Die Welt und Greifswald zwischen den Jahren – eine Rückschau

Musealer Blick auf Greifswald 2015/16

„Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.“, heißt es im „Herbsttag“ von Rainer Maria Rilke. Und wenn die Blätter treiben, dann wirbeln auch bald die Schneeflocken.

Nur noch eine kurze Zeit und das Jahr 2015 ist wieder Historie. Ein extremes Jahr. Ein trauriges Jahr. Ein verlorenes Jahr. Ein Jahr zum Wegwerfen oder zum Archivieren?!

Trauriges…

60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. So viele wie seit Ende des zweiten Weltkrieges nicht mehr. Angesichts von 53 Kriegen und Konflikten auf diesem Planeten leider eine „logische Folge“. Die viertstärkste Wirtschaftsnation und drittgrößter Waffenexporteur, das deutsche Fußball-Weltmeister-Land, ist jedoch nicht in der Lage, eine Millionen Flüchtlinge aufzunehmen. Beschämend. Schaut man auf die Milliarden-Vermögen einiger Weniger hierzulande, auf die Milliarden-Steuereinnahmen der evangelischen bzw. katholischen Kirche, auf die Milliarden-Vermögen der Gewerkschaften und die Milliarden-„Rücklagen“ der großen deutschen Konzerne Anlass zum Grübeln und Kopfschütteln.

Naturkatastrophen, Terroranschläge und Flugzeugabstürze mit zahlreichen Opfern bewegten die Menschen. Die TV-Kameras blickten für drei, vier Tage auf das traurige Geschehen, um danach „zum Alltag überzugehen“, was die Betroffenen und Hinterbliebenen nicht können. Für diese begann dann erst die schlimmste Zeit. Andere traurige Ereignisse gerieten aber außerhalb des Blickfeldes der TV-Kameras… Wie „World Food Programme“ mitteilte, sterben auf der Welt noch immer Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung. Jährlich – nur eine Zahl dazu von vielen – sterben fast 3 Millionen Kinder unter fünf Jahren an Unterernährung…

Wie meinte aber bereits Peter Ueberroth, Organisator der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles und einige Jahre Präsident des amerikanischen NOK: „Kein Mensch auf der Welt müßte an Hunger sterben, wenn es politisch gewollt wäre…“

Trauriges wurde auch aus Hamburg gemeldet… Am 10.November starb ein politischer Mahner und Intellektueller, der einer der bedeutendsten deutschen Politiker der Bundesrepublik Deutschland war. Helmut Schmidt, der fünfte Bundeskanzler, der deutsche Jahrhundert-Politiker, der aufrichtige Hanseate, der politische Kapitän in den stürmischen Zeiten der 1970er, der Elder Statesman und der Wegbereiter der deutschen Einheit, hat dem irdischen Dasein „Goodbye“ gesagt. … Im Frühjahr noch ein Buch mit dem Titel „Was ich noch sagen wollte“ veröffentlicht, in dem er der aktuellen politischen Klasse die „Leviten las“ und damit den Abschied vorbereitet, und nun bereit für die letzte ganz große Reise…

Ein politischer Kapitän ging von Bord, der nicht nur einen Kompass hatte, sondern mit diesem auch umgehen konnte. Der nicht danach lechzte, wie manch andere, die eigene Bedeutung an der Anzahl der Dienstjahre in einem Amt zu bemessen. Jemand der stand, wenn andere umfielen oder über ihn „herfielen“. Helmut Schmidt hinterläßt – politisch betrachtet – eine große Lücke…

und Positives…

Waren 2015 auch positive Schlagzeilen zu registrieren?! Natürlich. Es gab große und kleine Sieger.

Nobelpreise wurden auch 2015 an würdige Protagonistinnen und Protagonisten ihrer „Arbeitsgebiete“ verliehen, so an Arthur McDonald (Kanada/Physik), Paul Modrich (USA)/Aziz Sancar (Türkei, USA/jeweils Chemie), Satoshi Omura (Japan)/Tu Youyou (China/jeweils Medizin), Swetlana Alexijewitsch (Weissrussland/Literatur), das „Quartet du dialogue national“ (Tunesien/Frieden) und Angus Deaton (Großbritannien, USA/Wirtschaftswissenschaften).

