Demokratisches Aufbegehren und Spitzeldienste in Mecklenburg und Vorpommern, speziell in Stralsund, nach 1945
Was viele mecklenburgische Sozialdemokraten nicht wussten, aber wohl ahnten, war die Tatsache, dass Spitzel der ehemaligen KPD-Landesleitung in Schwerin umfassende Lage- und Tätigkeitsberichte zu einzelnen Orten und Landkreisen bereits weit vor der Vereinigung verfassten, diese „Berichte“ auch nach der Parteien-Vereinigung von KPD und SPD im Jahre 1946 fortsetzten, um so zu dokumentieren, welche mecklenburgischen Sozialdemokraten besonders deutlich und entschieden die Parteien-Fusion ablehnten.
Ziel dieser Bespitzelung war es augenscheinlich, diese Sozialdemokraten innerhalb der SED zu isolieren bzw. diese aus der SED zu entfernen. Die Spitzelberichte waren wie folgt gegliedert:
1. Zeitraum der politischen Entwicklung in einzelnen Orten bis 1933 / Besondere Berücksichtigung der Meinung von Sozialdemokraten hinsichtlich einer Aktionseinheit mit den Kommunisten gegen die drohende NS-Diktatur
2. Zeitraum der Illegalität während der NS-Diktatur von 1933 bis 1945 / Ausführungen über die Formen des Widerstandes der Sozialdemokraten
3. Nachkriegsentwicklung bis zur Vereinigung beider Parteien / Dokumentation der Einstellung führender Sozialdemokraten zur Vereinigung
4. Haltung und politische Aktivitäten der Sozialdemokraten nach der Vereinigung.
Gerade zu den sozialdemokratischen Hochburgen in Mecklenburg-Vorpommern, z.B. zu Rostock, zu Stralsund oder zu Wismar, wurden umfangreiche Spitzelberichte verfasst.
So schrieb ein Spitzel der Staatssicherheit nach der Vereinigung der Parteien für die Bezirksparteikontrollkommission in Rostock folgenden Bericht über die politische Situation in Stralsund :
„ … Die SPD hatte im Kreis Stralsund-Stadt 560 Mitglieder, Vorsitzender war der Genosse Paul Reetz bis zum Sommer 1932. Genosse Reetz ist jetzt Mitglied unserer Partei. Er trat 1945 der KPD bei. Der zweite Vorsitzende der SPD war Karl Hildebrandt. Er ist jetzt Mitglied unserer Partei und arbeitet im Reichsbahnamt Greifswald.
Außerdem befand sich in Stralsund Karl Kirchmann. Er war Reichstagsabgeordneter. Dieser wechselte laufend zwischen SPD, USPD, SPD, KPD, SPD. 1945 trat er der SPD bei, kam dann in die SED und wurde im März 1950 als Opportunist entlarvt und ausgeschlossen … Im Kreis Stralsund wurde Ostern 1946 die Gründung der SED, also der Zusammenschluß von KPD und SPD vorgenommen.
Der Vorsitzende der KPD war Georg Wickles. Er war ein äußerst guter Redner, so dass er guten Anklang fand bei Leuten, die ihn aus der Vergangenheit nicht kannten. Auch sein Äußeres sprach ohne weiteres an, so dass er der richtige Roßtäuschertyp war. Viele Stralsunder kannten die Vergangenheit des Wickles (W. war in und vor der Nazizeit mehrere Male langjährig vorbestraft wegen Betrugs und Zuhälterei.).
Dadurch hatte er bei den Genossen, die ihn kannten, von Anfang an keinen Erfolg. Dazu kam, dass er sich einen Kreis von Mitarbeitern geschaffen hatte, …, die alle kriminell stark belastet sind … Von der SPD war der erste Vorsitzende Max Fank. Er war außerdem im Sechziger Ausschuss in Berlin als Abgeordneter. Dieser Genosse (Max) Fank arbeitete auch jetzt (nach der Vereinigung) weiter nach der Politik der SPD. Er kannte die Schwächen des Genossen Wickles (KPD) und nutzte diese reichlich für seine eigenen Machenschaften.
