Salafismus-Forscherin tauchte in die Szene ein

Nina Käsehage engagiert sich für Deradikalisierung junge Muslime

„Seit 2012 gibt es in Deutschland eine Hooligenisierung der salafistischen Szene. Sie ist gewaltbereiter geworden, hat weniger religiöses Wissen gegenüber den puristischen Salafisten und sie ist auch kompromissloser“, erklärt die Historikerin und Religionswissenschaftlerin der Universität Rostock,  Nina Käsehage, Jahrgang 1978.

Sie hat an der Georg-August-Universität zu Göttingen über die salafistische Szene in Deutschland promoviert. Dafür hat die Koran-Kundige 175 Interviews mit Salafisten in ganz Europa geführt, 105 davon in Deutschland. Inzwischen gilt die 38-Jährige als Spezialistin für Salafismus in der Bundesrepublik. Für ihre Forschung hat sich die junge Frau in die Szene begeben und setzte dabei auch ihre eigene Sicherheit aufs Spiel.

„Es bringt mich um den Schlaf, wenn ich erlebe, wie junge Leute aus allen Bildungsschichten in einer Art Trichter durch die Szene laufen und von dort aus in den Dschihad geschickt werden“, sagt die engagierte Wissenschaftlerin.

Sie lehrt und arbeitet seit wenigen Wochen an der Uni Rostock für ihre wissenschaftliche Weiter-Qualifizierung und gibt Seminare zum Salafismus. Ihre praktischen Erfahrungswerte aus der Feldforschung in die Forschung einfließen zu lassen, um diese nicht auf den Elfenbeinturm zu konzentrieren, sei ihr ein großes Anliegen.

Professor Klaus Hock, Inhaber des Lehrstuhls für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie an der Uni Rostock, sagt: „Ihre Kompetenzen hat Nina Käsehage beispielsweise als Mitglied der Steuerungsgruppe des Zukunftsforum Islam der Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch in diversen Fortbildungsveranstaltungen bereits unter Beweis gestellt. So kann sie zeigen, dass entgegen einer leider weit verbreiteten Fehleinschätzung für die Bearbeitung vieler gesellschaftlich, politisch und kulturell relevanter Themen religionswissenschaftliche Expertise unabdingbar ist – und zwar heute mehr denn je.“

Für Forschung und Wissenschaftsdiskurs würden sich ebenfalls aus Frau Käsehages Arbeitsschwerpunkt wichtige Impulse ergeben, da das Phänomen „Salafismus“ eines multidimensionalen Zugangs bedürfe, bei dem neben Psychologie, Sozialwissenschaften, Politikwissenschaft oder Geschichtswissenschaft usw. wiederum der Religionswissenschaft eine zentrale Rolle zukomme. „Ohne religionsgeschichtliche Tiefenanalyse und kritische religionssystematische Einordnung bleibt der akademische Zugriff auf solche Phänomene oft nur an der Oberfläche“, sagt Prof. Hock.

Bereits während einer Studie zum Islam in Deutschland, die Nina Käsehage zwischen 2011 und 2012 geführt habe, lernte sie in ihrer Heimat, dem Ruhrgebiet viele junge Muslime kennen, die sich als Salafizisten bezeichneten. „Das hat mich neugierig gemacht, wie die Szene funktioniert“. Diese sei vielschichtig, keine einheitliche Gruppe. „Nicht alle Salafisten, also Menschen, die sich ausschließlich an dem orientieren, was im Koran und der Prophetenüberlieferung steht und die jede demokratische Staatsform ablehnen, weil es etwas menschengemachtes ist, sind Dschihadisten“, sagt die Wissenschaftlerin. „Letztere möchten in Deutschland jedoch einen Gottesstaat etablieren.“ Es dürften demnach nicht alle Salafisten über einen Kamm geschert werden, sonst komme es zu Solidarisierungseffekten nicht-gewaltbereiter mit gewaltbereiten Akteuren in dieser Gruppe. „Das gilt es zu verhindern“.

38 Gesprächspartner der Religionswissenschaftlerin wollten nach Syrien ausreisen und sich dort der radikal-islamischen Front anschließen. Nina Käsehage konnte 35 der jungen Leute gemeinsam mit deren Eltern davon abhalten, in den Krieg zu ziehen. Tag und Nacht habe sie argumentiert. Erfolgreich. Doch drei junge Männer konnte sie nicht aufhalten. Schon nach einigen Wochen habe sie von Hintermännern Fotos geschickt bekommen, auf denen sie ihre Gesprächspartner mit zerschossenen Köpfen sehen musste. Käsehage löschte diese grausamen Bilder sofort, informierte aber die betroffenen Eltern und denkt noch heute an diese schweren und für sie sehr prägenden Momente.

Nina Käsehage ist fest davon überzeugt, dass die Deradikalisierung junger Muslime gelingen könne. Deshalb engagiert sie sich mit Herzblut ehrenamtlich eben für die Deradikalisierungsarbeit und Angehörigenbetreuung. „Ich bin aber auf Unterstützung angewiesen“, sagt die junge Frau. In einer Talk Show im Januar habe Justizminister Heiko Maaß 100 Millionen Euro für die Präventionsarbeit zugesagt. „Angekommen ist davon an der Basis noch nichts“, so die ernüchternde Zwischenbilanz Käsehages.

Wolfgang Thiel / Pressemitteilung / Universität Rostock