Roland Jahn neuer Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen

Marita Pagels-Heineking über den neuen Bundesbeauftragten, die Zukunft der Behörde und die Bedeutung der Aufarbeitung der DDR-Diktatur

An der Spitze der Behörde für die Unterlagen des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes folgte nach Joachim Gauck und Marianne Birthler nun der Bürgerrechtler sowie Journalist Roland Jahn.

Nachgefragt bei Marita Pagels-Heineking, Landesbeauftragte für die Unterlagen der ehemaligen DDR-Staatssicherheit in M-V

„Es geht um unsere Gegenwart und um unsere Zukunft!“

Frage: Roland Jahn ist nun neuer Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen. Was zeichnet ihn aus Ihrer Sicht aus?

Marita Pagels-Heineking: Mit Roland Jahn wird künftig ein Mann an der Spitze der Behörde stehen, der über eine beeindruckende Biografie verfügt. Schon als Jugendlicher hat er in Jena die SED-Diktatur bekämpft. Auch nach seiner zwangsweisen Ausbürgerung aus der DDR, er wurde in Knebelketten in den Westen abgeschoben, hat er als Fernsehjournalist wesentlich dazu beigetragen, dass über die Opposition in der DDR berichtet wurde. Dabei muss man bedenken, dass man sich als DDR Bürger über das eigene Land nur über das Westfernsehen kritisch informieren konnte.

Aber auch Roland Jahn ist nicht als Oppositioneller geboren worden. Auch er war eingebunden in das staatliche Erziehungssystem. Er war Mitglied der FDJ, wie fast alle Jugendlichen. Aber er gehört zu den Wenigen, die sich mit der Diktatur nicht abfinden wollten und er war mutig genug, etwas dagegen zu tun.

Die Stasi hat immer versucht, ihn mundtot zu machen, auch als er schon lange in West-Berlin lebte. Es ist ihr nicht gelungen. Und wenn heute ein Mann einer Behörde vorsteht, die die Hinterlassenschaft eines Ministeriums verwaltet, das ihn fast die Hälfte seines Lebens verfolgt hat, dann ist das nicht nur für ihn eine große Befriedigung.

Frage: Die Arbeit der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen wurde vom Engagement Joachim Gaucks und Marianne Birthlers maßgeblich geprägt. Was sind die entscheidenden Dinge, die von deren Arbeit nachhaltig bleiben?

Marita Pagels-Heineking: Zweiundzwanzig Jahre nach dem Ende der kommunistischen Diktatur gibt es in Deutschland immer noch eine Behörde, die sich mit den Akten einer gegen die eigene Bevölkerung gerichteten Geheimpolizei beschäftigt. Ohne die beiden bisherigen Chefs gäbe es diese Behörde vermutlich nicht mehr. Die Schließung der Behörde und die Überführung der Akten ins Bundesarchiv standen ja von Anfang an auf der Tagesordnung vieler Politiker.

Aber ohne die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) und deren Mitarbeiter wäre es für viele hunderttausend ehemalig politisch verfolgte Menschen nicht möglich, ihre eigene Biografie zu rekonstruieren.

In den Akten findet man ja nicht nur Spitzelberichte von IM. Man kann dort auch nachlesen, wie versucht werden sollte, Menschen mit allen erdenklichen Methoden zu brechen: von durchtrennten Bremsschläuchen in Autos bis zur Kriminalisierung von Andersdenkenden, von Behinderungen in der beruflichen Entwicklung bis zur Installation eines IMs, der die Familienverhältnisse zerrütten sollte. Wer heute in seiner Akte nachlesen kann, dass seine beruflichen Misserfolge nicht auf mangelnde Fähigkeiten zurückzuführen sind, sondern von der Stasi inszeniert wurden, bekommt ein wesentliches Stück seiner Biografie zurück.

Die viel beschworene Jagd auf Stasispitzel hat es nie gegeben. Jeder der heute noch enttarnt wird, hatte in den letzten zwanzig Jahren die Chance, seine Arbeit für die Stasi zu offenbaren. Wichtig in der Beurteilung eines Menschen ist doch nicht nur, ob er vor zwanzig Jahren für die Stasi gearbeitet hat, wichtig ist, wie man heute damit umgeht.

