„Kanu-historische“ Momente für MV: Zwischen 1972 und 2010

Im Blickpunkt: Ilse Zeisler, die ehemalige Kanurennsportlerin vom SC Neubrandenburg

Aus MV-Sicht, speziell aus Neubrandenburger, waren die Weltmeisterschaften 2010 in Poznan sehr erfreulich. So gab es Gold für Martin Hollstein im K 2 über 1000 Meter und Bronze für Eric Rebstock im C 4 über 1000 Meter in Poznan.

Von Olympia-Gold in Peking zu WM-Gold in Poznan - Martin HollsteinSeit, mittlerweile 72 Jahren, den Weltmeisterschaften 1938 in Waxholm/Schweden paddeln die Kanu-Sportler aus aller Welt um meisterliche Ehren, nachdem bereits bei Olympia 1936 in Berlin die Kanuten um olympisches Edelmetall antraten. Führend waren seit den 1930er Jahren neben den Deutschen insbesondere Schwede, Norweger und Finnen. Insbesondere nach 1950 kamen Russen, Ungarn, Polen, Rumänen, Bulgaren, Tschechen, Jugoslawen, Nordamerikaner und Australier bzw. Neuseeländer hinzu.

Der DDR-Kanusport – Zwischen Kanu-Slalom und Kanu-Rennsport
Der ostdeutsche Kanusport hatte vor allem im Süden der Republik, in Sachsen und in Thüringen, nach dem 2. Weltkrieg große Erfolge feiern können. Eine Kanutin war sogar die Erste, die eine WM-Medaille für die DDR gewinnen konnte. Bei den WM 1953 in Meran gewann Eva Setzkorn vom ZSK Vorwärts Leipzig die Silbermedaille im Faltboot-Einer. Mit dem DDR-Frauen-Team gab es bei den gleichen WM noch einmal Gold. Leider hatten die DDR-Kanuten damals noch kein erstklassiges Material zur Verfügung, so dass Unterstützung „von außen“ notwendig wurde. Von Seiten der Yacht-Werft in Berlin-Grünau konnte allerdings schnell Abhilfe geschaffen werden: Die dortigen Mitarbeiter und Ingenieure entwarfen ein erstklassiges Kanu-Modell, von dem zunächst die Kanu-Slalom- bzw. Wildwasser-Fahrer profitierten.

Bereits bei den WM 1957 in Augsburg gewann die DDR sechs WM-Titel und fügte diesen 1959 sechs weitere hinzu. Neun Titel bzw. elf Titel folgten 1961 und 1963. Der Leipziger Manfred Schubert war mit drei Titeln der damalige Top-Kanute. Im Canadier-Zweier schafften seinerzeit Günter und Manfred Merkel das „Triple“. Schwester Lia knüpfte an den Bruder-Erfolg an und behauptete sich ebenfalls mit drei Siegen. Reihenweise DDR-Siege für die Kanu-Slalom-Fahrer gab es bei den WM in Meran 1971 und bei Olympia 1972 in München/Augsburg. Im Eiskanal in Augsburg gewann die DDR dank Siegbert Horn, Reinhard Eiben, Walter Hofmann/Rolf-Dieter Amend und Angelika Bahrmann alle Goldmedaillen. Für Westdeutschland (3 x Silber/1 x Bronze), Österreich (1 x Silber), die USA (1 x Bronze) und Frankreich (1 x Bronze) blieben nur silberne und bronzene Medaillen übrig. Nachdem das Internationale Olympische Komitee Kanu-Slalom aus dem olympischen Programm strich (1992 wieder eingeführt), konzentrierte sich der DDR-Kanu-Verband auf den Rennsport.

Kanu-Rennsportler seit 1970 auf der Erfolgswelle
Bereits 1958 hatte Dieter Krause WM-Bronze im K 1 gewonnen und in der gesamtdeutschen Kanu-Staffel 1960 die olympische Goldmedaille erkämpft. Jürgen Eschert gelang 1964 im Einer-Canadier ebenfalls der Olympiasieg. Den ersten WM-Titel der DDR im Rennsport indes errang der Vierer-Kajak 1963. Stellten die DDR-Kanu-Rennsportler bis 1973 nur viermal den Weltmeister, so stand am Ende der DDR (1990) die imponierende Bilanz von 69 x Gold / 29 x Silber / 22 x Bronze. Bei Olympia von 1976 bis 1988 erwiesen sich die DDR-Kanuten zudem mit 9 x Gold / 6 x Silber / 8 x Bronze ganz stark. Auch für die M-V-Kanuten war der Kanu-Rennsport seit 1970 „golden“.

