Die evangelische Kirche vor alten und neuen Herausforderungen – auch in Vorpommern

Nachgefragt bei S.Kühl

Die ersten Monate des neuen Jahres waren bislang alles andere als erfreulich. Der kaltblütige, feige Mord an Journalisten eines französischen Satire-Magazins, Terror in Kopenhagen, Terror-Warnungen auch in Deutschland, die Ukraine-Krise, der Krieg mit dem „Islamischen Staat“, neue EURO-Turbulenzen nach der Griechenland-Wahl und so viele globale Flüchtlinge weltweit, wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr.

Dazu des traurige Schicksal der 150 Insassen des Germanwings-Airbus 4U9525, die Erdbeben-Katastrophe in Nepal, die Tausenden Toten und Invaliden der weltweiten mehr als 50 Kriege und kriegerischen Auseinandersetzungen oder die Kinder-Armut weltweit – die Welt ist 2015 in keinem guten Zustand.

Es wird dem Geld hinterher gerannt – ohne Rücksicht auf Verluste. „Haste was, biste was!“, ist das globale Motto. Nachdenklichkeit, ein Innehalten ist nicht mehr gefragt. Immer schneller, immer weiter, immer mehr! Es ist eine weltweite Orientierungslosigkeit zu verspüren, wie sie einst Bert Brecht in seinem „Radwechsel“ treffend formulierte: „… Ich sitze am Straßenhang. Der Fahrer wechselt das Rad. Ich bin nicht gern, wo ich herkomme. Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre. Warum sehe ich den Radwechsel mit Ungeduld?…“

Eigentlich müssten auch Kirchen, Sozialverbände und Gewerkschaften eine gewisse Grund-Orientierung vermitteln. Tun sie das aber hinreichend oder sind sie selbst schon „Räder“ im „Getriebe des Mainstreams“?!

Nachgefragt bei Sebastian Kühl, Pressesprecher des „Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises“

S.Kühl über aktuelle Entwicklungen, regionale Herausforderungen, die Flüchtlingshilfe hierzulande, die „Agenda“ der evangelischen Kirche und weitere Ziele

„Nach wie vor die gleichen Aufgaben wie seit 2000 Jahren…“

Frage: Herr Kühl, die Welt gerät aus den Fugen… M-V scheint da zumindest noch partiell ein „Hort der Glückseligen“ zu sein. Wie bewerten Sie das globale Geschehen und aktuelle Entwicklungen in Vorpommern?

Sebastian Kühl: In der Tat verblassen vor den von Ihnen geschilderten Kriegen und Katastrophen die heimischen Probleme. Wie gut es uns hierzulande geht, machen wir uns vielleicht zu selten bewusst. Wir als Kirche wollen nicht nur die Schattenseiten sehen. Unser Markenkern ist ja gerade die Gute Nachricht, das Evangelium. Das bedeutet nicht, die Augen vor der Realität zu verschließen, vielmehr schöpfen wir Christen aus der Botschaft Jesu und der Liebe Gottes die Kraft, um Katastrophen und Missständen anders begegnen zu können, ihnen standzuhalten und Notleidenden zu helfen.

Zu den aktuellen Entwicklungen in Pommern zählt der demografische Wandel, der alle Lebensbereiche betrifft und damit auch in der Kirche spürbar ist. Ich denke aber, dass wir diesbezüglich die Talsohle durchschritten haben und sich die Bevölkerungszahlen in Vorpommern mittelfristig stabilisieren.

Frage: Immer mehr Flüchtlinge drängen nach Deutschland, angesichts zahlreicher Kriege weltweit. Wie beurteilen Sie die Solidarität, das Mitgefühl und die Aufnahmebereitschaft der Menschen im Nordosten? MVgida war und ist ja auch in Vorpommern ein Thema…

Sebastian Kühl: Die Solidarität mit Menschen in Not, die vor Gewalt und Tod fliehen, ist für die Kirche eine Selbstverständlichkeit. Das Gebot der Nächstenliebe ist unmissverständlich und gilt für alle Menschen. Das gilt für Flüchtlinge von weither ebenso wie für meinen Nachbarn. Ich beobachte in den Kirchengemeinden im Pommerschen Evangelischen Kirchenkreis aber auch bei kirchenfernen Menschen eine große Hilfsbereitschaft.