Die diesjährigen „Oscars“ gingen unter anderem  an „Birdman oder Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit“ als besten Film, an Alejandro Gonzalez Inarritu als besten Regisseur, an Eddie Redmayne („Die Entdeckung der Unendlichkeit“) als besten Hauptdarsteller und Julianne Moore („Still Alice“ / „Mein Leben ohne Gestern“) als beste Hauptdarstellerin. Beim „Eurovision Song Contest“ gab es wieder einmal einen Erfolg für Schweden, für Mans Zelmerlöw und dessen Song „Heroes“, vor Russland (Polina Gagarina) sowie Italien (Il Volo).

Der Weltsport bewegte ebenfalls die Gemüter. Die US-Amerikanerinnen wurden neue Fußball-Weltmeisterinnen. Die „All Blacks“, die Neuseeländer, holten sich die WM-Krone im Rugby. Und Lewis Hamilton (Großbritannien) rast wieder zum WM-Titel in der Formel 1. Bei den Schwimm-WM in Kazan „fischte“ die US-Amerikanerin Kaite Ledecky fünfmal Gold aus dem „Bassin“; dreimal Gold eroberten dort der Franzose Florent Manadou und der Brite Adam Peaty.

Bei den Leichtathletik-WM in Peking jubelte erneut der Jamaikaner Usain Bolt. Er lief zu Gold über die 100 Meter, 200 Meter und mit der 4 x 100 Meter Staffel aus Jamaika. Zweimal Gold „schnappte“ sich dessen Landsfrau Shelley-Ann Fraser-Pryce (100 Meter, 4 x 100 Meter). Die „fliegende Holländerin“ Dafne Schippers sorgte mit ihrem Erfolg über die 200 Meter für eine große Überraschung.

Geturnt wurde 2015 zudem. Bei den WM in Glasgow schrieben der Japaner Kohei Uchimura mit seinem sechsten WM-Gold im Mehrkampf-Einzel und die US-Amerikanerin Simone Biles mit dem dritten WM-Gold im Mehrkampf-Einzel der Frauen Turn-Geschichte.

Politisch betrachtet blieb es bei viel Stückwerk, viel Mehltau, schönen bzw. geschönten Statistiken, schönen Beliebtheitswerten, wo und wie auch immer diese ermittelt wurden, und besonders viel „Sprechblaseritis“. In Berlin ist weiter eine CDU/CSU/SPD-Bundesregierung beschäftigt, in Schwerin eine SPD/CDU-Landesregierung. Womit auch immer.

Viel erreicht?!

Viel wurde erreicht, vieles auch nicht. Noch immer fliegt kein Flugzeug vom Berliner Flughafen, noch immer wird in der Hamburger Elbphilharmonie nicht konzertiert, noch immer rollen keine Züge über bzw. durch „Stuttgart 21“ – nur einige Beispiele für suboptimale Großbaustellen „Made in Germany“. Dafür wurden Milliarden und Milliönchen verpulvert. Wir haben es ja. Oder doch nicht?! Die Klingelbeutel werden jedoch sicher auch 2015 wieder gebraucht…

Spezieller Blick auf Greifswald

Was war noch?! Ach ja. Abgaswerte wurden manipuliert. Bayern München ist im deutschen Fußball eine Klasse für sich. In der Landeshauptstadt M-V bereiten sich „alle“ auf die kommende Oberbürgermeisterinnen- bzw. Oberbürgermeister-Wahl 2016 vor. Etwas, was Greifswald – unter turbulenten Umständen – schon 2015 vollbrachte. Dr. Stefan Fassbinder heißt das neue Stadtoberhaupt und wird Greifswald hoffentlich weiter nach vorn bringen.

Beliebt ist Greifswald ohnehin, insbesondere auch ein Studium dort: So gab es an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität zu Greifswald 2015 rund 11200 Studierende. Und viel Zuspruch gab es auch 2015 auch für das Theater Greifswald – das Theater-Gebäude an der Robert-Blum-Strasse feierte 2015 seinen 100.“Geburtstag“.

Die mittelständischen Betriebe in Vorpommern-Greifswald blicken durchaus optimistisch in die Zukunft, aber die Arbeitslosigkeit in der Region beträgt dennoch 11,4 Prozent. Traditionelle Veranstaltungen, wie das Fischerfest Gaffelrigg, der polenmARkT oder die Kulturnacht, lockten auch 2015 Einheimische und Gäste.

