Sarah Selig vom Bauernverband M-V über die Entwicklung der Landwirtschaft
Landwirtschaft, da rümpfen viele die Nase. Klingt nicht gerade „trendy“. Hört sich irgendwie „altbacken“ an, etwas was in die „frühere Zeit“ passt. Also eher etwas „für Hinterwäldler“?!
Dabei ist die Landwirtschaft die Zukunftsbranche schlechthin. Wer soll für die Ernährung der stetig wachsenden Weltbevölkerung sorgen? Kunstprodukte aus dem Reagenzglas, die zwar gut schmecken, aber nicht „aus Gottes freier Natur“ stammen, mögen die meisten auch nicht so richtig? Zwar sind viele inzwischen auf einem „veganer Trip“, aber das ist nur eine Minderheit.
Wie steht es aber um die Landwirtschaft in M-V, die von Hitze und vor allem Dürre in diesem Sommer extrem geplagt wurde?!
Nachgefragt bei der Assistentin der Geschäftsführung des Bauernverbandes M-V, Sarah Selig
Sarah Selig über den gegenwärtigen Ruf der Landwirtschaft in M-V bzw. darüber hinaus, die Bedeutung bzw. Perspektiven der Branche, das Spannungsfeld Landwirtschaft-Umwelt, den Fachkräftebedarf und neue Herausforderungen für die Landwirtschaft
„In unserem ureigenen Interesse, mit der Natur zu arbeiten…“
Frage: M-V war, ist und bleibt auch ein Agrarland. Dennoch hat die Landwirtschaft – gerade bei den Jüngeren – nicht gerade einen „attraktiven Ruf“. Wie wichtig ist und bleibt die Landwirtschaft aus Ihrer Sicht? Ist diese eine Branche mit Zukunft?
Sarah Selig: Die Landwirtschaft wird immer eine Branche mit Zukunft bleiben, denn wir essen täglich mindestens drei Mahlzeiten am Tag – dafür braucht die Gesellschaft unsere Landwirte.
Zudem wird sich – davon gehe ich hoffnungsvoll aus – der Ruf der Branche bald ändern. In der Landwirtschaft arbeiten wir zunehmend mit moderner, „cooler“ Technik – sowohl in den Traktoren als auch in den Ställen. Wir haben bereits erlebt, dass gerade junge Männer von der Technik immer faszinierter sind. Aber auch die jungen Frauen sind begeistert von den neuen auch oftmals digitalen Techniken, die die Arbeit verändern, effektiver gestalten und zum Teil auch körperlich hier und da erleichtern.
Die Arbeitsweisen auf den Betrieben ändern sich schrittweise, somit auch die typischen Aufgaben der Mitarbeiter und damit erweitert sich sicher auch unsere Nachwuchs-Zielgruppe. Zumal heute ganz andere Kenntnisse und Fähigkeiten gefragt sind, als noch vor 10 oder 15 Jahren.
Frage: Liest man vielen Magazinen und Zeitungen zu landwirtschaftlichen Themen, so haben diese mehrheitlich eher einen negativen Grundtenor. Landwirte gelten als „Umweltsünder“, die Übergröße einiger landwirtschaftlicher Betriebe wird beklagt und auch ein gewisser Raubbau an der Natur durch viele Landwirte.
Gerade die Grünen sind deutliche Kritiker der heutigen Landwirtschaft auch in M-V… Ist „im Kern“ diese Kritik nicht auch berechtigt? Was muß sich künftig auch für die Landwirte ändern?
Sarah Selig: Die Landwirte, unsere Branche nimmt diese Kritik sehr wohl wahr und auch sehr ernst. Jedoch muss erwähnt werden, dass sich die Landwirtschaft schon immer anpasst und weiterentwickelt hat, um neue Erkenntnisse umzusetzen.
Es ist in unserem ureigenen Interesse, mit der Natur zu arbeiten, denn das macht unsere Arbeit grundlegend aus. Das ist das Besondere an der Arbeit – die Natur, der Boden sind die entscheidenden Grundlagen jeder unserer Aufgaben.
Mit neuen Erkenntnissen wenden die Landwirte neue Maßnahmen und Strategien an, um die Landwirtschaft und den Umweltschutz noch weiter zu verbinden.