In das Stadtparlament kamen wieder viele SPD-Angehörige. Max Fank hatte einen Tag vor der Vereinigung der beiden Arbeiterparteien (6.4.1946) die Mitglieder der SPD im Unions-Theater zusammengerufen und ihnen gesagt, dass die KPD machen kann, was sie will, die SPD aber bleibe ihren Grundsätzen treu, nämlich der Schumacherpolitik. (Der SPD-Vorsitzende der Westzonen, Dr. Kurt Schumacher, war ein Gegner der KPD-SPD-Vereinigung und ein entschiedener Anti-Kommunist.)
Dieses führte der Genosse Fank auch durch, besonders in der Besetzung leitender Funktionen. Überall, wo es nur möglich war, wurden verlässliche Gönner des Fank eingesetzt … „ (BStU, Außenstelle Schwerin, Abt. XX, Rep. 2/104, BV Rostock)
Doch nicht nur auf die Beschreibung politischer Akteure der KPD und SPD beschränkte sich der Stasi-Spitzel in seinem Bericht; er zeigt zugleich auf, wie mit „unverbesserlichen Sozialdemokraten“ oder „sektiererischen Kommunisten“, die sich von der stalinistischen Politik der SED-Landesleitung distanzierten, von Seiten führender Einheitssozialisten verfahren wurde:
„ … Die `Gerechtigkeit` setzte sich durch und der Genosse Fank und auch Wickles wurden vom Landesvorstand abgesetzt. Fank wurde darauf Oberfischmeister und Leiter der Fischgenossenschaft in Stralsund. Auch hier nutzte er die Gelegenheit, um seine Schumacherpolitik weiter zu verfechten (Max Fank war auch für das SPD-Ostbüro, der SPD-Widerstandsbewegung gegen die SED, tätig. – M.M.), bis ihm durch unsere Freunde (Gemeint ist die russische Geheimpolizei.) das Handwerk gelegt wurde, man verurteilte ihn zu 25 Jahren … (Wickles) wurde 1948 aus der Partei ausgeschlossen …“
Doch nicht nur kommunistische Bespitzelungen hatten für die Sozialdemokraten, die sich der stalinistischen Diktatur widersetzten, schlimme Folgen.
Nach der Verhaftung des Ostbüro-Kuriers Heinz Kühne durch die kommunistischen „Sicherheitsorgane“ 1949 und dessen erzwungener Aussagen wurden in ganz Mecklenburg-Vorpommern zahlreiche Mitarbeiter, Kontaktpersonen und Vertrauensleute des Ostbüros verhaftet und zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, wie z.B. der bereit genannte Max Fank (Stralsund), Karl Moritz (Wismar), Hans-Joachim Roskam (Schwerin), Berthold Christiansen (Rerik/Wismar) und Heinrich Beese (Rostock).
Wie drakonisch die kommunistischen „Sicherheitsorgane“ gegen Mitarbeiter und Kontaktpersonen des Ostbüros zwischen 1946 und 1960 vorgingen, beweisen die Schicksale einiger ehemaliger SPD-Mitglieder. Verhaftungen mussten Erich Krüger, nach 1945 Mitbegründer der SPD in Mecklenburg und zweiter SPD-Landessekretär in Schwerin, Hans-Joachim Roskam, nach 1945 Landesbeauftragter für die Wahlen bzw. persönlicher Referent des Ministerpräsidenten Wilhelm Höcker, Erich Becker, nach 1945 Vorsitzender der SPD in Woldegk und SPD-Sekretär in Schwerin, und Heinrich Beese, nach 1945 Parteisekretär in Rostock und Leiter des Personalamtes der Rostocker Stadtverwaltung, hinnehmen.
Erich Krüger wurde im Mai 1946 in seiner Wohnung von Vertretern der russischen Geheimpolizei erschossen, Hans-Joachim Roskam wurde 1949 ebenfalls von Vertretern der russischen Geheimpolizei festgenommen und im GPU-KZ Fünfeichen inhaftiert, in dem er auch starb. Heinrich Beese und Erich Becker wurden 1949/50 von sowjetischen Militärtribunalen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
M.Michels