Sportlich bot Greifswald in den vergangenen Monaten auch einiges… Insbesondere im Baseball. Die „Greifswald Baltic Mariners“ wurden zum dritten Mal hintereinander Landesmeister von M-V. Die „Greifswalder Rollmöpse“ sorgten im Rugby-Sport für Athleten mit Handicaps für viel Furore.

Boxsportler Florian Schulz wurde im Superschwergewicht Vize-Europameister und kam bei den WM bis ins Viertelfinale. Überhaupt ist die Region Vorpommern-Greifswald sehr sportiv.

So zählt der Kreissportbund Vorpommern-Greifswald aktuell rund 39000 Mitglieder, darunter rund 12200 Kinder bzw. Jugendliche, die in 364 Sportvereinen organisiert sind. Traditionell sehr beliebte Sportarten sind dabei in Greifswald Badminton, Fußball, Handball, der Seesport, Beachvolleyball, der Drachenbootsport, das Ringen, Judo, Segeln oder die verschiedenen Laufveranstaltungen. Am 31.Dezember wird übrigens der 40.Greifswalder Silvesterlauf über die Distanzen von 6,2 Kilometern und 1,6 Kilometern ausgetragen.

Kulturell wird bis zum Jahresabschluß auch in Greifswald noch einiges geboten. So findet der diesjährige Greifswalder Weihnachtsmarkt im Rahmen der Aktion „Greifswald im Advent“ zwischen 27.November und 21.Dezember, wobei dessen feierliche Eröffnung am 29.November erfolgen wird. Das Theater Greifswald lädt unter anderem zur Uraufführung „Rotkäppchen und Vom Wolf, der nicht fressen wollte“, zum Märchenballett „Der Nussknacker“, zur Krimikomödie „Arsen und Spitzchenhäuchen“, zur Komödie „Die Feuerzangenbowle“ und am 31.12. zur Operette „Gräfin Mariza“ ein. Auch im Dom Sankt Nikolai, im Tierpark Greifswald, im soziokulturellem Zentrum Sankt Spiritus, im Cafe Koeppen und auf der Marktplatz-Bühne wird auf das Weihnachtsfest und auf den Jahreswechsel eingestimmt.

Musealer Blick auf Greifswald 2015/16

Wie beurteilt nun jedoch Julie Berger vom Bereich Öffentlichkeitsarbeit/Marketing des Pommerschen Museums in Greifswald das Museums-Jahr 2015?!

Nachgefragt

J.Berger über das Greifswalder Museums-Jahr 2015, über die Ausstellungen 2015 und neue Veranstaltungshöhepunkte 2016

„Sind mit dem Museums-Jahr 2015 insgesamt sehr zufrieden…“

Frage: Das Jahr 2015 war ereignisreich, widersprüchlich und enorm kräftezehrend… Wie lautet das Resümee aus Sicht des Pommerschen Landesmuseums in Greifswald?

Julie Berger: Im vergangenen Jahr 2014 kamen insgesamt 42000 Besucher in unser Museum. In diesem Jahr, bis jetzt (Mitte November), besuchten 27.790 Personen das Museum. Mit dem noch folgenden Kunsthandwerkermarkt, dem polenmARkT und weiteren Veranstaltungen in den letzten Wochen des Jahres werden es jedoch voraussichtlich noch sehr viel mehr Besucher sein.

Die Ausstellung „Zwei Männer- ein Meer. Pechstein und Schmidt-Rottluff an der Ostsee“, die in diesem Jahr vom 28. März bis 28. Juni stattgefunden hat, war sehr erfolgreich. 20.000 Besucher konnten wir hier verzeichnen. Eine Besucherzahl, die zeigt, dass die Ausstellung sehr gut angekommen ist und auch über die Grenzen von Greifwald hinaus sehr viel Zuspruch erfuhr.

