Physiker wechselt von der Uni Havard an die Uni Rostock

Wissenschaftler aus der Hansestadt stellen ihre Forschung am 5. Dezember auf bundesweitem Workshop vor

Dr. Holger Hennig. Universität Rostock/ Thomas Rahr

Vom Broad Institut of Harvard and MIT in den USA nach Rostock in die Abteilung Systembiologie und Bioinformatik  der Universität Rostock? Der studierte Physiker Dr. Holger Hennig, der vier Jahre in den USA an der Uni Harvard und am Broad Institut geforscht hat, ist diesen Schritt gegangen.

Am Lehrstuhl ist Professor Olaf Wolkenhauer das Zugpferd für junge Wissenschaftler. Ein Schwerpunkt  ist die Systemmedizin. Genau das Gebiet, das Holger Hennig so sehr am Herzen liegt. Auf diesem Gebiet hat er bereits in den USA geforscht und arbeitet auch weiterhin von Rostock aus mit dem Broad Institut sowie der Swansea Universität in Großbritannien zusammen. In Rostock versucht er mit Hilfe neuester Technologien und multidisziplinären Herangehensweisen, Krankheiten besser zu verstehen und frühzeitig zu behandeln.

Holger Hennig untersucht Bilder von Zellen, die in sehr großer Zahl generiert und durch maschinelles Lernen analysiert werden. Er gerät ins Schwärmen, wenn er über seine, wie er es sagt, „aufregende aktuelle Forschung“ in Rostock spricht. Und die hat es richtig in sich: Hennig entwickelt in internationaler Zusammenarbeit neue, vielversprechende und weltweit einmalige Diagnose- und Prognose-Verfahren, etwa für Blutkrebs (Leukämie). Erstmals ist in den USA im August dieses Jahres eine Gen-Therapie zugelassen worden, und zwar für akute lymphatische Leukämie (ALL), also ohne Chemo mit all ihren Nebenwirkungen. Allerdings bleibt auch die von Novartis entwickelte Gen-Therapie  nicht ganz ohne Nebenwirkungen. Hier gilt: je früher man den Krebs erkennt, desto besser. Umso wichtiger ist es nun, bessere Diagnoseverfahren für Leukämie zu entwickeln und diese dann mit einer individuell auf den Patienten zugeschnittenen Therapie zu behandeln. Hennig spricht von „personalisierter Therapie“. “Mittels Bildanalyse und maschinellem Lernen können wir einzelne Krebszellen unter Millionen von Zellen im Blut von Patienten mit hoher Sicherheit, schnell und mit geringen Kosten erkennen.”, erklärt Hennig.

Seine Studentin Mariam Nassar, gebürtige Rumänin, erforscht, wie man mit maschinellem Lernen verschiedene Typen von weißen Blutzellen automatisch und allein anhand des Mikroskopiebildes der Zellen voneinander unterscheiden kann. Die relative Anzahl der weißen Blutzelltypen im Blut eines Patienten gibt dem Arzt wertvolle Hinweise auf etwaige vorliegende Krankheiten. Bisher werden die Zelltypen in zeitaufwändiger Laborarbeit mit diversen Farbstoffmarkern bestimmt. Ziel des neuen Analyseverfahrens, welches Mariam Nassar derzeit entwickelt, ist es, die Zelltypen mittels künstlicher Intelligenz schneller, preiswerter und genauer als bisher zu bestimmen.

Hennig, der seit seinem neunten Lebensjahr Klavier spielt, gern schwimmt und Ski fährt, ist auch in der Forschung vielseitig interessiert. So hat er an der Uni Harvard herausgefunden, warum menschliche Musikrhythmen so schön und lebhaft klingen.  Der Algorithmus, den er dafür entwickelt hat, wird von Profi Musikern weltweit genutzt.

Hennig befasst sich in Rostock innerhalb der künstlichen Intelligenz Forschung vor allem  mit  Fragen des maschinellen Lernens, speziell dem „Deep Learning“. Letzteres ist vereinfacht gesagt das Lernen mittels neuronaler Netzwerke großer Tiefe. Im Unterschied zu früher können diese künstlichen Netzwerke heute durch die stark gewachsene Rechenleistung, aber auch durch die mittlerweile verfügbaren größeren Datensätze „trainiert“ werden. Beispielsweise wird so eine bisher ungeahnt genaue Bilderkennung möglich, mit der unterschieden werden kann, welche Zelle oder welches Gewebe gesund oder durch Krebs belagert ist. „Eine große Herausforderung in Deutschland ist die Translation von Diagnoseverfahren basierend auf maschinellem Lernen in die klinische Praxis”, so Hennig. „Medizin interdisziplinär zu gestalten, ist Grundlage einer erfolgreichen Systemmedizin“, fügt Olaf Wolkenhauer hinzu. Holger Hennig und Olaf Wolkenhauer werden deshalb auf einem bundesweiten Workshop “Omics in der medizinischen Forschung” am 5. Dezember in Berlin ihre Erfahrungen mit interdisziplinärer Forschung weitergeben. Text: Wolfgang Thiel / Pressemitteilung der Universität Rostock

Bild: Dr. Holger Hennig forscht international, um durch multidisziplinäres Herangehen Krankheiten besser zu verstehen und frühzeitig zu behandeln. Foto: Universität Rostock/ Thomas Rahr

Info: Diagnostisches Potential der Bildanalyse. Zunächst wird Blut von Patienten abgenommen. Dann werden in einem Bildaufnahmegerät, dem sogenannten Imaging-Durchflußzytometer, Bilder von bis zu 5000 Blutzellen pro Sekunde aufgenommen. Die so erhaltenen Millionen von Bildern werden mittels künstlicher Intelligenz, dem Deep Learning analysiert. Die Ergebnisse liefern den behandelnden Ärzten wertvolle Hinweise für personalisierte Diagnose, Prognose oder Therapie, etwa bei Leukämie.