„Die tägliche Lüge mitgelogen“ – DDR war ein Unrechtsstaat…

DDR war ein Unrechtsstaat: Ex-Innenminister Diederich widerspricht Ministerpräsident Sellering

„Die DDR war ein totalitärer Staat. Sie hat nie eine Legitimation durch geheime und freie Wahlen erfahren“, sagt der DDR-Bürgerrechtler und erste Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Georg Diederich. Der heutige Direktor des Heinrich-Theissing-Instituts beschäftigt sich täglich mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts und ihren Wirkungen in Mecklenburg.
DiederichMit seiner Einschätzung der DDR widerspricht er dem Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern Erwin Sellering, der sich am vergangenen Sonntag in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ zur DDR-Vergangenheit geäußert hat. Sellering verteidigte dabei die DDR gegen seiner Meinung nach
übermäßige Kritik. Zwar sei die DDR kein Rechtsstaat gewesen. „Ich verwahre mich aber dagegen, die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gutes gab“, sagte Sellering. Allerdings habe es keine Kontrolle durch unabhängige Gerichte gegeben. „Insofern hat zur DDR immer auch ein Schuss Willkür und Abhängigkeit gehört“, so die Worte des Ministerpräsidenten. Die alte Bundesrepublik habe auch Schwächen gehabt, die DDR wiederum auch Stärken.
Für Georg Diederich zeichnet diese abwägende Beschreibung ein falsches Bild des SED-Staaates. „Die DDR hat einen Machtapparat aufgebaut, um das eigene Volk zu unterdrücken“, sagt der Historiker. „Dazu gehörte in erster Linie die Staatssicherheit, eine gegen das eigene Volk gerichtete geheime Polizei, um die Menschen zu kontrollieren und die Diktatur der SED zu stützen.“ Der DDR-Bürgerrechtler betont, dass das Volk „eingekerkert“ war. Weder nach Westen noch nach Osten hätten die DDR-Bürger aus dem Land entfliehen können.
Vor allem die innerdeutsche Grenze sei eine Grenze gewesen, deren Schießanlagen gegen das eigene Volk gerichtet waren. Auch das Rechts- und Bildungssystem der DDR kritisiert Diederich. „Durch die politischen Leitlinien der DDR-Regierung herrschte ständige Lüge. Wir haben uns im öffentlichen Bereich ständig in die Taschen gelogen.“ Meinungs- und Pressefreiheit habe es in der SED-Diktatur nicht gegeben. Rundfunk und Zeitungen kontrollierte die SED. Mit Kritik am Staat habe man gleich die Stasi gegen sich gehabt. „Ich habe meine eigene Stasiakte gelesen“, sagt Diederich. „Darin steht schwarz auf weiß, wie die Staatssicherheit mich mehr als zehn Jahre im Blick hatte, bis ins kleinste Detail meines Lebens.“
Auch das Verwaltungshandeln der DDR habe nicht unter rechtlicher Kontrolle gestanden. „Hier waren die Menschen lediglich auf die Gnade der SED angewiesen.“ Das System DDR konnte nach Ansicht von Diederich nur so lange funktionieren, wie Druck mit rollenden russischen Panzern ausgeübt werden konnte. „Die große Übermacht hat immer alles niedergeschlagen – die Aufstände 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei. Und von 1980 bis 1982 gab es in Polen das Kriegsrecht, um die Menschen davon abzuhalten Veränderungen zur Freiheit herbeizuführen.“
Leben und Glück seien freilich auch in der DDR möglich gewesen – in der Familie, im Freundeskreis. „Die Menschen haben sich dem Staat unterordnen müssen und die tägliche Lüge mitgelogen. Sie haben sich eingerichtet und mit dem Staat arrangiert, weil sie ja irgendwo leben mussten. Es darf aber nicht verkannt werden, dass es keine Gewährung von Freiheit gab, das es keine Gewährung von Recht gab, sondern eine totalitäre Diktatur, einen Unrechtsstaat vom ersten bis zum letzten Glied der Macht.“
Diederich äußert Unverständnis darüber, dass westdeutsche Politiker sich zurückhalten bei einer klaren Beurteilung der DDR. „Ich kann das nicht verstehen, weil sie einfach ignorieren, was an Tatsachen auch in der alten Bundesrepublik über die DDR bekannt war. Sie kannten die Mauer, sie kannten den Schießbefehl, sie waren informiert über die Toten an der innerdeutschen Grenze, die in den Selbstschussanlagen verblutet sind. Sie haben es gewusst und tun heute so, als dürften sie kein Urteil abgeben. Das ist eine Verklärung von Unrecht“, sagt Diederich.

Quelle: „Neue Kirchenzeitung“