Herkunft darf nicht über Bildungschancen entscheiden

Auf den Vorschlag von Sozialministerin Manuela Schwesig (SPD), dem Hausärztemangel in Mecklenburg-Vorpommern mit einer Bevorzugung von Studienbewerbern aus dem eigenen Bundesland zu begegnen, reagieren BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit gemischten Gefühlen:

Johannes Saalfeld„Wir begrüßen, dass sich Sozialministerin Schwesig dem Problem des Hausärztemangels offensiv annimmt“, betont Johannes Saalfeld, Mitglied des Landesvorstandes von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und hochschulpolitischer Sprecher. „Wir denken jedoch nicht, dass dem Problem mit dem nun vorgebrachten Vorschlag genüge getan wird.“ Das Problem des Hausärztemangels entsteht nicht in den Hörsälen der Universitäten, sondern an anderer Stelle. „Nun aber die Herkunft des Studienbewerbers über die Vergabe des Studienplatzes mitentscheiden zu lassen, lehnen wir gleich aus mehreren Gründen ab“, konkretisiert Saalfeld.

Zunächst dürfte die Einführung der Herkunft als Zulassungskriterium auf große juristische Vorbehalte stoßen. Mit einer einfachen Änderung der Zulassungsordnungen, wie von Ministerin Schwesig vorgeschlagen, wäre es nicht getan. Um den Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 des Grundgesetzes — der ausdrücklich eine Bevorzugung oder Benachteiligung aufgrund der Herkunft ausschließt — zu umgehen, bedürfte es einer überzeugenden Argumentation des Gesetzgebers. Einfach zu behaupten, dass Landeskinder sesshafter seien, ist weder bewiesen noch würde es einer gerichtlichen Prüfung standhalten, ob dieser Grundrechtseingriff geeignet, erforderlich und angemessen wäre. „Wir wollen nicht, dass in Deutschland wieder die Herkunft über Bildungschancen entscheidet. Wir wollen die Mobilität junger Menschen in Deutschland nicht behindern, sondern fördern. Wir wollen stattdessen die geeignetsten Bewerber in unserem Land ausbilden und diese müssen wir dann von unserem Bundesland und vom Hausarztberuf überzeugen, egal woher sie stammen“, so Johannes Saalfeld. „Frau Schwesig, Herr Sellering, Herr Schlotmann, Herr Caffier und Frau Kuder sind auch keine Landeskinder und haben trotzdem in Mecklenburg-Vorpommern ihre Heimat gefunden, wohl auch, weil ihnen keine Mobilitätshemmnisse in den Weg gelegt wurden.“

Des Weiteren dürfte das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich berührt werden. „Unsere Universitäten können den Studienbewerber nicht verpflichten, wie die Bundeswehr den Zeitsoldaten verpflichten kann. Zudem stellt sich die Eignung und Neigung für eine bestimmte Vertiefungsrichtung in der Medizinausbildung erst während des Studiums heraus“, unterstreicht Johannes Saalfeld seine Skepsis gegenüber dem Vorschlag aus dem Sozialministerium. Möglich wäre stattdessen, sich ein Beispiel an Norwegen zu nehmen. Norwegische Absolventen, die sich für eine zweijährige Berufstätigkeit im dünnbesiedelten Nord-Norwegen entscheiden, bekommen vom Staat Studiengebühren und Studienkredite (BAföG) erstattet.

Mecklenburg-Vorpommern verliert dagegen viele Medizinstudenten am Ende des Studiums während des praktischen Jahres. Die Tätigkeit der Medizinstudenten von 40 Stunden pro Woche in der Krankenversorgung wird meistens mit nur 100 Euro pro Monat vergütet. „Dass sich bei einer solchen Bezahlung viele Studierende für das praktische Jahr in anderen Bundesländern und im Ausland bewerben, ist absolut nachvollziehbar. Mit wenigen Mitteln könnte die Attraktivität des praktischen Jahres in Mecklenburg-Vorpommern gesteigert werden — ohne gleich in Konflikt mit dem Grundgesetz zu kommen,“ zeigt Johannes Saalfeld Alternativen auf.

Weike Helene Bandlow