Die Leichtathletik zwischen den Jahren

Eine „leichte“ und „athletische“ Betrachtung zu einer olympischen Kernsportart

Die meisten sind noch richtig „aus der Puste“. Was wurde in den letzten dreieinhalb Jahren – zwischen London 2012 und Peking 2013 – leichtathletisch nicht alles gemacht: rasend schnell gelaufen, weit geworfen oder hoch gesprungen.

Und: Wofür das alles?! Nicht allein zum Ruhme des Sportes, nicht allein zur Ehre des Vaterlandes, nein, auch zur vermeintlichen Erhöhung des eigenen „Marktwertes“.

Vieles, nicht nur in der Leichtathletik, hat sich sportlich relativiert. Dem russischen Team droht der komplette Ausschluß von den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro und nur ein Naivling glaubt, dass in den USA, Westeuropa, Australien oder Afrika nicht zu leistungsfördernden „Mittelchen“ gegriffen wird. Besser gesagt: Man weiß von den dortigen Praktiken bis 1990 und weiß „um diese Problematik“ auch nach 1990, wie unter anderem der „Fall Marion Jones“ beweist.

Im olympischen Zyklus 2012/2016, bei den bedeutendsten Großereignissen in der Leichtathletik während dieser dreieinhalb Jahre, gab es bei den WM 2013 in Moskau und bei den WM 2015 in Peking, zusammen gefasst, folgendes „Bild“: Die USA erkämpften bei beiden WM die meisten Medaillen – mit 12 x Gold, 20 x Silber, 11 x Bronze. Russland kam auf 9 x Gold, 5 x Silber, 7 x Bronze.

Ungemein stark präsentierten sich ebenfalls Kenia mit 12 x Gold, 10 x Silber, 6 x Bronze und Jamaika mit 13 x Gold, 4 x Silber, 4 x Bronze. Die Britinnen und Briten schafften 7 x Gold, 1 x Silber, 5 x Bronze. Die deutschen Athletinnen und Athleten errangen zumindest 6 x Gold, 5 x Silber, 4 x Bronze.

Aber: Wie war das noch einmal 2013 in Moskau?!

Die 14.Weltmeisterschaften kehrten anno 2013 an den Ort zurück, an dem vor 40 Jahren, 1973, die Leichtathletik-Wettkämpfe der VII.Universiade, und vor 33 Jahren, 1980, die Leichtathletik-Wettbewerbe der XXII.Olympischen Spiele stattfanden: in Moskau.

Moskau`13

In Moskau 2013 war nun das russische Leichtathletik-Team, erstmals seit 2001, wieder das erfolgreichste Team im Medaillenspiegel mit der Ausbeute von 7 x Gold, 4 x Silber, 6 x Bronze. Die USA gewannen jedoch die meisten Medaillen (25), aber „nur“ 6 x Gold. Dahinter folgen Jamaika (9 Medaillen, 6 x Gold), Kenia (12 Medaillen, 5 x Gold) und Deutschland (7 Medaillen, 4 x Gold). Das Speerwurf-Gold von Christina Obergföll am vorletzten Wettkampftag war zugleich das 55.WM-Gold in der Leichtathletik für eine deutsche Athletin bzw. einen deutschen Athleten. Die anderen deutschen Titel in Moskau gingen „auf das sportliche Konto“ von Raphael Holzdeppe (Stabhochsprung), David Storl (Kugelstoßen) und Robert Harting (Diskuswerfen).

Usain Bolt aus Jamaika avancierte mit seinen Goldmedaillen Nr. 6, 7 und 8 schon in Moskau 2013 zum erfolgreichsten WM-Athleten „aller Zeiten“ (dazu noch 2 x WM-Silber).

Leider war es 2013 so, wie schon dreißig Jahre zuvor… Zwischen Helsinki 1983 , den ersten Leichtathletik-WM der Sportgeschichte, und Moskau 2013 ging es für Funktionäre, Sportpolitiker und Sportmediziner stets um Edelmetall. Als wenn Gold, Silber und Bronze das Einzige wäre, was zählt.

