Vorgestellt: Christina Dittmer
Die 15.Paralympics in Rio de Janeiro stehen zurzeit im sportlichen Fokus. Aus Mecklenburg-Vorpommern waren und sind dabei siebzehn Athletinnen und Athleten aus Mecklenburg-Vorpommern aktiv vor Ort – Sportlerinnen und Sportler mit Handicaps aus dem deutschen Nordosten, die ihren Geburtsort oder ihren Verein in M-V haben.
Von Lindy Ave…
Eine von diesen Sportlerinnen ist Lindy Ave, die bei Rostock-Sport auch schon vorgestellt wurde. Lindy ist Jahrgang 1998, wurde in Neubrandenburg geboren und startet für die HSG Uni Greifswald.
Mit ihren knapp 18 Jahren konnte die gebürtige Neubrandenburgerin bereits einige herausragende Erfolge feiern, so bei den Junioren-WM 2015 mit Gold über die 100 Meter bzw. jeweils Silber über die 200 Meter bzw. im Weitsprung und bei den Junioren-WM 2016 mit jeweils Gold über die 100 Meter bzw. 200 Meter sowie mit Bronze im Weitsprung.
Bei den Elite-WM 2016 konnte Lindy ebenfalls überzeugen – mit fünften Rängen über die 100 Meter bzw. 200 Meter und mit Rang sechs im Weitsprung.
…und ihrer Entdeckerin Christina Dittmer
Entdeckt hat die ambitionierte Sportlerin, die bei den Paralympics 2016 weitere internationale Erfahrung im Elite-Bereich sammeln möchte, Christina Dittmer vom SC Neubrandenburg. Christina Dittmer war zugleich die erste Trainerin von Lindy Ave.
Christina Dittmer ist ohnehin eine Wegbereiterin des Sportes für Athletinnen und Athleten mit Handicaps beim SC Neubrandenburg. Sie baute beim SCN im Jahre 2007 eine Abteilung für den Handicap-Sport beim SCN auf, die insbesondere in den Bereichen Leichtathletik und Boccia in Deutschland und darüber hinaus einen ausgezeichneten Ruf hat.
Nachgefragt bei Christina Dittmer nach
Christina Dittmer über die Entwicklung der Abteilung für Sport mit Athletinnen bzw. Athleten mit Handicaps beim SCN, ihre Arbeit vor Ort, die bisherigen sportlichen Erfolge, Paralympics-Starterin Lindy Ave und die Suche nach einer Nachfolgerin bzw. einem Nachfolger
„Ein Entwicklungsprozess, der anstrengend war, aber zugleich viel Freude bereitete…“
Frage: Frau Dittmer, vor neun Jahren schufen Sie beim SC Neubrandenburg eine Abteilung für den Sport für Athletinnen bzw. Athleten mit Handicaps. Wie verlief die Anfangszeit? Welche Hürden waren zu meistern?
Christina Dittmer: Der Verband für Behinderten- und Rehabilitationssport M-V (VBRS MV) hat 2007 in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium ein Projekt ins Leben gerufen bei dem es darum geht, Menschen mit Behinderung genau solche Entwicklungschancen zu geben, wie zum Beispiel Kindern und Jugendlichen an den Sportgymnasien ohne Einschränkungen.
Ich wurde als Lehrerin bzw. Trainerin eingestellt und genau diese ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen den Schulen sowie dem Sportclub war aus der heutigen Sicht der einzige richtige Weg.
Heute habe ich mit dem Überregionalen Förderzentrum Neubrandenburg und der Kranichschule Neubrandenburg zwei Partnerschulen, bei denen die Schulleitungen und alle Kollegen hinter mir stehen.
Auch beim Sportclub Neubrandenburg war man nicht so sehr überzeugt davon, dass sich der Behindertensport etablieren kann. Anfang der 1990iger Jahre hatte man schon einmal eine Abteilung Behindertensport, die sich dann wieder aufgelöst hat. Zudem ist der Behindertensport sehr teuer. Kinder von Förderschulen und deren Eltern waren gewohnt, dass alle Leistungen kostenlos sind. Plötzlich sollte man Geld für zusätzliches Sporttreiben bezahlen. Das war nicht so leicht.
