Klausurtagung der SPD-Landtagsfraktion erfolgreich

„Brüsseler Erklärung“: Wir wollen ein besseres Europa

Zum Abschluss der Klausurtagung der SPD-Landtagsfraktion in Brüssel hob der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Rudolf Borchert, die hohe Bedeutung der Europapolitik für Mecklenburg-Vorpommern hervor. „Die Klausurtagung in Brüssel war ein Erfolg: Wir haben unsere Europa-Kompetenz verbessert, wertvolle Kontakte geknüpft und viele Anregungen für unsere parlamentarische Arbeit in Schwerin erhalten“, fasste Borchert die dreitägige Sitzung in Brüssel zusammen. Fast genau ein Jahr vor der Europawahl am 7. Juni 2009 war auch die Bedeutung dieser Wahlen Thema. Heute am letzten Tag der Klausur formulierte die Fraktion ihre europapolitischen Schwerpunkte in einer ‚Brüsseler Erklärung’. Schwerpunkte der Erklärung mit dem Titel „Für ein besseres Europa“ sind die Forderungen nach besseren europaweiten Sozialstandards und einer weiteren Demokratisierung der Europäischen Union. „Der Vertrag von Lissabon ist in diesem Sinne ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um Demokratiedefizite abzubauen. Deshalb hoffe ich sehr, dass dem Vertrag beim Referendum in Irland am Donnerstag zugestimmt wird“, so Borchert.

Die ‚Brüsseler Erklärung’ im Wortlaut: Brüsseler Erklärung der SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern: Wir wollen ein besseres Europa

Durch den europäischen Einigungsprozess ist es gelungen, den über Jahrhunderte durch Kriege gezeichneten, in Feindschaft zerrissenen europäischen Kontinent in Frieden, Wohlstand und Freiheit zusammenzuführen. Schritt für Schritt ist die Europäische Union auf 27 Länder angewachsen und hat Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und soziale marktwirtschaftliche Strukturen etabliert. Die EU bringt den Bürgern Vorteile, die als selbstverständlich angesehen werden. Heute können die Menschen in den Ländern der Europäischen Union frei reisen. Die Vorstellung von einem Europa ohne Schlagbäume ist Wirklichkeit geworden. Wer heute in der EU lebt, dem bieten sich Möglichkeiten wie keiner Generation zuvor. Andererseits ist die Gesellschaft mit weit reichenden Herausforderungen konfrontiert. Globaler wirtschaftlicher Wettbewerb, wachsende Ungleichheit, eine alternde Gesellschaft, der Klimawandel und die Energieversorgung verlangen nach Antworten auf europäischer Ebene. Viele Menschen haben schmerzlich erfahren müssen, dass es keine Arbeitsplätze bringt, sondern diese massenhaft verloren gehen, wenn deren Existenz den freien Kräften des Marktes überlassen wird. Dort, wo nationale Politik an ihre Grenzen stößt, muss europäische Politik eingreifen und den freien Marktkräften einen sozialen und ökologischen Rahmen geben. Mit den Wahlen zum Europäischen Parlament im Jahr 2009 werden die Weichen für die zukünftige Gestaltung dieser Herausforderungen gestellt. Dafür braucht Europa eine starke Sozialdemokratie. Die SPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern betont in diesem Zusammenhang folgende Standpunkte:

1. Wir stehen in Europa vor einem großen historischen Schritt nach vorn bei der Reform der EU. Der Vertrag von Lissabon wird die EU handlungsfähiger machen. Das Europäische Parlament ist dabei die Institution, die von den Bürgerinnen und Bürgern Europas unmittelbar legitimiert ist und ihre Interessen in der EU repräsentiert. Der Lissaboner Vertrag wird das Europäische Parlament weiter stärken und eine wirkungsvollere Kontrolle der EU-Institutionen ermöglichen. Auch in dieser Hinsicht ist die Zusammenarbeit mit den Europaabgeordneten unseres Landes von Bedeutung. Eine klarere Verteilung der Kompetenzen zwischen der EU und den Mitgliedstaaten lässt besser erkennen, an welchen Stellen Entscheidungen gefällt werden.

2. Deutschland verdankt seinen Wohlstand und seine Arbeitsplätze ganz wesentlich dem Umstand, dass auf dem europäischen Binnenmarkt Waren in 27 EU-Länder frei und ohne Zölle und Grenzzäune verkauft werden können. Ein wichtiger Standortfaktor für Mecklenburg-Vorpommern im sich dynamisch entwickelnden Ostseeraum sind seine Häfen in Verbindung mit attraktiven Gewerbeflächen. Diese spielen aus logistischer Sicht für das Land mit seiner zentralen Lage in Europa als Ostseeanrainer eine herausragende Rolle. Entsprechende Investitionen in die Entwicklung der Häfen sind deshalb ein wichtiger Beitrag für eine moderne Wirtschaftsstruktur. Wir werden uns bei der Erarbeitung der EU-Ostseestrategie durch die EU-Kommission intensiv einbringen, weil sie insbesondere im Hinblick auf Tourismus, Wirtschafts- und Energiepolitik für unser Land von hoher Bedeutung ist.