„Spieglein, Spieglein an der Wand! Wer ist die Schönste im ganzen Land?!“ Wenn Heidi Klum diese Frage stellt, ist es ja okay… Wenn aber Funktionäre und Politiker, die sich „sportlich“ geben, die Frage etwas abgewandelt stellen – ungefähr so: „Medaillenspiegel an der Wand, wer ist die beste Nation im sportlichen Universum?!“ – das ist nicht nur schlecht gereimt, sondern auch pervers.

Es werden nämlich „mit Nachdruck“ Siege und Plaketten verlangt, gleich wie diese zustande kommen. Es zählt nicht der faire Sport, sondern nur das Prestige. Sportliche Werte werden dabei negiert.

Sportliche Gedanken zur WM 2013 in Moskau

Wie wir nun wissen, wurden wieder einmal die USA die Nummer eins – im Hinblick auf die Medaillenanzahl. Die russischen Gastgeberinnen und Gastgeber holten aber eine Goldene mehr. Viele jamaikanische Sprinter überführte man des Dopings, aber wieder wurde einer, der Übermächtige, mehrfacher Weltmeister.

Ist Bewunderung angebracht? Nein! Ob diese Sieg nun sauber sind oder nicht (wobei wir alle aufrichtig hoffen, dass diese sauber sind!)! Zum Beispiel 100 Meter in 9,77 Sekunden zu laufen… Was soll daran besonders sein? Wem nutzt das letztendlich?! Bestenfalls der Werbe- und Sportartikel-Industrie sowie einigen anderen Industrien dazu.

Julia beeindruckte…

Natürlich sind sportliche Erfolge, errungen von integren, „sauberen“ und aufrichtigen Athletinnen und Athleten, beachtlich, vorbildlich und inspirierend. Aber auch ein Top 20- Platz, erkämpft mit Kampfgeist und Hingabe, ist bewundernswert. Rostock war 2013 in Moskau durch Julia Mächtig, die Siebenkämpferin, vertreten.

Zwar startet Julia für den SC Neubrandenburg, hatte in der Hanse- und Universitätsstadt allerdings ihre Wiege. Eine Medaille gab es für sie nicht… Leider! Der Moskauer Wettkampf war für Julia – wie jene bei den WM 2011 in Daegu oder bei Olympia 2012 in London – eher suboptimal. Aber Julia kämpfte bis zum Schluss und wurde 17. im Feld von 33 gestarteten Siebenkämpferinnen aus aller Welt. Nicht vergessen sollte man, dass in den letzten Jahren nicht zuletzt Verletzungen Julias sportliche Karriere beeinträchtigten. Aber die nächsten Herausforderungen warten schon und Julia will dann – nach eigenem Bekunden – „wieder angreifen“.

Die WM 2015 in Peking

Von Moskau 2013, der Olympiastadt von 1980, ging es weltmeisterlich-leichtathletisch nach Peking 2015, der Olympiastadt von 2008.

In Peking wurde natürlich ebenfalls schnell gelaufen, weit geworfen und hoch gesprungen. Fast 2000 Athletinnen und Athleten aus 206 Ländern maßen bei den 15.Leichtatletik-WM die Kräfte, die hoffentlich alle auf natürlichem Weg entstanden sind. Das heißt – durch das angeborene Talent, durch fleißiges Training, eine ausgewogene Ernährung und eine positive Lebenseinstellung.

47 WM-Titel wurden vergeben und eigentlich wollten die US-Amerikanerinnen und US-Amerikaner wieder die „Pole Positionen“ im Medaillen-Ranking erobern. Aber: Es ist wie so oft im Leben, gerade im sportlichen Dasein: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt…

USA nicht Erster

Team U.S.A. mußte eine Reihe von empfindlichen Niederlagen insbesondere auf den Lauf-Distanzen einstecken. Keine Medaillen in den traditionsreichen US-Disziplinen Herren-Weitsprung, Herren-Stabhochsprung, Herren-Hochsprung oder Herren-Diskuswerfen und und und – ein Desaster.