Zahlreiche Erfolge für Kanuten „Made in MV“
Im Jahre 1971 erkämpfte Alexander Slatnow (SC Neubrandenburg) den ersten WM-Titel für M-V. Ilse Kaschube gewann 1972 mit Silber die erste Kanu-Olympiamedaille für Mecklenburg-Vorpommern. Bis 2008 haben Kanu-Sportler aus unserem Bundesland 14 Olympiasiege erkämpft bzw. bei WM (bis 2005) 57 WM-Titel errungen. Namen wie Ilse Kaschube, Rüdiger Helm, Bernd Olbricht, Anke von Seck, Ramona Portwich, Roswitha Eberl, Andreas Dittmer oder Martin Hollstein sind nicht nur Kanu-Fans geläufig. Das „markante Aushängeschild“ des deutschen Kanu-Sportes ist aber eine Potsdamerin: Birgit Fischer. Sie gewann zwischen 1977 und 2006 8 x Olympia-Gold und 27 x WM-Titel. Ihre Nichte Fanny Fischer tritt inzwischen allmählich die Nachfolge an.

Olympische „Kanu-Meilensteine“ für M-V: Von Ilse Kaschube bis Andreas Dittmer
Der gebürtige Neustrelitzer Andreas Dittmer, der seine Kanu-Rennsport-Karriere 1982 bei „Motor Süd Neubrandenburg“ im Alter von 10 Jahren begann, ist der erste Kanute aus Mecklenburg-Vorpommern, der Medaillen bei drei verschiedenen Olympischen Spielen erkämpfte. Rüdiger Helm und Bernd Olbricht, auch „Kanu-Kollegen“ aus Neubrandenburg, gewannen ihre Goldmedaillen (Helm 3 x / Olbricht 2 x) in Montreal 1976 und Moskau 1980. Der olympische Medaillen-Regen für Kanutinnen und Kanuten aus M-V begann übrigens mit der Silbermedaille von Ilse Kaschube (Neubrandenburg) 1972 im K2-500 m; seither schrieben, beispielsweise, Anke von Seck (Rostock / 3 x Gold 1988/92), Carola Zirzow (Neubrandenburg / 1 x Gold 1976) oder Ramona Portwich (Rostock / 1 x Gold 1988) die mecklenburgisch-vorpommersche „Kanu-Historie“ mit. Zuletzt gab es Gold für Martin Hollstein 2008 in Peking. Kanutinnen und Kanuten, die ihre „Wiege“ in M-V hatten, so u.a. Olaf Winter (Neustrelitz) oder Katrin Borchert (Waren/Müritz), konnten auch für „auswärtige Vereine“ oder sogar Länder (Katrin Borchert für Australien) Olympia- und WM_Medaillen erkämpfen.

Insgesamt lautet die olympische Kanu-Bilanz für M-V zwischen München 1972 und Peking 2008 folgendermaßen: 14 x Gold / 4 x Silber / 6 x Bronze – und Andreas Dittmer ist mittlerweile der erfolgreichste Kanute (3 x Gold / 1 x Silber / 1 x Bronze).

Nachgefragt bei Ilse Kaschube-Zeisler, Jahrgang 1953, Verein: SC Neubrandenburg, die die erste olympische Medaille im Kanu-Rennsport für MV gewann

„Wir wurden regelrecht ins Ziel gejubelt !“

Frage: Frau Kaschube, Sie gewannen die erste Medaille im Kanu-Rennsport für einen Verein in Mecklenburg-Vorpommern. In München 1972 wurden Sie mit Petra Grabowsky Zweite. Welche Erinnerungen haben Sie an die Spiele 1972 und Ihren damaligen Wettkampf?

