Interview mit dem Christdemokraten Marc Reinhardt, Mitglied des Landtages MV

Der bildungs- und haushaltspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion über die friedliche Revolution 1989 in der DDR, die deutsche Vereinigung, die Rolle der DDR-CDU, die neue Koalition in Berlin und aktuelle politische Themen

Am 9.November jährte sich der Fall der Berliner Mauer zum 20.Mal. Der Freiheitswillen der Menschen zwischen der mecklenburgischen Ostseeküste und de Sächsischen Schweiz war letztendlich doch größer und stärker als stalinistischer Beton und realsozialistische Betonköpfigkeit von SED-, Stasi- und Block-Funktionären.

Vieles wird im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution 1989/90 verklärt, Ursachen und Beweggründe damals Aktiver pauschalisiert und manches auch relativiert.

Doch wie ist diesbezüglich die Ansicht jüngerer Politiker in exponierter Stellung, die die Ereignisse zwar bewusst miterlebten, in der DDR aber nicht mehr „so richtig“ sozialisiert wurden ?!

Dazu Marc Reinhardt, bildungs- und haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion

„Habe sehr intensive Erinnerungen an den Fall der Mauer!“

MReinhardt> Frage: Herr Reinhardt, das Jahr 2009 ist bzw. war ein Jahr der zahlreichen, bedeutungsvollen Jahrestage der deutsche Geschichte. Am 9.November jährte sich das friedliche Überwinden von Mauer und Stacheldraht zum 20.Mal. Willy Brandt, der frühere Bundeskanzler und Regierende Bürgermeister von Berlin, meinte stets: „Die Mauer steht gegen den Strom der Geschichte !“.
Was verbinden Sie mit dem Fall der Berliner Mauer ? Wie haben Sie, Jahrgang 1978, die Grenzöffnung 1989 erlebt – gibt es da noch „intensive Erinnerungen“ ?

> Marc Reinhardt: Im Jahr 1989 war ich 11 Jahre alt und habe trotzdem sehr intensive Erinnerungen an den Fall der Mauer. Am 9.November 1989 verfolgte ich mit meiner ganzen Familie die Ereignisse in Berlin vor dem Fernseher. Zwei Tage später fuhren wir mit unseren Nachbarn in einem B 1000 nach Westberlin. Dort strömte eine Vielzahl von Eindrücken vor allem auf uns Kinder ein. Ich erinnere mich noch gut wie eine ältere Frau auf uns Kinder zukam und uns unsere erste Milka-Schokolade schenkte, oder wie wir Kinder immer an den wartenden Schlangen vorbeigehen durften und als erste die Begrüßungspakete mit Kaffee, Obst und Schokolade bekamen. Es gab in den folgenden Monaten so viel Neues für uns Kinder zu entdecken, und ich bin im Rückblick heute noch erstaunt wie unheimlich schnell sich alles damals alles verändert hat.

„Trat wegen Helmut Kohl in die CDU ein!“

> Frage: Die deutsche Einheit ist eng mit dem Engagement und dem politischen Einsatz des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl verbunden. Sie gehören zwar, wie Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl der CDU an, aber wie bewerten Sie – ganz objektiv – die Verdienste von z.B. Willy Brandt, dem Sozialdemokraten und Bundeskanzler 1969/74, Hans-Dietrich Genschers, dem Liberalen und langjährigen Außenminister, und von Michail Gorbatschow, dem „Erfinder“ von Glasnost und Perestroika, bei der Realisierung der deutschen Einheit ? Wie ist Ihre Meinung zur damaligen DDR-Bürgerbewegung ? Einige wollten ja eine bessere DDR – ohne Mauer, Stasi, SED und Fahnenappell, andere wollten die Vereinigung Deutschlands …

HKohl> Marc Reinhardt: Ich bin unter anderem wegen Helmut Kohl Mitglied in der CDU geworden und erinnere mich heute noch, wie wir damals die Schallplatten mit seinen Reden zu Hause gehört haben. Aber ganz klar ist auch, dass neben dem damaligen Bundeskanzler viele andere zur Wiedervereinigung beigetragen haben. Im Gegensatz zu Oskar Lafontaine hat Willy Brandt immer an die Überwindung der Teilung geglaubt und mit seiner Ostpolitik einen wichtigen Baustein dafür gelegt.

