Peinliches Verfahren vor dem Landgericht Rostock

Angeblicher Brandsatz entpuppte sich als Filzschreiber

Ein in wesentlichen Zügen für die Justiz und Repressionsbehörden peinliches Verfahren spielte sich heute vor dem Landgericht Rostock ab. Die Berufungsinstanz hatte über ein Urteil des Amtsgerichts Rostock vom Oktober 2007 zu befinden, das einen 20 jährigen Berliner zu 40 Tagessätzen wegen Verstoßes gegen das Schutzwaffenverbot verurteilte, weil bei diesem im Rahmen einer polizeilichen Durchsuchung nach der Anti G8 Auftaktdemo am 2.Juni eine Schutzbrille gefunden wurde. Da die Eigenschaft einer Schutzbrille als Bewaffnungsgegenstand in der Rechtsprechung sehr umstritten ist, muß, um ein Verurteilung zu rechtfertigen, nachgewiesen werden, dass der Angeklagte dieses auch zum Zweck der Schutzbewaffnung mitführen wollte. Als Indiz für sein gewalttätiges Verhalten, so war den Akten zu entnehmen, galt ein im Rahmen der damaligen Durchsuchung ebenfalls gefundener, angeblicher, selbstgebastelter Brandsatz.

Gleich zu Beginn der heutigen Berufungsverhandlung, fiel die Argumentation von Staatsanwalt Spieß und Richterin Bäuerle-Graf, die den Brandsatz als Indiz für den Schutzbewaffnungswillen des Angeklagte ansahen, in sich zusammen.

Während der damals durchsuchende Polizeizeuge den angeblichen Brandsatz als einen Edding beschrieb, der zweckentfremdet mit einem Aufsatz versehen war, der wie ein Teil eines technischen Brandsatz aussah, wurde bei Inaugenscheinnahme unter dem Gelächter der Zuschauer deutlich, daß bei dem Filzschreiber, die verlorengegangene Plastikkappe durch ein umwickeltes Stück Alupapier ersetzt worden war, um ein Austrocknen zu verhindern. Auf die Frage, warum die Polizei denn damals nicht einfach mal die Kappe abmachte, um sich von der Ungefährlichkeit zu überzeugen, anstatt einen Brandsatz zu unterstellen, mußte der Polizist passen. Auch die Schutzbrille, bei der laut Strafbefehl suggeriert wurde, daß es sich um ein eher voluminöses Gerät handeln würde, welches auch z. B. bei Arbeiten vor Hochöfen verwendet wurde, entpuppte sich als eher kleine Brille mit minimalem Seitenschutz, den der Angeklagte, wie er sagte aus einem in Kindheitstagen benutzten Chemiebaukasten entnahm.

Während die Verteidigerin Verina Speckin darlegte, daß Brillen laut dem in den Bundestagsplenarprotokollen nachzulesenden politischen Willen des Gesetzgebers nur dann unter das Schutzwaffenverbot fallen würden, wenn entweder bei ihrer Herstellung eine Schutzwaffeneigenschaft beabsichtigt seie, oder wenn Brillen mitgenommen würden, um Polizeieinsätze zu verhindern. „Da allerdings niemand den Einsatz eines Wasserwerfers durch Aufsetzen einer Brille stoppen könnte, seie der Angeklagte freizusprechen,“ so Speckin. Die Staatsanwaltschaft bezog sich in ihrem Plädoyer für eine Verurteilung auf eine Äußerung des Angeklagten, der sagte, er führe die Brille mit sich, um seine körperliche Unversehrtheit vor in der Luft liegenden Tränengasschwaden zu schützen.

Weder Staatsanwalt noch Richterin zogen auch nur einmal die Möglichkeit in Betracht, dass der Angeklagte damit die Tränengasschwaden meinen könnte, die bei einem Polizeieinsatz gegen andere Demonstranten auch unbeteiligte Dritte treffen könnte. Nach ihrer Ansicht seie mit dieser Aussage bewiesen, dass sich der Einsatz der Schutzbrille gegen einen Tränengaseinsatz der Polizei gegen ihn selbst richten würde. Obwohl die Annahme eines Waffen-Charakters der Schutzbrille an sich schon haarsträubend genug ist, führte diese einseitige und voreingenommene Interpretation des Willen des Angeklagten zu seiner Verurteilung. „Offensichtlich soll dieses im Verhältnis zur lächerlichen Tat des Mitführens einer Schutzbrille im Bereich der Stadt Rostock drakonische Urteil die Schlappe für die Staatsanwaltschaft ausmerzen, die vor zwei Monaten aufgrund massiven öffentlichen Interesses den Strafbefehl im sogenannten Schwimmbrillenprozess zurückziehen mußte“, erklärte die Prozessbeobachtungsgruppe Rostock nach dem Prozess.

„Daß dabei sogar versucht wird, Filzschreiber in Brandsätze umzudeuten, macht einmal mehr deutlich, daß den Repressionsbehörden für die Kriminalisierung der Protestbewegung offensichtlich kein Argument zu peinlich ist.“