Unsere Landwirte setzten zum Beispiel zahlreiche freiwillige und auch verpflichtende Maßnahmen für mehr Umweltschutz und Artenvielfalt um. Dazu gehören das Anlegen von Blühstreifen, Ackerrandstreifen, Bracheflächen oder der Anbau von Zwischenfrüchten und vielfältigen Kulturen. Zudem ist die Düngung nun stark reglementiert.
Regelmäßige Bodenuntersuchungen, Nährstoffbedarfsermittlungen, emissionsarme Gülle-Ausbringung und vieles andere mehr gehören zur fachgerechten Ausbringung von Düngemitteln dazu. Ebenso wird der standortgerechte Ackerbau – der neben der Düngung und der angepassten Auswahl von Kulturen und Sorten auch den standortspezifischen Pflanzenschutz beinhaltet, immer mehr zum Alltag für die Mehrzahl der Betriebe.
Außerdem ist noch einmal zu betonen, dass die Landwirtschaft bereit ist weitere zusätzliche Umweltleistungen zu erbringen, wenn uns dies auch finanziell entlohnt wird. Denn es darf nicht vergessen werden, dass neben all der gesellschaftlichen Aufgaben der Landwirte, auch deren Einkommen gesichert sein muss – denn nur so können wir wirklich zukunftsfähig, langfristig agieren.
Frage: Vielerorts wird vom Fachkräftemangel gesprochen, Informatiker, Software-Entwickler, hoch spezialisierte Naturwissenschaftler und Handwerker werden händeringend gesucht. Angenommen eine Schulabgängerinnen und ein Schulabgänger entscheiden sich für einen landwirtschaftlichen Beruf… Bietet dieser hinreichend Perspektiven? Werden in der Landwirtschaft von M-V überhaupt Fachkräfte gesucht?
Sarah Selig: Auch in der Landwirtschaftsbranche in MV werden natürlich Fachkräfte gesucht. Die Agrarbranche bietet sehr zahlreiche Perspektiven. In dieser Branche können Fachkräfte vielfältige Aufgabenschwerpunkte auf den Betrieben übernehmen wie den Ackerbau, die Tierhaltung, unter anderem Schweinehaltung, Rinderhaltung oder Geflügelhaltung, oder Aufgaben in der Verwaltung und der Buchhaltung – in verschiedenen Positionen.
Hinzu kommen Berufsmöglichkeiten im vor- und nachgelagerten Bereich in der Forschung- und Wissenschaft, im Verkauf und der Beratung oder auch dort in der Verwaltung, Buchhaltung bzw. Logistik – und vieles mehr. Die Branche bietet viel mehr Berufsmöglichkeiten als gedacht. Nachfragen und rein schauen lohnt sich daher immer!
Letzte Frage: Ein Blick in die „Glaskugel“, in die Zukunft… Wie groß wird der Anteil der Landwirtschaft an der gesamtwirtschaftlichen Leistung in M-V in zehn Jahren sein. Eher abnehmen oder eher zunehmen?
Sarah Selig: Wir hätten natürlich sehr gern eine solche Glaskugel, um noch ganz andere Dinge voraussagen zu können. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Aktuell ist MV ein Agrarexportland.
Im Vergleich zu anderen Bundesländern hat die Landwirtschaft hier eine sehr hohe Bedeutung. Die Landwirtschaft ist neben der Tourismusbranche ein zentraler Wirtschaftszweig in MV. Diese Stellung werden wir auch weiterhin ausbauen und festigen wollen.
Wir haben anpassungsfähige, gut ausgebildete Landwirte, die sich der Zukunft stellen und zukünftige Herausforderungen stemmen werden. Entscheidend ist für uns, dass die Landwirtschaft zukunftsfähig ausgerichtet ist und wir dafür die nötigen (politischen) Rahmenbedingungen erhalten, um uns entsprechend weiterentwickeln zu können.
Ich denke, dass neben der grundlegenden Lebensmittelversorgung und der grünen Energieproduktion, die vielfältigen Aufgaben der Landwirtschaft in Zukunft sicher nicht abnehmen oder weniger wichtig sein werden. Wir gehen mit Leidenschaft für unseren Beruf in die Zukunft und hoffen, dass wir von der Politik entsprechende Rahmenbedingungen erhalten, um diesen zielführend weiterentwickeln und ausüben zu können.
Vielen Dank und weiterhin bestes Engagement für die Agrarwirtschaft in M-V!
M.Michels