Zu dieser Ausstellung erfolgte übrigens eine Besucherumfrage, um zu erfahren, wer die Ausstellung besuchte, welche Beweggründe es hierfür gab und wie diese Ausstellung gefiel. An der Umfrage haben 183 Personen teilgenommen. Auch wenn diese Zahl nicht repräsentativ ist, gibt sie doch einen guten Einblick:  66,5 Prozent der Befragen kamen für die Ausstellung von außerhalb, jedoch größtenteils aus dem Bundesland M-V. Zwei Drittel gaben an, dass ihnen die Ausstellung sehr gefallen hat. Dabei waren sie sowohl sehr mit dem optischen Design, als auch mit der Aufbereitung der Werke und Inhalte zu den beiden Künstlern zufrieden.

Die Ausstellung „Free Jazz in der DDR – Weltniveau im Überwachungsstaat“, die vom 6. Oktober bis zum 22. November bei uns in der Museumsstraße zu sehen ist, wurde leider nicht so stark, wie erhofft, von den Besuchern angenommen. Dennoch interessierten sich 2800 Besuchen für diese Ausstellung, die  in einem doch nur sehr kurzen Zeitraum präsentiert wurde. Die relativ geringen Besucherzahlen hierfür liegen eventuell an dem schönen milden und sonnigen Oktober, der leider nicht so viele Besucher ins Pommersche Landesmuseum gelockt hat. Vielleicht ist unter diesen Umständen die Besucherzahl allerdings gar nicht so schlecht.

Insgesamt lässt sich sagen, dass der Zuspruch zu den eigenen Ausstellungen als auch zu kleineren Veranstaltungen im Haus durchweg sehr gut war und das Pommersche Landesmuseum sehr zufrieden ist.

Frage: Welche Ausstellungen und besonderen Events sind bereits für 2016 im Pommerschen Landesmuseum geplant?

Julie Berger: Auch für das kommende Jahr erwarten wir wieder eine Vielzahl an Besuchern, den wir werden wieder eine Vielzahl von interessanten Ausstellungen präsentieren, so die Ausstellung „Reichsbanner Scharz-Rot-Gold“ vom Januar bis März. Diese Ausstellung zeigt Objekte aus den Jahren 1924 – 1933, die Zeugnis der Vereinsgeschichte sind. Das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“  war ja ein Schutz- und Wehrbund der demokratische Parteien unter Führung der SPD zur Abwehr radikaler Organisationen der KPD und NSDAP. Mit der Ausstellung „Reichsbanner“ wird nicht nur ein spannendes Thema ausgestellt, sondern dürfte ebenfalls das Interesse der politischen Prominenz in M-V finden.

Eine weitere sehr interessante Ausstellung 2016 gibt es zur Thematik  „Pipeline: Archälogie“ vom 6. März bis 26. Juli. Die Ausstellung zeigt Funde, die während der Grabungsarbeiten der Landesamtes für Kultur- und Denkmalpflege M-V beim Bau der großen Erdgastrassen OPAL und NEL gefunden wurden. 140 Mitarbeiter waren an den Ausgrabungen beteiligt. Hierbei wurden Schätze von hohem Wert gefunden, die Auskunft geben über Wirtschaft, Handel, Umwelt und das Leben der Menschen in M-V.

Sehr große Resonanz erwarten wir auch für die Ausstellung „Greifswald – Der private Blick“ vom 11. September 2016 bis 29. Januar 2017 finden. Hier sollen Bilder von Bürgern ausgestellt werden, die ihre Stadt Greifswald von 1960 bis 1990 fotografiert haben. Hierzu wird im kommenden Jahr ein Aufruf gestartet, um Fotomaterial für die Ausstellung zu sammeln. Mit der Ausstellung Reichsbanner wird nicht nur ein spannendes Thema ausgestellt, sondern bringt auch zahlreiche Prominenz aus der Politik nach Greifswald.

Letzte Frage: Ist das Pommersche Landesmuseum für Kultur-Interessierte auch zwischen Weihnachten und Neujahr geöffnet?

Julie Berger: Ja, das Pommersche Landesmuseum ist auch zwischen Weihnachten und Silvester geöffnet, zu unseren regulären Öffnungszeiten von 10 Uhr bis 17 Uhr. Am 25./26.12. haben wir von 13 Uhr bis 17 Uhr auf und Neujahr von 11 Uhr bis 17 Uhr. An Heiligabend und dem 31.12. haben wir wie immer geschlossen.

Vielen Dank, weiterhin bestes Engagement für das Pommersche Museum und viel Erfolg für Sie persönlich auch 2016!

Marko Michels