Ilse Zeisler: Ich erinnere mich gerne an die Olympiade zurück. Ich war neunzehn Jahre jung und unbeschwert, wir wollten zeigen, dass wir in der Lage waren gute Leistungen zu bringen. Als es dann die Silberne wurde, waren wir selbst überrascht. Man kann es nicht mit ein paar Worten wiedergeben, was sich alles an der Regattastrecke abgespielt hat. Die Stimmung war großartig, die Anfeuerungen der Zuschauer waren ab 250 Meter bis ins Ziel zu hören. Wir wurden regelrecht ins Ziel gejubelt, so kam es uns jedenfalls vor. Es war einfach schön.

Frage: 1973 und 1974 gab es für sie auch Weltmeistertitel. Wie war die WM-Atmosphäre 1973 und 1974?

Ilse Zeisler: Die Atmosphäre bei Weltmeisterschaften ist schon etwas Besonderes. Die Aufregung ist groß, aber sie gehört dazu. Man will alles richtig machen und sich nur keinen Fehler erlauben. Ein  Wackler – und alles ist vorbei. In einem Mannschaftsboot muß dabei Einigkeit sein, dann funktioniert alles.

Frage: Wie sind Sie als gebürtige Altentreptowerin, Jahrgang 1953, eigentlich nach Neubrandenburg zum Kanu-Sport gelangt? Waren Sie schon immer eine begeisterte Kanutin?

Ilse Zeisler: Vom Kanurennsport hatte ich keine Ahnung. Über organisierte Sichtungen in den Schulen wurden die sportlichsten Kinder und Jugendlichen zum Probesport an die Kinder und Jugendsportschule eingeladen. Alles war gut  organisiert. Schule und Sport bildeten eine Einheit. Lehrer, Trainer und Sportler waren eine große Familie. Mein Vater sagte immer: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Also mache was daraus, wenn du es auch willst.“ Ich habe angefangen zu trainieren, und hatte viel Freude dabei, auch wenn es nicht immer leicht war.

Frage: Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere Neubrandenburg, ist seit Jahren die deutsche Hochburg im Kanurennsport. Was zeichnet den Kanu-Standort Neubrandenburg aus?

Ilse Zeisler: Ganz klar, die super Bedingungen unter denen die Sportler trainieren können. Ein wunderbares Gymnasium und sehr gut ausgestattete Sportstätten gehören dazu – und alles ist in Neubrandenburg vorhanden.

SCN-Geschäftsführer R. Wendelstorf mit Thomas LückFrage: Gegenwärtig halten Martin Hollstein, Thomas Lück und Erik Rebstock die MV-Flagge im Kanurennsport hoch – nach der Erfolgs-Ära von Andreas Dittmer oder zuvor Rüdiger Helm. Wie lautet Ihr WM-Resümee 2010 im Hinblick auf die Resultate der Neubrandenburger WM-Starter?

Ilse Zeisler: Die genannten Sportler haben ihren derzeitigen Leistungstand insgesamt sehr gut abgerufen. Ich denke, es sollte mehr in den Nachwuchssport investiert werden, damit wir eine größere Spitze in den einzelnen Bootsklassen aufweisen können. Es kann nicht sein, dass man sich jahrelang nur auf eine Handvoll Sportler konzentriert, dann muß man sich nicht wundern, wenn der Nachwuchs fehlt.

Frage: Sie sind mit dem ehemaligen Kanuten Klaus Zeisler verheiratet. Sind Sie noch ab und zu mit dem Kanu unterwegs? Wie sieht Ihr Leben ohne „Kanu“ aus?

Ilse Zeisler: Mein Mann belegte bei den Weltmeisterschaften 1974 in Mexiko zweimal den 2. Platz im Canadier-Einer. Damit schrieb auch er Geschichte für den SC Neubrandenburg. Es waren die ersten Medaillen im Canadier für den Sportclub. Wir beendeten unsere Laufbahn und wollten zum Sport einen gewissen Abstand haben. Es gab jetzt nur noch Familie und Beruf. Unser Familienunternehmen ist konstant gewachsen. Auch wenn wir nicht mehr in ein Rennboot steigen werden, so verfolgen wir die Entwicklungen im Sport jedoch weiter mit.

Dann weiterhin alles erdenklich Gute!

Text und Fotos Marko Michels