Etwa 80 neue akademisch qualifizierte Berufsschullehrkräfte pro Jahr benötigt das Land Mecklenburg-Vorpommern. Universität Rostock und Wirtschaft fordern gemeinsam den Kapazitätsausbau…
Ab dem Jahr 2021 müsse das Land Mecklenburg-Vorpommern jedes Jahr etwa 80 Berufsschullehrkräfte neu einstellen, um die berufliche Bildung zu sichern. Sonst kollabiere das System der Berufsausbildung, das Rückgrat der Qualität wirtschaftlicher Entwicklung. „Und das quer über viele Fachrichtungen“, legt Professor Franz Kaiser, Gründungsdirektor des Institutes für Berufspädagogik der Universität Rostock, den Finger in die Wunde.
Aber wie gelangen wieder ausreichend neu ausgebildete Lehrkräfte in die Königsklasse des Schulwesens? Mecklenburg-Vorpommern ist gerade seiner Randlage wegen ganz besonders darauf angewiesen, den dringend notwendigen Lehrkräftenachwuchs aus eigener Kraft auszubilden. Professor Kaiser, der die berufspädagogischen Studiengänge an der Universität Rostock verantwortet, hat selbst nach dem Abitur eine berufliche Ausbildung als Tischler durchlaufen und dann Berufsschullehramt an der TU Darmstadt studiert und am Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn geforscht.
Er hat eine klare Antwort: Zunächst müsse der Bedarf in Zahlen und mit Blick auf die benötigten beruflichen Fachrichtungen erhoben werden, die Studiengänge daraufhin ausgebaut und zudem Weiterbildungsstudiengänge eingerichtet werden, damit die Quer-und Seiteneinsteiger qualifiziert in den Schulen arbeiten. Und: „Wir brauchen eine öffentlichkeitswirksame Kampagne, damit bekannt wird, dass es auch Lehramt für berufliche Schulen gibt, das spannend und dem Gymnasiallehramt im Einkommen gleichgestellt ist“.
Eine, die um die Möglichkeit des Studiengangs wusste, ist die Ungarin Anna Hanf, die einen längeren Bildungsweg hinter sich hat, ehe sie an der Universität Rostock in den Masterstudiengang Berufspädagogik für Gesundheits-und Sozialberufe kam. Aktuell schließt die Mutter eines Kleinkindes ihr Masterstudium mit herausragenden Leistungen, also der Kombination von Sozialpädagogik, interkultureller Kompetenz, Deutsch als Zweitsprache und Berufspädagogik nach drei Semestern ab und wurde dafür mit dem DAAD-Preis an der Universität Rostock ausgezeichnet. Solche Berufsschullehrkräfte braucht das Land. Aber die sind Mangelware.
„Und das gilt für den Großteil der beruflichen Fachrichtungen, in denen im Land in Betrieben und Schulen ausgebildet wird“, betont Professor Kaiser. Insbesondere gibt es Engpässe im Gesundheits-und Sozialbereich sowie in den technischen Fachrichtungen. Der Stellenwert der beruflichen Bildung wird häufig nicht erkannt, werden doch 20 Prozent aller Lernenden an einer beruflichen Schule unterrichtet, sagt Professor Kaiser, der zugleich auch Sprecher der Initiative des Stifterverbandes der deutschen Wirtschaft für Berufsschullehrkräfte ist.
Die Universität Rostock bietet Studiengänge in den beruflichen Fachrichtungen Wirtschaft, Elektro-, IT, Metalltechnik, Agrarwirtschaft, kombiniert mit einer Vielzahl von allgemeinbildenden Zweitfächern an. Zudem hat sie eine Kooperation mit der Fachhochschule Neubrandenburg abgeschlossen, um geeignete Studierende für den Bereich Gesundheit und Sozialwesen gezielt zu begleiten, die dann langfristig an beruflichen Schulen arbeiten können.
„Und dennoch wird es eng“, warnt Professor Kaiser. „Das Land müsste jetzt die Kapazität für alle Studiengänge der Berufsschullehrkräfte verstetigen und ausbauen“. Aktuell studieren 70 junge Leute, verteilt über alle zehn Semester Berufsschullehramt. Zu wenig.
„Die Anzahl der Studierenden sinkt“, sagt Professor Wolfgang Schareck, Rektor der Universität Rostock. „Weil Handwerk und Industrie beruflich qualifizierte Fachkräfte brauchen, brauchen wir gute Berufsschullehrer“, unterstreicht der Rektor. Er verweist auf ernst zu nehmende Überlegungen, den Studiengang Berufspädagogik auszubauen und sieht unter anderem eine Möglichkeit darin, die Kooperation mit der Fachhochschule Neubrandenburg zu verstetigen. Die Weichen seien gestellt.
„Ohne ein sofortiges und ausreichendes Gegensteuern wird es in wenigen Jahren zum Kollaps der Berufsschulen kommen“, warnt auch Ingo Schlüter, stellvertretender Vorsitzender des DGB Nord. Er prophezeit: „Dann erleben wir hier das Gleiche wie in der Pflege, dann kommt die Berufsbildung in M-V komplett unter die Räder, mit „Berufe-Sterben“ und der Schließung der Berufsschulstandorte!
„M-V hat schon heute erhebliche Personalprobleme an den Schulen, den Berufsbildenden Schulen und in der Lehreraus- und Weiterbildung!“, betont Ingo Schlüter. „Die berufsbildungspolitische Achillesferse des Landes ist die dramatische Alterszusammensetzung der Kollegien und der berufliche Fachlehrermangel an den Berufsbildenden Schulen insbesondere, die ohne sofortige und nachhaltige Investitionen in die Berufsschullehreraus- und -weiterbildung schon in wenigen Jahren zum Kollaps der berufsbildenden Schulen als Dualpartner, vollzeitschulischem Lernort und Schule der zweiten Chance führen werden!“
Die besonders dringliche Steigerung der Wertschätzung der beruflichen Lehrkräfte betonte auch die First Lady, Elke Büdenbender, bei ihrem Besuch der Universität Rostock anlässlich der Tagung zum Berufsschullehramt im Sommer 2019. „Für mich sind Berufsschullehrkräfte Helden der Gesellschaft, die sich für die Integration Jugendlicher und die Berufswelt einsetzen. Sie werden dringend gebraucht“, sagte sie.
Die Not resultiere daraus, dass das Land Mecklenburg-Vorpommern vor 15 Jahren beschlossen hat, aus der Ausbildung von Berufsschullehrerinnen und -lehrern mit Ausnahme der Fächer Wirtschaft und Verwaltung auszusteigen, sind sich Professor Kaiser und Ingo Schlüter einig.
„Die Wiedereinführung der Studienrichtung für den gewerblich-technischen Bereich sowie Gesundheits- und Sozialwesen vor einigen Jahren vermag das Problem einer den Ausbildungsplätzen gemäßen Lehrkräfteentwicklung aus eigener Kraft nicht annähernd zu lösen“, sagt Ingo Schlüter.
Denn im Schuljahr 2018/19 waren bereits zwei Drittel der Lehrerinnen und Lehrer an öffentlichen Berufsschulen 50 Jahre und älter.
Pressemitteilung der Universität Rostock / Text: Wolfgang Thiel