3. Um den sich immer deutlicher abzeichnenden Klimawandel in Grenzen zu halten, ist es unabdingbar, eine integrierte Klimaschutz- und Energiepolitik voranzubringen. Angesichts einer sich verschärfenden Erdöl- und Erdgasknappheit sowie wachsender Nachfrage nach Energie und steigenden Preisen auf den Energiemärkten muss eine auf Sicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit ausgerichtete Energiepolitik zur politischen Priorität gemacht werden. Dies leistet nicht nur einen Beitrag zu größerer Sicherheit bei der Energieversorgung, sondern schont vor allem das Klima und sichert den Bürgerinnen und Bürgern und der Wirtschaft langfristig stabile Energiepreise. Unser Land liegt beim Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung mit 35 Prozent bereits heute mit an der Spitze in Europa. Diese Position wollen wir in den kommenden Jahren weiter ausbauen.

4. Kein anderer Bereich der Volkswirtschaft ist so sehr von europäischen Rahmensetzungen geprägt wie die Agrarwirtschaft. Die finanziellen Voraussetzungen für die Förderperiode 2007–2013 geben unserer Landwirtschaft Stabilität, bedingen aber auch eine klare Ausrichtung auf mehr Wettbewerb sowohl im konventionellen wie auch im ökologischen Bereich. Die Land- und Ernährungswirtschaft hat sich in den letzten Jahren mit der Produktion und Veredelung hochwertiger Lebensmittel zu einer Wachstumsbranche entwickelt. Die Qualität der Produkte und die Gewährleistung höchster Standards der Lebens- und Futtermittelsicherheit sind ein Wettbewerbsvorteil, wobei eine moderne Verbraucherpolitik ein zentraler Baustein für eine hohe Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger im Gesundheitsland Mecklenburg-Vorpommern ist. Erforderlich ist dafür Verlässlichkeit der europäischen Politik und Planungssicherheit für die Landwirte.

5. Nach der Verwirklichung des europäischen Binnenmarktes und der Wirtschafts- und Währungsunion gilt es, auch die soziale Dimension des europäischen Einigungsprozesses in den Vordergrund zu rücken. Ziel muss es sein, Arbeitnehmerrechte und Mitbestimmung auf europäischer Ebene abzusichern und weiter auszubauen. Sozialer Frieden ist ein Standortvorteil für Unternehmen im Wettbewerb. Auch deshalb stellen wir uns gegen eine Abwärtsspirale bei Löhnen und sozialen Standards in Europa. Lohn-, Sozial- und Steuerdumping darf in Europa kein Raum gegeben werden. Ein Wettlauf um die niedrigsten Standards zersetzt die Solidarität, auf der ein europäisches Sozialmodell beruhen sollte. Europa kann nicht über niedrigere Löhne und den Abbau sozialer Standards, sondern nur über eine höhere Qualität der Arbeit und über die Kompetenz und das Wissen der Menschen erfolgreich mit anderen Regionen in der Welt konkurrieren.

6. Der wirtschaftliche Erfolg Europas hängt entscheidend davon ab, dass alle Menschen an Erwerbsarbeit teilhaben können. Investitionen in Bildung, Ausbildung und in lebenslanges Lernen sind ein Schlüsselfaktor hierfür. Grenzüberschreitende Bildung und Forschung muss ohne bürokratische Hürden möglich sein. Die Verfahren für die Anerkennung von Bildungsabschlüssen müssen in den Ländern der EU vereinfacht werden. Das Hochschul- und Forschungswesen muss so weiterentwickelt werden, dass Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft eine gute Ausbildung bekommen. Die EU bietet gerade jungen Menschen beginnend beim Schüleraustausch, über den Studentenaustausch bis zur beruflichen Flexibilität große Chancen.

7. Mit dem Beitritt der osteuropäischen Staaten zur EU ist Mecklenburg-Vorpommern von der EU-Außengrenze in die Mitte einer großen Gemeinschaft gerückt. Das ist eine große Chance für unser Land. Der Kooperation im baltischen Raum, insbesondere mit Polen, kommt dabei besondere Bedeutung zu. Seit 2004 arbeitet der Landtag Mecklenburg-Vorpommern u. a. mit den regionalen Vertretungskörperschaften der polnischen Woiwodschaften Westpommern, Pommern und Ermland-Masuren im „Parlamentsforum südliche Ostsee“ zusammen, um die wechselseitigen Partnerschaften und parlamentarischen Beziehungen stärker miteinander zu vernetzen. Mecklenburg-Vorpommern und seine Nachbarn auf der polnischen Seite haben in den fast zwei Jahrzehnten seit der Wende eine gute und enge Zusammenarbeit aufgebaut. Dies ist ein zentraler Bestandteil der auswärtigen Beziehungen. Mit keinem anderen Land, keiner anderen Region werden so enge partnerschaftliche Kontakte gepflegt wie mit den benachbarten Woiwodschaften in Polen.

8. Die EU hat für die regionale und lokale Ebene eine immer stärkere Bedeutung gewonnen. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der EU ist der Ausbau der Europafähigkeit sowohl der Landesverwaltung als auch der Verwaltungen der kommunalen Ebene zu fördern. Dem trägt auch die schwerpunktmäßige Befassung des Europa- und Rechtsausschusses des Landtages Mecklenburg-Vorpommern mit aktuellen politischen Entwicklungen in Europa Rechnung, welche bei der parlamentarischen Arbeit verstärkt europapolitische Bezüge berücksichtigen muss. Über den Ausschuss der Regionen, der am Rechtssetzungsverfahren der EU beteiligt ist, bringen wir uns ein, um die Interessen unseres Landes zu vertreten.