Endlich ein neuer Greifswalder Oberbürgermeister

Dr. Stefan Fassbinder (Bündnis`90/Die Grünen) kann sein Amt antreten…


In diesem Jahr konnte in Mecklenburg und Vorpommern wieder gewählt werden. In einigen Städten gab es Oberbürgermeister-Wahlen und Bürgermeister-Wahlen, bevor 2016 die Landtagswahl M-V und 2017 die Wahl zum Deutschen Bundestag folgen.

Aber erst einmal wurde es aktuell spannend. Viereinhalb Monate nachdem der Kandidat von Bündnis 90 / Die Grünen, der SPD, der Linkspartei und der Piraten, Dr. Stefan Fassbinder, die Greifswalder Oberbürgermeister-Wahl gegen den CDU-Kandidaten Jörg Hochheim gewann, kann er sein Amt endgültig antreten.

Fassbinder 15.02.04 09

Spannende Wahl…

Am 10.Mai hatte Dr. Stefan Fassbinder 8170 Stimmen erhalten, Jörg Hochheim nur 15 Stimmen weniger (8155). Weil eine Fußmatte, die eine Tür zu einem Wahllokal offen halten sollte, jedoch verrutschte und das Wahllokal zeitweise verschlossen war, wurden Einsprüche gegen die spektakuläre und überraschende Greifswalder OB-Wahl eingelegt.

Nun endlich, am 28.September, entschied die Greifswalder Bürgerschaft mit einem Stimmenverhältnis von 24:17 die Einsprüche abzuweisen und die OB-Wahl vom 10.Mai für gültig zu erklären. Somit kann Dr. Stefan Fassbinder sein Amt antreten. Allerdings könnte gegen die Entscheidung der Greifswalder Bürgerschaft noch Klage erhoben werden.

Ende der „CDU-Herrschaft“

Für die CDU endet endgültig eine Dauer-Regentschaft nach einem Vierteljahrhundert. Seit 1990, seit der politischen „Wende“ ist Greifswald sicher in CDU-Hand. So amtierte von 1990 bis 1992 Dr. Reinhard Glöckner. Dann folgte Joachim von der Wense von 1993 bis 2001 und seit 2001 ist der Greifswalder Regier- und OB-Meister Dr. Arthur König im Amt, der nach zwei Amtsperioden aus Altersgründen nicht mehr kandidierte und in den wohl verdienten (Un-)Ruhestand geht.

… Tja, viel Aufregung um die Greifswalder OB-Wahl 2015!

Ist nun alles wieder im „politischen Lot“?!

Nachgefragt bei Dr. Stefan Fassbinder, Jahrgang 1966, dessen Wahl zum Greifswalder Oberbürgermeister Ende September bestätigt wurde…

Dr. Stefan Fassbinder zu seinem kommenden Start als Greifswalder OB, die Entwicklung der Stadt in den letzten Jahren, neue Ziele bzw. Ambitionen und über Greifswald „an sich“

„Eine Politik mit und für die Bürgerinnen und Bürger in Greifswald…“

Frage: Herr Dr. Fassbinder, endlich wurde Ihre Wahl zum Greifswalder OB bestätigt. Wie war der Zeitraum zwischen Mai (OB-Wahl) und September (Bestätigung) für Sie? Verlorene Zeit…

Dr. Stefan Fassbinder: Es ist gut, dass die Zeit des Wartens vorüber ist, obgleich es wichtig war, dass der Wahlprüfungsausschuss tätig wurde, um die Vorkommnisse in einem Wahlbüro zu bewerten. Für Greifswald selbst war es eine problematische Zeit, denn diese lange „Übergangsphase“ bedeutete in manchen Bereichen Stillstand. Viele Projekte lagen „auf Eis“, einige notwendige Aktivitäten konnten nicht stattfinden. So etwas lähmt natürlich die städtische Entwicklung. Aber nun geht es endlich weiter!

Frage: Sie beendeten die 25jährige Dauerherrschaft der CDU nach der Wende in Greifswald. Was lief aus Ihrer Sicht seit 1990 in der Stadt gut, was weniger?