Im Prozess der Aufarbeitung der SED-Diktatur spielt die BStU eine zentrale Rolle. Auch das ist ein besonderes Verdienst der beiden bisherigen Chefs. Der besondere Verdienst von Marianne Birthler besteht außerdem darin, in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen zu haben, dass man in den Akten nicht nur Zeugnisse von Repression und Unterdrückung findet, sondern eben auch Zeugnisse von Opposition und Widerstand, von Zivilcourage.

Bei den Akten geht es eben nicht nur um ein ostdeutsches Phänomen, sondern um ein gesamteuropäisches Problem. Es geht um den prinzipiellen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie. Es geht um Freiheitsliebe der Menschen und um den Mut Weniger, ein unüberwindlich     geglaubtes System zu stürzen.

Frage: Das Interesse an den Stasi-Unterlagen ist ungebrochen. SPD oder CDU fordern in Sonntagsreden gern eine Intensivierung der Aufarbeitung, sind ganz oben auf, wenn es um die Widerstandsgeschichte der eigenen Partei geht, halten sich aber zurück, wenn es sich um deren Schuldgeschichte während der DDR-Diktatur handelt. Fühlen Sie sich ausreichend von der Politik in Land und Bund unterstützt?

Marita Pagels-Heineking: Was heißt „ausreichend unterstützt“? Man könnte, möchte immer mehr machen. Das Interesse an der Aufarbeitung der SED-Diktatur ist in den letzten Jahren nicht nur ungebrochen, es ist spürbar gestiegen und ich bin sicher, dass dieses Interesse auch in den nächsten Jahren nicht nachlassen wird.

Aber auch die Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR agiert nicht außerhalb des Landeshaushaltes. Die Mittel sind nun mal begrenzt. Was nicht heißen soll, dass ich der Meinung wäre, unsere Arbeit wäre ausreichend finanziert. In meiner Arbeit merke ich immer wieder, dass auch die meisten Landes- und Kommunalpolitiker wissen, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur keine in die Vergangenheit gerichtete Aufgabe ist.

Es geht um unsere Gegenwart und um unsere Zukunft. Dabei müssen auch Widerstände immer wieder überwunden, Aufklärungsdefizite beseitigt werden. Das ist keine Aufgabe, die man in einer vorher bestimmten Zeit erledigen kann, sondern ein ständiger Auftrag, dem man sich jeden Tag stellen muss. Dazu gehört auch, die Versprechungen aus den Sonntagsreden, die im Übrigen von Politikern aller Parteien gehalten werden, einzufordern und sie in Verantwortung zu nehmen.

Frage: Wie bewerten Sie die Zukunft Ihrer Behörde im Land?

Marita Pagels-Heineking: Ich nehme an, ihre Frage zielt in diesem Zusammenhang auf die Forderung aus der Bundespolitik, die Behörde des Bundesbeauftragten bis 2019 abzuwickeln und die Aktenbestände ins Bundesarchiv zu überführen. Mal abgesehen davon, dass ich da eine andere Meinung vertrete, meine Behörde hat eine ganz andere Aufgabe.

Die Landesbeauftragte ist keine Landeseinrichtung des Bundesbeauftragten. Bei uns geht es nicht in erster Linie um die Akten der Stasi, dafür sind in MV die Außenstellen der BStU zuständig. Wir helfen zwar auch bei der Antragstellung zur Akteneinsicht, aber das ist nicht unsere eigentliche Aufgabe.

Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist die Beratung Betroffener bei ihren Rehabilitierungsverfahren. Wir unterstützen Aufarbeitungsinitiativen, helfen bei Erinnerungsprojekten, leisten einen wichtigen Beitrag zur politischen Bildung und unterstützen wissenschaftliche Projekte, die sich mit der SED-Diktatur beschäftigen.

Dabei wird die politische Bildung, die Aufklärung über die Diktatur in den nächsten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen. Auch in zehn oder zwanzig Jahren wird es notwendig sein, den Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie zu erklären, den Wert der Freiheit begreiflich zu machen. Niemand fordert heute ernsthaft, die Einrichtungen zu schließen, die sich mit der NS-Diktatur beschäftigen. Warum sollte eine Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur in zehn Jahren nicht mehr notwendig sein?

Dann weiterhin viel Schaffenskraft und Erfolg bei Ihrer Arbeit!

Die Fragen stellte Marko Michels.

Weitere Informationen: www.Landesbeauftragter.de