Ohne die Weitsicht von Michail Gorbatschow und seiner Perestroika wäre der Raum für die Revolution im ganzen Ostblock nie entstanden. Aber es waren am Ende die Menschen in der DDR, die ihren Mut zusammen nahmen und die Diktatur beseitigten. Dabei war es zunächst egal, ob sie nur eine bessere DDR oder die Wiedervereinigung wollten. Alle wollten die Gewährleistung demokratischer Grundrechte, wie Rede-, Meinungs-, und Versammlungsfreiheit auch auf dem Gebiet der DDR.

SWitte> Frage: Die Hauptverantwortung der SED am politischen, moralischen und wirtschaftlichen Ruin der DDR ist unbestritten, die zahlreichen Toten und politischen Häftlinge während der stalinistischen Diktatur bleiben unvergessen. Aber: Die CDU war noch bis in die 1950er Jahre – zumindest partiell – ein Kontrapunkt zur SED-Politik. Namen wie Hans Krukenmeyer, stellvertretender CDU-Landesvorsitzender nach dem Krieg, oder Werner Jöhren, CDU-Fraktionsvorsitzender im Schweriner Landtag, waren christdemokratische Persönlichkeiten, die sich der stalinistischen Diktatur widersetzten.

Andere, wie z.B. der CDU-Landesvorsitzende Reinhold Lobedanz oder die Vorsitzenden der DDR-CDU, wie Otto Nuschke oder Gerald Götting, passten sich der SED-Politik an, wurden Partner der SED im so genannten „demokratischen Block“. Noch im Herbst 1989 organisierte die DDR-CDU zusammen mit der SED, der LDPD, NDPD oder Bauernpartei zahlreiche Gegen-Kundgebungen zu den Demonstrationen der Bürgerbewegungen.
Müßte sich die CDU neben ihrer Widerstandsgeschichte gegen die stalinistische Diktatur nicht auch stärker ihrer Schuldgeschichte, nach 1961, stellen ?

… Arndt Noack, der Mitbegründer der SDP in der DDR, hatte kürzlich auf die Frage: „Wird der Widerstand der Sozialdemokraten gegen die DDR-Diktatur heute, auch von der SPD selbst, aus Ihrer Sicht hinreichend gewürdigt ?“ geantwortet: „Ich denke eher nein. Ich meine freilich auch, dass die Geschichte der SPD in dieser Frage (der DDR-Diktatur) nicht nur eine Widerstandsgeschichte, sondern auch eine Schuldgeschichte ist.“
Wie bewerten Sie Widerstand und Anpassung, ja Mitschuld, der anderen SED-Blockparteien, wie CDU, LDPD, NDPD und DBD, an der DDR-Diktatur ?

> Marc Reinhardt: Fakt ist, dass die SED durch zahlreiche Säuberungsaktionen in den Blockparteien diese nahezu gleichgeschaltet hatte, und die Führungselite ab den 1960er Jahren nur noch mit linientreuen Funktionären besetzt worden sind. Trotzdem waren die Blockparteien immer Zufluchtsort für Menschen, die eben nicht in die SED eintreten wollten. Es waren 1989 auch Mitglieder der CDU, die sich kritisch mit der Situation in der DDR auseinandersetzten.

Im Februar 1989 kritisierte der Kreisverband Rügen die Versorgungslage, im Juni stellte der Kreisverband Wolgast die Ergebnisse der gefälschten Kommunalwahl in Frage und der Kreisverband Grimmen diskutierte über den zunehmenden Flüchtlingsstrom in den Westen.

Durch zahlreiche neue Mitglieder gelang es dann der Parteibasis im November 1989, sich gegen die Blockelite durchzusetzen und auf einem Sonderparteitag im Dezember 1989 legte die CDU-Ost ein umfassendes Schuldbekenntnis ab.