Dr. Stefan Fassbinder: Greifswald hat sich außerordentlich positiv entwickelt, ist eine sehr attraktive Stadt geworden. Man denke nur daran, wie Greifswald zur Wendezeit aussah! Die Innenstadt wurde restauriert und renoviert, erstrahlt in neuem Glanz.

Die Neubauviertel wurden modernisiert, die Stadt wurde behutsam umgestaltet und hat an Anziehung gewonnen. Neue Firmen siedelten sich an und was besonders erfreulich ist, neben Rostock ist Greifswald die einzige Stadt in Mecklenburg-Vorpommern die aktuell einen Bevölkerungszuwachs verzeichnen kann. Greifswald hat einen sehr guten Ruf.

Problematisch sehe ich die politische Entwicklung in der Stadt. Wenn eine Partei so lange an der Macht ist, wie die CDU, dann ergeben sich Verflechtungen auf den verschiedenen Ebenen, die nicht gerade zu Transparenz und Offenheit beitragen. Da stehen dann mitunter parteipolitisch motivierte Eigen-Interessen zu sehr im Vordergrund. So sehr die Sanierung der Altstadt hervorzuheben ist, so muß man allerdings auch hinzufügen, dass eine Modernisierung der Kindertagesstätten, Schulen und einiger Kultureinrichtungen ausblieb. Da gibt es in den kommenden Jahren eine Menge zu tun.

Frage: Sie selbst sind gebürtiger Münchener, kamen 1999 an das Landesmuseum Vorpommern nach Greifswald. Wie ist Ihre Meinung, Ihre Einschätzung zu Land und Leuten in Greifswald und Umgebung? Vorpommern ist ja nicht gerade „sexy“…

Dr. Stefan Fassbinder: Also einen „Kulturschock“ gab es ganz und gar nicht. Ich bin zwar in München geboren, wuchs jedoch in Baden-Württemberg auf. Und vor meinem unmittelbaren Wechsel 1999 nach Greifswald wohnte ich bereits in NRW, in Paderborn, hatte mich also der Ostsee kontinuierlich genähert… Meine Familie und ich selbst wurden sehr gut aufgenommen, sowohl im Wohn- als auch im Arbeitsbereich.

Und es gefiel uns von Anfang an sehr gut in M-V. Die Landschaft ist reizvoll, lädt zum Verweilen förmlich ein und zudem sind die kulturellen Angebote sehr vielfältig. Wir fühlten und fühlen uns in M-V, speziell in Greifswald, sehr wohl.

Frage: Das Land M-V wird zurzeit von einer Kuschel-Koalition regiert. Wie schwarz-roter Mehltau liegt diese Landesregierung über dem Land. Wie wollen die Grünen dieses Land wieder wach küssen, damit es wieder ein bisschen lebendig wird – im politischen Sinne? Kann da ein grüner OB auch aktiv sein…

Dr. Stefan Fassbinder: Als Greifswalder Oberbürgermeister kann man die Landespolitik nur äußerst bedingt beeinflussen. Was allerdings möglich ist, dass Greifswald beispielhaft wirken kann, positive Zeichen setzt. Es ist die Art, Politik zu machen. Leider ist es so, dass die Bürgerinnen und Bürger von der Politik nicht mehr mitgenommen werden, vor vollendete Tatsachen gestellt werden.

Ein Beispiel ist der Volksentscheid zur Gerichtsstrukturreform. Zunächst errichtete die Landesregierung übergroße Hürden dafür, dann wurde nur wenig sachlich argumentiert und ein eindeutiges Ergebnis sehr relativiert.

Ein weiteres Beispiel ist die Kreisgebietsreform, die bei vielen Bürgerinnen und Bürgern auf Unmut und Unverständnis traf. Die Landesregierung schaffte vollendete Tatsachen weit weg von den hier lebenden Menschen, was sich letztendlich auch negativ auf das ehrenamtliche Engagement auswirkt. Das wollen wir, das möchte ich in Greifswald anders machen – eine Politik mit und für die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.

