Geschäft mit unseriösen Forderungen

Untersuchung der Verbraucherzentralen offenbart Abzocke per Inkasso

Massive Beschwerden über unseriöse Inkassopraktiken gegenüber vielen Betroffenen haben seit einigen Jahren stark zugenommen und sind zu 99 Prozent berechtigt. In den letzten Monaten haben die Verbraucherzentralen im Rahmen des Projekts Wirtschaftlicher Verbraucherschutz mit Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) rund 4.000 Verbraucherbeschwerden ausgewertet. Das Ergebnis: In 84 Prozent der Fälle war bereits die Hauptforderung unberechtigt, in 15 Prozent der Fälle blieb auch auf Nachfrage unklar, ob es sich um eine berechtigte Forderung handelt. Lediglich ein Prozent der erfassten Inkassoforderungen waren eindeutig berechtigt. Ein akuter Handlungsbedarf wurde sichtbar. „Die Bundesregierung muss unseriösen Inkassopraktiken schnellstmöglich einen Riegel vorschieben“, fordert Dr. Jürgen Fischer, Vorstand der Neuen Verbraucherzentrale.

Wie die Untersuchung zeigt, stehen unberechtigte Inkassoforderungen meist im Zusammenhang mit Abo-Fallen im Internet, unerlaubter Telefonwerbung oder Gewinnspielwerbung. „Viele Betroffene fühlen sich bedroht und eingeschüchtert und zahlen aus Unkenntnis bzw. Angst, obwohl es häufig keinerlei rechtliche Grundlage gibt“, berichtet Matthias Wins, Fachberater für Verbraucherrecht der Verbraucherzentrale.

In rund 50 Prozent der ausgewerteten Fälle haben Inkassounternehmen nicht nachvollziehbare Gebühren oder Zinsen verlangt. Unterm Strich erhöhte sich dadurch die Summe gegenüber der Hauptforderungen im Verlauf des außergerichtlichen Mahnverfahrens um das Doppelte. Inkassounternehmen können ihre Gebühren nach Gutsherrenart nahezu willkürlich festlegen. Das Prinzip ist einfach: Eine auf den ersten Blick kleine Hauptforderung bläht sich durch Phantasiegebühren, Aufschläge und Zinsen zu einem Vermögen auf. So wachsen Bagatellforderungen zu Beträgen von mehreren Hundert oder gar tausend Euro an. Ein besonders krasser Fall aus der Schuldnerberatung: Für eine Forderung von anfangs nur 20,84 Euro wurde am Ende die Zahlung von 1.200 Euro verlangt.

Inkasso braucht Regeln

Inkasso braucht klare Regeln, gesetzliche Informationspflichten, verlässliche Gebührenvorgaben und eine schlagkräftige Aufsicht. Unseriöse Inkassopraktiken sind ein Massenphänomen geworden, dem sich die Politik stellen muss. Konkrete Maßnahmen im Kampf gegen unseriöses Inkassogebaren haben bereits der Bundesrat und die Verbraucherschutzminister der Länder gefordert. „Inkasso hat durchaus seine Legitimation – jedoch nur dann, wenn es nach klaren Regeln abläuft“, fasst Jürgen Fischer zusammen.

Konkret fordern die Verbraucherzentralen:
· die gesetzliche Verankerung von Informationspflichten für Inkassodienstleister,
· die angemessene Deckelung der Gebührensätze für Inkassodienstleistungen in Anlehnung an das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG),
· die Verankerung der Verhältnismäßigkeit zwischen Haupt- und Nebenforderung gesetzlich (analog zu Österreich),
· die Verhinderung von Phantasiegebühren und –zinsen durch klare Kostenvorgaben,
· eine effektive Aufsicht mit lediglich einer zuständigen Aufsichtsbehörde pro Bundesland,
· ein effektives Sanktionsregime, das von gestaffelten Geldbußen bis hin zum Entzug der Zulassung reicht.

Bedrohung und Einschüchterung

Rund drei Viertel der im Rahmen der Fallauswertung befragten Verbraucher fühlten sich von den Inkassoschreiben bedroht und eingeschüchtert. Gedroht wird mit Hausbesuchen, einem Eintrag bei der SCHUFA oder anderen Auskunfteien, Lohn- und Kontopfändung oder mit Gerichtstiteln, die zur Verhaftung führen können. Auch die Drohung, eine Detektei einzuschalten – und das wegen ganz kleiner Beträge – kommt immer häufiger vor.

Aufsicht und Selbstregulierung versagen

Auch sonst können die Unternehmen weitgehend unkontrolliert agieren, da es an effektiven Kontrollen und Sanktionen fehlt. Bundesweit sind rund 80 Aufsichtsbehörden für Inkassounternehmen zuständig. Eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein im Jahr 2010 ergab, dass bundesweit lediglich in zwei Fällen Inkassofirmen aufgrund von Verbraucherbeschwerden die Zulassung entzogen wurde.

Auch die Selbstregulierung der Branche funktioniert nicht. So geben die „berufsrechtlichen Richtlinien“ des Bundesverbandes Deutscher Inkassounternehmen (BDIU) weder eine Gebührenordnung noch konkrete Informationspflichten vor.

750 zugelassene Inkassounternehmen

In Deutschland gibt es rund 750 zugelassene Inkassounternehmen. Zwei Drittel davon sind im Dachverband BDIU organisiert. Sie bewegen nach Auskunft des Verbandes jährlich ein Forderungsvolumen von über 24 Milliarden Euro. Nur bei Gerichten registrierte Inkassounternehmen dürfen Schulden eintreiben.

NVZ