> Frage: Zur Zeit toben in der Welt 53 Kriege und kriegsähnliche Handlungen. Die Menschheit ist trotz zweier Weltkriege und eines globalen „kalten Krieges“ anscheinend nicht unbedingt klüger und friedvoller geworden. Wie stabil, glauben Sie, ist die deutsche Demokratie gegen ihre Feinde von links oder rechts ? Droht der Demokratie jedoch nicht auch Gefahr von selbst ernannten Demokraten, die vor allem die Demokratie zur Befriedigung des Eigennutzes verstehen ?

Schloss Schwerin> Marc Reinhardt: Eine funktionierende Demokratie ist der beste Schutz vor Krieg und Willkür. Es wird immer Kräfte von links oder rechts geben, die versuchen werden, die Demokratie madig zu machen, um sie durch andere eher totalitäre Systeme zu ersetzen.

Die Geschichte zeigt uns aber, dass auch eine Demokratie nie perfekt sein wird, aber bedeutend besser ist, als alles was wir bisher von rechts oder links erlebt haben.

Dort, wo Menschen wirken, werden Fehler gemacht, aber der Unterschied besteht darin, dass in einer Demokratie Fehler durch Wahlen oder öffentlichen Diskussionen abgestellt werden können, während in einer Diktatur nur Revolutionen zu Veränderungen führen werden.

„DDR-Geschichte nicht nur ein Thema für die Schule …“

> Frage: Die DDR-Geschichte wird zunehmend verklärt, von einigen dämonisiert, von anderen glorifiziert. Die Kenntnisse zur DDR unter Heranwachsenden ist eher unterdurchschnittlich. Was müsste sich aus Ihrer Sicht, als bildungspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Schwerin, am gegenwärtigen Geschichtsunterricht an den Schulen ändern ?

> Marc Reinhardt: Das Problem darf nicht auf die Schule reduziert werden. Natürlich ist es wichtig, dass im Unterricht das Thema DDR eine viel zentralere Rolle spielt als bisher. Dieses muss aber ein gesamtgesellschaftlicher Prozess sein. Ob in der Familie oder im Jugendclub, überall muss man den Jugendlichen erklären, wie eingeschränkt das Leben in der DDR war und welche Möglichkeiten sich der heutigen Generation durch die friedliche Revolution bieten.

… Aus aktuellem Anlass noch drei Fragen zur politischen Situation …

„Frau Schwesig sollte sich auf die Landespolitik konzentrieren …“

> Frage: Die Koalition aus CDU/CSU/FDP erlebt nicht gerade einen Traumstart: Minister-Rücktritt, Streit um Steuersenkungen, Streit um Personalien (Erika Steinbach), Auseinandersetzungen um eine Gesundheitsreform, Verhinderung des erfolgreichen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender durch die CDU, die Opel-Blamage und „eigensinnige“ CDU-Ministerpräsidenten.  Ein erfolgreicher Koalitionsbeginn sieht anders aus. Was läuft falsch in Berlin ? Wie ist Ihre politisch-persönliche Meinung ?

Angela Merkel> Marc Reinhardt: Knappe Mehrheiten sorgen in unserem politischen System immer für eine gewisse Polarisierung. Die neue Koalition hat sich viel vorgenommen und wird bis 2013 noch viele brisante Themen anfassen müssen. Man sollte die Arbeit der jetzigen Koalition an ihren Ergebnissen nach vier Jahren bewerten. Ich bin mir sicher, dass unter der Führung von Angela Merkel dringend notwendige Reformen umgesetzt werden.

„Für die SPD in MV  gibt es keine Alternative …“

> Frage: Einige aktuelle Äußerungen Ihres gegenwärtigen Koalitionspartners in Schwerin hören sich so an, als werde die Koalitions“ehe“ aus CDU und SPD nach der nächsten Landtagswahl 2011 in MV „geschieden“. Die CDU im Landtag in Schwerin – eventuell bald wieder in der Opposition ?