Zwei Dinge liegen mir noch am Herzen. Wir möchten bei uns die falsche Agrarpolitik in M-V nicht mitmachen, die sich zu sehr der Massentierhaltung und der Industrialisierung der Landwirtschaft zuwendet. Wir werden versuchen mit dem Landbesitz Greifswalds Schritte in eine andere Richtung einzuschlagen – auch in Kooperation mit der Universität.

Außerdem arbeiten wir daran, eine Modellschule zu schaffen mit echter Inklusion. Seitens des Kultusministeriums in Schwerin gibt es manchmal Lippenbekenntnisse, denen nicht unbedingt Taten folgen.

Frage: Ehrenamtsstiftung, Ratlosigkeit bei der Flüchtlingsproblematik, realer Kulturabbau, Kita-Streiks, Probleme bei der Energiewende, eine unzureichende Sportförderung, Postengeschacher in der Landesverwaltung, geschönte Statistiken zum Arbeitsmarkt – die Liste der „Untaten“ der Rot-Schwarzen ist lang. Als Landespolitiker und OB: Wie bewerten Sie die politische Kultur im Nordosten?

Dr. Stefan Fassbinder: Speziell bezogen auf Greifswald wünsche ich mir, dass wir zu einem sachlichen Miteinander in der Bürgerschaft – und nicht nur dort – zurückkehren. Es sind große Gräben entstanden – gar nicht so sehr mit der eigentlichen Wahl zum Oberbürgermeister im Mai, sondern vielmehr mit den Geschehnissen danach. Diese gilt es wieder zuzuschütten, denn eine faire und gute Zusammenarbeit gab es in der Greifswalder Bürgerschaft in den letzten Jahren meistens.

Das politische Klima sollte die Bürgerinnen und Bürger zum Mitmachen, zum „Einmischen“ und zum konstruktiven Mittun animieren, was letztendlich auch gut für die Entwicklung der Stadt ist. Wir hatten ja in der Bürgerschaft keine festen Mehrheiten, da waren sachorientierte Gespräche der verschiedenen Vertreter der einzelnen Parteien ohnehin unabdingbar.

Auf der kommunalen Ebene spielt die „persönliche Chemie“ unter den einzelnen parteipolitischen Protagonisten eine entscheidende Rolle und diese stimmte eigentlich bisher.

Frage: Zurück zu Greifswald… Wo soll Greifswald aus Ihrer Sicht 2022 stehen?

Dr. Stefan Fassbinder: Ich hoffe sehr, dass die Stadt weiter wächst, offen ist für neue Menschen, ältere Menschen, Flüchtlinge, Menschen mit Migrationshintergrund und Wissenschaftlern mit ausländischen Wurzeln, weiter ein „Motor“ der Entwicklung innerhalb des Landkreises Vorpommern-Greifswald ist, familienfreundlich bleibt und bezahlbaren Wohnraum bietet.

Viele Schulen bzw. Kindertagesstätten sollten bis dahin modernisiert sein – ebenso wie das Theater, das aus Greifswald nicht wegzudenken ist. Außerdem sollte der Neubau des Stadtarchives zum genannten Zeitpunkt fertig sein. Greifswald kann noch attraktiver werden…

Letzte Frage: Wie sieht Ihr Leben neben der Politik aus? Was sind Ihre Hobbys?

Dr. Stefan Fassbinder: An erster Stelle steht meine Familie. Meine vier Kinder gehen ja noch zur Schule und nehmen die meiste Zeit in Anspruch. Bisher war eher ja die Politik, der ich mich im Ehrenamt widmet, das Hobby – ein allerdings sehr zeitintensives Hobby. Ansonsten reise ich gern und mache Radtouren.

Vielen Dank, eine erfolgreiche Amtszeit als Greifswalder Oberbürgermeister und weiterhin bestes Engagement für die Stadt!

Marko Michels

Foto: Dr. Stefan Fassbinder/privat