Erfolglose Organklage wegen Wortentzugs in Landtagssitzung

Mit seiner Organklage wendet sich der Abgeordnete Raimund F. Borrmann dagegen, dass ihm die Landtagspräsidentin in der 56. Landtagssitzung vom 20. November 2008 das Wort entzogen hat.

Wegen der Einzelheiten des Sitzungsverlaufs wird auf das Plenarprotokoll 5/56 zu TOP 29 verwiesen, das in der Parlamentsdatenbank des Landtages (www.dokumentation.landtagmv.
de/parldok/) unter „Aktuelle Dokumente => Plenarprotokoll“ abrufbar ist. In dem Wortentzug sieht der Antragsteller einen Verstoß gegen Art. 22 Abs. 2 Satz 1 der Landesverfassung, der den Abgeordneten das Rederecht garantiert.
Mit Beschluss vom 25. März 2010 hat das Landesverfassungsgericht die Organklage zurückgewiesen, weil es das Rederecht des Antragstellers nicht als verletzt angesehen hat. Die Landtagspräsidentin habe davon ausgehen dürfen, dass der Inhalt der Rede des Antragstellers geeignet war, den Tatbestand der Volksverhetzung in einer Weise zu berühren, die die Würde und das Ansehen des Parlamentes verletzt und als gröbliche Verletzung der parlamentarischen Ordnung im Sinne der seinerzeit geltenden Fassung des § 99 Abs. 1 der Geschäftsordnung des Landtages (GO LT) bewertet werden kann.

Unter Berücksichtigung des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums reiche die weder willkürliche noch missbräuchliche Annahme aus, dass die sanktionierte Rede ein Verharmlosen von Art, Ausmaß, Folgen oder Wertwidrigkeit einzelner oder der Gesamtheit nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen im Sinne des § 130 Abs. 3 oder 4 StGB beinhalte. Der Antragsteller habe – wie bereits sein von der Sitzung ausgeschlossener Vorredner, dessen Redemanuskript er ausdrücklich fortsetzte – im Sinne der von seiner Partei und deren Anhängern vertretenen Geschichtsdeutung bewusst den Eindruck erwecken wollen, die Novemberpogrome von 1938 seien mehr „Reaktion“ gewesen und könnten als Aspekt eines historisch rechtfertigenden Anliegens der Bekämpfung des „Antigermanismus“ gesehen werden. Mit der Ordnungsmaßnahme sei daher – unabhängig davon, ob bereits der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sei – die Art und Weise des Umgangs mit Untaten eines Regimes geahndet worden, das zur Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen schritt und sich als Schreckbild unermesslicher Brutalität in das Bewusstsein der Gegenwart gebrannt habe (BVerfG, Beschl. v. 04.11.2009, 1 BvR 2150/08). In den entsprechenden Äußerungen, die dem Bestreben der Bundesrepublik Deutschland entgegenwirken, die Hypothek abzutragen, die aufgrund der nationalsozialistischen Verbrechen noch auf ihr lastet, habe die Landtagspräsidentin eine Verletzung der Würde und des Ansehens des Parlamentes sehen dürfen.

Bei der Wahl des Ordnungsmittels ist sie zu Recht davon ausgegangen, dass auch § 99 Abs. 1 GO LT einen Eingriff in die Abgeordnetenrechte nur insoweit erlaubt, als es erforderlich ist, um einen störungsfreien, die Parlamentswürde wahrenden Sitzungsverlauf sicherzustellen. Danach kann bei einer gröblichen Ordnungsverletzung zu dem gegenüber einem Sitzungsausschluss milderen Mittel des Wortentzugs gegriffen werden, wobei dem kein Ordnungsruf vorausgegangen sein muss.

Nickels
Pressesprecher