Des Weiteren mussten die Kinder an den Förderschulen lernen, dass man beim Training wirklich trainieren muss und dass nicht der Spiel-Spaß allein im Vordergrund steht. Das war ein mühevoller Entwicklungsprozess, der anstrengend war, aber auch immer Freude bereitete. Sonst hätte ich sicherlich nicht durch gehalten.
Frage: Wie ist inzwischen der Zuspruch zum Handicap-Sport beim SC Neubrandenburg aktuell betrachtet?
Christina Dittmer: Heute ist das ganz anders. Der Zuspruch in den Trainingsgruppen ist sehr gut. Heute fördere ich an der Kranichschule dreizehn Kinder und am ÜFZ Neubrandenburg zehn Kinder. Alle in der Sportart Leichtathletik. Nur die besten Sportler dürfen Mitglied beim Sportclub Neubrandenburg werden. Das ist ein Anreiz.
Frage: Insbesondere in der Leichtathletik und beim Boccia weisen die Neubrandenburger Sportlerinnen und Sportler mit Handicaps hervorragende Ergebnisse auf. Welche Erfolge waren dort in diesem Jahr zu verzeichnen?
Christina Dittmer: In der Leichtathletik haben wir in diesem Jahr an sehr vielen schönen Wettkämpfen teilgenommen. Bei den Landesmeisterschaften in Königs Wusterhausen waren die Medaillen unserer Sportler kaum zu zählen.
Aber auch beim Jugendländer-Cup in Rostock, bei dem die besten Sportlerinnen und Sportler aus ganz vielen Bundesländern an den Start gingen, waren wir mit einer Gold-, drei Silber- und einer Bronze-Medaille im Mehrkampf sehr erfolgreich.
Den krönenden Abschluss bildeten dann die Deutschen Meisterschaften in Berlin. Dort erreichten wir 19 x Gold, 7 x Silber und 8 x Bronze. Das sind einfach großartige Ergebnisse.
Im Boccia haben wir ebenfalls schon einige Erfolge erzielt, so insbesondere der dritte Platz bei den Deutschen Meisterschaften für schwerstbehinderte Menschen zu nennen. Darauf sind wir stolz.
Frage: Sie sind zugleich Entdeckerin der Leichtathletin Lindy Ave, die 2016 auch bei den Paralympics startet. Erinnern Sie sich noch an die Anfangszeit mit Lindy? Was zeichnet Lindy aus?
Christina Dittmer: Lindy war schon immer fleißig und diszipliniert. Im Training hat sie die anderen Sportler mit gezogen. Das ist noch heute so. Es ist eine Freude, sie zu beobachten.
Sie gibt immer 100 Prozent. Oft muss man sie bremsen. Ein „Zuviel“ ist bei ihr manchmal nicht gut. Bedingt durch ihre Krankheit verkrampfen dann ihre Muskeln und es geht gar nichts mehr. Das war auch früher schon so. Dann fiel sie beim Training oft aus.
Ein großer Dank gilt hier ihren Eltern. Sie glaubten stets an Lindy, haben alle nur möglichen Therapien mit ihr gemacht und sorgten stets für ihre medizinische Betreuung. Das hat sich ausgezahlt. Andere hätten vielleicht gesagt: Lindy darf keinen Sport mehr treiben, das ist gefährlich für die Gesundheit des Kindes…
Aber dem war nicht so und das Ergebnis sehen wir jetzt. Es hat sich gelohnt, dran zu bleiben.
Frage: Ende des Jahres gehen Sie in den sportlichen (Un-)Ruhestand. Ist schon eine Nachfolgerin bzw. ein Nachfolger beim SCN in Sicht?
Christina Dittmer: Ich hoffe wirklich sehr, dass wir einen Nachfolger finden. Die Stelle ist überall ausgeschrieben. Aber es wäre wirklich mehr als schade, wenn diese tolle Entwicklung nicht weiter gehen würde. Scheu vor der Arbeit mit behinderten Kindern und Jugendlichen ist völlig unbegründet. Das sind ganz normale Jugendliche. Sie sind ehrgeizig, fleißig, auch pubertär und haben eben ein Handicap. Was ist daran so schlimm. Man muss sie einfach achten. Dann macht diese Arbeit sehr viel Spaß. Ich habe auch bei Null angefangen.
Vielen Dank, weiterhin bestes sportliches Engagement und alles erdenklich Gute!
Marko Michels