Am Ende belegten die USA mit 6 x Gold, 6 x Silber, 6 x Bronze gar nur Rang drei im Medaillenspiegel. Kenia wurde bestes Leichtathletik-Land mit 7 x Gold, 6 x Silber, 3 x Bronze vor Jamaika mit 7 x Gold, 2 x Silber, 3 x Bronze.

Insgesamt erkämpften 43 Länder WM-Medaillen, darunter 19 Staaten eine oder mehrere Goldmedaillen. Nicht einmal ein Viertel aller teilnehmenden Nationen gewann damit eine Plakette. Dominierten früher die „Großen Vier“, USA, DDR, Sowjetunion, Westdeutschland, so sind heute rund 20 Nationen, darunter viele afrikanische Länder, sehr stark. Einige Länder spezialisierten sich auf Einzel-Disziplinen, wie zum Beispiel Kolumbien im Dreisprung der Frauen (Weltmeisterin Caterine Ibarguen).

Kenia die neue Nummer eins?!

Auch Kenia ist und bleibt eine Lauf-Nation – vorzugsweise auf den mittleren und langen Kanten, auch wenn durch Julius Yego ein Überraschungserfolg im Speerwerfen gelang.

Deutschland mit besten Technikerinnen

In den Technik-Disziplinen bei den Frauen wurde – fast unbemerkt – Deutschland die erfolgreichste Nation mit 2 x Gold, 1 x Silber, gefolgt von Kuba mit 2 x Gold (Yarisley Silva im Stabhochspringen und Denia Caballero im Diskuswerfen). Die grazile Russin Marija Kuchina gewan das Hochspringen und die US-Amerikanerin Tianna Bartoletta das Weitspringen.

Das deutsche Team 2015

Überhaupt das deutsche Team. Es schnitt mit 2 x Gold, 3 x Silber, 3 x Bronze besser als befürchtet ab, aber wenn man aufrichtig zu sich selbst ist, dann fragt man sich dennoch: Was ist aus der einstigen Leichtathletik-Top-Nation Deutschland nur geworden?! Es gab in Peking für die DLV-Mannschaft sicher großartige Erfolgsmomente, aber auch zahlreiche bittere Enttäuschungen – bereits vor Peking… Die deutschen Staffeln laufen seit Jahren der Weltspitze hinterher, die immer besser wird. Warum wissen wir. Das, was andere machen, müssen wir nicht nachmachen. In diesem Fall gilt nicht: „Mach mit! Mach`s nach! Mach`s besser!“.

Deutschland kann und sollte sich dennoch über die acht Medaillen freuen, die Katharina Molitor (Gold im Speerwerfen), Christina Schwanitz (Gold im Kugelstoßen), Raphael Holzdeppe (Silber im Stabhochspringen), David Storl (Silber im Kugelstoßen), Cindy Roleder (Silber über 100 Meter Hürden), Rico Freimuth (Bronze im Zehnkampf), Gesa Felicitas Krause (Bronze über 3000 Meter Hindernis) und Nadine Müller (Bronze im Diskuswerfen) gewannen. Alles sympathische Athletinnen und Athleten, die auch in Rio 2016 ihre Medaillen-Chancen haben sollten.

Blick aus M-V auf das Ganze

Was bliebe aus M-V-Sicht anzumerken? Bekanntermaßen nahm mit Martina Strutz nur eine Athletin aus M-V (vom Schweriner SC) an den WM 2015 teil. Die Vize-Weltmeisterin von 2011 wurde immerhin Achte. Die großen Zeiten der M-V-Leichtathletik scheinen jedoch Historie zu sein.

Wird es in Rio de Janeiro 2016 wesentlich anders sein?! Es fehlt daran „der Glaube“… Die anderen scheinen enteilt. Was soll`s! Lieber ehrlich auf Platz 10 als „voll gepumpt“ auf Platz 1! Die Medaillenspiegel werden „so oder so“ umgeschrieben…

Marko Michels

Foto/Michels