> Marc Reinhardt: Die SPD in M-V ist nach ihrer verheerenden Niederlage bei der Bundestagswahl in einer schwierigen Situation und versucht mit zum Teil sehr zugespitzten Äußerungen, aus diesem Tal wieder herauszukommen. Der innere Zustand der Koalition ist aus meiner Sicht aber sehr stabil, was sich auch an zahlreichen Vorhaben wie den Doppelhaushalt oder die Verwaltungsreform erkennen lässt. Zudem gibt es für die SPD keine wirkliche Alternative.

SPD/CDU-Koalition in MVMit der Linken gebe es nur eine Stimme Mehrheit im Landtag, dass würde wahrscheinlich nicht mal für die Wahl eines Ministerpräsidenten reichen. Ich gehe davon aus, dass diese Koalition bis 2011 hält und noch zahlreiche Projekte umgesetzt werden.

„Kristina Köhler hat seit 2002 ihre Durchsetzungskraft bewiesen …“

> Frage: Mittlerweile hat es den Anschein, als werde in der „großen Politik“ nun „Germany`s Next Topmodel by Angela Merkel & Frank-Walter Steinmeier“ gesucht. Nun hat Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin Manuela Schwesig, eine ebenso machtbewusste wie attraktive Gegenspielerin in Berlin: Kristina Köhler (CDU), 32 Jahre, ist neue Familienministerin. Erleben wir bald einen politischen „Z …krieg“ oder gibt es – aus Ihrer Sicht – einen sachlichen Diskurs zum Thema „Familie, Soziales und Kinder“ ? Was zeichnet – ganz objektiv – Manuela Schwesig und Kristina Köhler nach Ihrer Meinung aus ?

MSchwesig> Marc Reinhardt: Frau Schwesig hat aus meiner Sicht bisher kaum politische Erfahrungen sammeln können und sollte sich zunächst auf die Landespolitik konzentrieren. Hier gibt es zahlreiche Baustellen wie das KiföG oder die Krankenhausförderung, wo es nicht wirklich voran geht. Neben vielen Ankündigungen müssen hier in der nächsten Zeit vor allem Taten folgen.

Kristina KöhlerKristina Köhler hingegen ist seit 2002 Abgeordnete im Bundestag und hat hier in vielen Politikfeldern bewiesen, dass sie sich durchsetzen kann. Ich denke sie wird die erfolgreiche Politik von Ursula von der Leyen fortführen und mit eigenen Akzenten bereichern können.

Dann weiterhin frohes Schaffen im Schweriner Landtag, einen pflegeleichten Koalitionspartner und natürlich abwechslungsreiche Weihnachten bzw. einen optimalen Start 2010 !

Die Fragen stellte: Marko Michels.

Fotos: 1.Marc Reinhardt, bildungs- und haushaltspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag MV (M.R.). / 2.Helmut Kohl, Bundeskanzler von 1982 bis 1998. Für Marc Reinhardt ein Vorbild. (Bundestag) / 3.Begehrte gegen die SED-Politik nach 1946 auf – Wirtschaftsminister Siegfried Witte (CDU). (Stadtarchiv Schwerin) / 4.Das Schloss in Schwerin, seit 1990 wieder Sitz des Landtages in MV. (Michels) / 5.Bundeskanzlerin Dr.Angela Merkel und Marc Reinhardt, der Landtagsabgeordnete in Schwerin. (M.R.) / 6.Seit 2006 gibt es in MV wieder eine Koalition aus SPD und CDU. Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und der stellvertretende Ministerpräsident sowie Wirtschaftsminister Jürgen Seidel (CDU) bei einer Pressekonferenz. (Pressestelle/Landtag MV) / 7.Die Sozialministerin MV und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD, Manuela Schwesig, auf der BUGA 2009. (Michels) / 8.Kristina Köhler, die 32jährige Bundesfamilienministerin und neuer Star der CDU. (Bundestag)