Film von Heinz Brinkmann „Fallwurf Böhme – Die wundersamen Wege eines Linkshänders“ (am 4.Mai um 14.30 Uhr im Capitol 2). In diesem Film, der in der Reihe „gedreht in M-V“ präsentiert wird, steht das Schicksal des Weltklasse Handball-Spielers Wolfgang Böhme im Vordergrund, Spieler beim SC Empor Rostock, der Olympia-Vierter 1972, Vize-Weltmeister 1974 und WM-Dritter 1978, jeweils mit der DDR-Auswahl wurde. Der sich nicht anpasste, mit dem System brach, den die Stasi zerstören wollte – und dabei um den Olympiasieg 1980 mit der DDR gebracht wurde. Ein Sportsmann jedoch, der sich nicht zerstören ließ, der standhaft blieb und sich nicht beugte.
Ja, auch das war der DDR-Sport. Aber das war eben nicht allein im DDR-Sport so. Nicht nur im Ostblock, nein auch im Westblock, wurde und wird der Sport für wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Zwecke missbraucht. Das war bis 1990 so, das ist noch immer der Fall, wie die zahlreichen Dopingfälle in den verschiedensten Sportarten in aller Welt bis heute offenbaren. Die Politik bedient sich der Sportler, um sich im Glanze der Medaillen mitzusonnen. Politik läßt sich mit einem Sportidol mit Goldmedaillen ja besonders gut und exklusiv verkaufen. Auch die Wirtschaft benötigt ihre sportiven „Litfass-Säulen“, um ihre Produkte „loszuwerden“. Und was einige Sportmediziner taten, damit Sportlerinnen und Sportler zu Instrumenten der Macht umfunktioniert wurden/werden, ist hinreichend bekannt.
Es gibt aber große Sportler-Persönlichkeiten, die sich dem widersetzen. Es werden sogar immer mehr. Eine Hoffnung. Auch für den Nachwuchs, der damit echte Vorbilder erhält.
Ein Beispiel dafür ist auch die Kanu-Rennsportlerin Carola Zirzow, verheiratete Drechsler, über die Rostock-Sport 2011 berichtete …
Nachgefragt bei Carola Drechsler (SCN), die 1976 das erste Olympia-Gold für eine Kanu-Rennsportlerin aus M-V errang, über ihre aktive Zeit, erlittene Widrigkeiten und neue Hoffnungen …
„Olympia war für mich etwas ganz Großes …“
Frage: Frau Zirzow, Sie waren 1976 die Sportlerin, die den ersten Olympiasieg für Neubrandenburg gewann. Wie erlebten Sie die Wettkämpfe 1976?
Carola Drechsler: Für mich als junge DDR Sportlerin waren die Olympischen Spiele in Montreal etwa ganz Großes.
Ich hatte mich zwar für den olympischen Kajak-Einer qualifiziert, was aber noch lange nicht hieß, diesen auch wirklich bei der Olympiade „paddeln“ zu können. Wir hatten nämlich noch vier Wochen vor den Spielen in Kanada ein Trainingslager, in dem es für mich dann täglich darauf ankam, bei allen Trainings-Rennen als Erste ins Ziel zu kommen. Erst danach wurden endgültig die Boote und die Besatzung festgelegt. Als ich dann als Kajak-Einer-Fahrerin fest nominiert wurde, fiel eine große Last von mir.
Die Wettkämpfe an sich waren für mich ja nichts Ungewöhnliches, da die Konkurrenz faktisch die gleiche wie bei allen Weltmeisterschaften war. Mit diesem Gedanken bin ich dann auch in den Wettkampf gegangen, um die Nervosität zu bekämpfen. Mir war im tiefsten Inneren schon bewusst, dass ein Olympia-Start etwas ganz besonderes ist und man nur alle vier Jahre diese Chance bekommt. Daher war ich sehr erleichtert, als ich dann am Ende wirklich als Erste die Ziellinie überquerte.
Freuen konnte ich mich dabei am Anfang noch gar nicht so richtig. Ich war einfach nur froh und glücklich, alles geschafft und damit alle Erwartungen erfüllt zu haben.
Frage: Wie war ansonsten die Stimmung bei Olympia 1976 in Montreal? Konnten Sie zumindest ein wenig von Land und Leuten mitbekommen?
Carola Drechsler: Von der Stadt Montreal haben wir gar nichts gesehen – einmal abgesehen von der Regattastrecke und der Fahrt dorthin.
Wir konnten uns auch nicht selbstständig und frei bewegen. Ich glaube im Rückblick sagen zu können, dass wahrscheinlich auf jeden Sportler auch ein Stasi-Mitarbeiter kam, der wirklich alles bestens unter Kontrolle hatte.
Außerdem durften wir auch beim olympischen Abschluss-Ball mit keinem „fremden“ Sportler sprechen bzw. tanzen. … Im Gegenteil: Nach der offiziellen Ansprache musste das DDR-Team die Veranstaltung geschlossen verlassen. Wir hatten auch während der Wettkämpfe keine Gelegenheiten zu “ freundschaftlichen “ Gesprächen mit anderen Sportler aus aller Welt, wie es ja jetzt die Regel ist.
Frage: Wie verlief – in der Rückblende – der Gold-Wettkampf seinerzeit für Sie?
Carola Drechsler: Fast vierzig Jahre nach den Spielen kann ich sagen, dass ich kein Jahr meiner sportlichen Karriere bereue. Der Sport hat mich zu einer gewissen Persönlichkeit geformt. Mir hat meine aktive leistungssportliche Zeit riesigen Spaß gemacht, und ich fand mich beim SC Neubrandenburg mit meinem Trainer und mit meinen Trainingskollegen gut aufgehoben. Ich hatte damals keine Ahnung von den ganzen Stasi-Machenschaften.
Sicherlich war nicht jeder Tag gleich schön …Man hat auch geschimpft und sich im Schilf versteckt, weil man einfach keine Lust zum Trainieren hatte, aber die ganzen Erfolge waren dann doch ein schöner Lohn. Ich bin erst jetzt so richtig stolz auf meinen Olympiasieg, denn es ist nicht selbstverständlich, dass man genau zum richtigen Zeitpunkt fit ist. Ich glaube in der DDR hatte das noch eine größere Bedeutung als heute. Damals fiel man nämlich ohne Gnade durch das leistungssportliche „Raster“ …
Frage: Nach 1976 mußten Sie Ihre sportliche Laufbahn beenden. Was überwiegt mehr als 35 Jahre danach – Freude über den Olympiasieg oder Verbitterung angesichts der Ungerechtigkeit, die Ihnen widerfuhr?
Carola Drechsler: Einiges habe ich dazu ja schon angesprochen. Rund vierzig Jahre nach meinem ungewollten Karriere-Aus sehe ich diese Frage mit ganz anderen Augen. Damals bin ich natürlich in ein ganz tiefes Loch gefallen. Man hat mir von heute auf morgen gesagt, dass meine sportliche Laufbahn beendet ist.
Das hieß auch, dass ich seinerzeit mein Physiotherapie-Studium abbrechen musste (Anmerkung: Ich wollte später im Sport tätig werden.). Ich habe dann im damaligen Energie-Kombinat angefangen zu lernen und bin dann auch bis 1992 dort geblieben. Zusätzlich bildete ich mich dort einem Studium weiter.
Da ich ja sportlich nicht mehr so aktiv war – außer einem unkontrollierten Abtrainieren – war ich froh, meinen späteren Mann kennen gelernt zu haben. Zu meinen aktiven leistungssportlichen Zeiten hätte ich dafür gar keine Zeit gehabt.
Marko Michels