Gerade in Pommern wissen viele Menschen aus der Zeit ihrer eigenen Flucht oder durch die ihrer Eltern oder Großeltern, was es bedeutet, die Heimat verlassen und sich anderswo eine neue Existenz aufzubauen zu müssen. Daraus erwächst bei vielen Pommern ein Solidaritätsgefühl mit den Flüchtlingen der heutigen Zeit.

Zu Pegida und ihren Ablegern haben wir als Kirche einen festen Standpunkt: Deren Forderungen und Ziele sind mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. Gleichwohl haben wir für alle Menschen ein offenes Ohr. Sie sind eingeladen, sich mit ihren Ängsten, Fragen und Sorgen an die Pastorinnen und Pastoren in den örtlichen Gemeinden zu wenden. Überdies denke ich, dass wir Flüchtlinge nicht nur willkommen heißen sollten, sondern sie auch als Chance und Bereicherung begreifen können. Wir sollten sie einladen, Teil der Kirchengemeinden und Teil der Gemeinschaft zu werden.

So ist es beispielsweise bereits mit den aus dem Osten ins Ruhrgebiet im 19. Jahrhundert eingewanderten Bergleuten oder den im 17. Jahrhundert auch nach Pommern geflohenen Hugenotten gelungen. Solche Integrations-Prozesse sind nicht einfach. Auch damals gab es große Schwierigkeiten und auch Anfeindungen, die aber überwunden wurden. Wir als Kirche wollen auf Einheimische und Ankömmlinge zugehen und dabei mitwirken, dass das Zusammenleben gelingt.

Frage: Worin sehen Sie die Aufgabe der Kirchen 2015 – gerade auch in Vorpommern?

Sebastian Kühl: Die eben schon angesprochene Flüchtlingshilfe gehört dazu. Und selbstverständlich hat die Kirche auch noch die gleichen Aufgaben wie seit 2000 Jahren: Das Wort Gottes zu verkündigen, die Menschen an Leib und Seele auf ihrem Lebensweg zu begleiten, der Dienst am Nächsten. Darüber hinaus können sich die Kirchen noch mehr Transparenz und noch mehr Beharrlichkeit in der Äußerung ihrer Überzeugungen zur Aufgabe machen. Ich glaube, dass viele Menschen sich verlässliche und klare Aussagen wünschen, auch dann, wenn sie selbst anderer Meinung sein mögen.

Zudem denke ich, dass wir als Kirche noch mehr als bisher auf die Leute zugehen, für unsere Sache werben sollten. Und wir können noch stärker öffentlich machen, wie die Kirche beispielsweise in Kindergärten, Schulen, Sozialstationen, in der Suchtgefährdetenhilfe oder in Krankenhäusern für die Allgemeinheit wirkt.

Frage: Welche Herausforderungen hat dabei die evangelische Kirche zu meistern?

Sebastian Kühl: In der evangelischen Kirche der Küstenregionen hat die Fusion zur Nordkirche viel Kraft und Zeit gekostet und kostet es noch. Das darf aber zu keiner Nabelschau führen, vielmehr müssen wir die Verkündigung der christlichen Botschaft und die Nächstenliebe als zentrale Aufgaben immer im Blick behalten.

Frage: Welche Themen sind zurzeit außerdem auf der „Agenda“ des „Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises“?!

Sebastian Kühl: Sicherlich zählen die Flüchtlingshilfe und das „Kirchenasyl“ dazu. Wir beschäftigen uns außerdem mit Strategien, mit denen wir Extremisten entgegentreten können. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Umgang mit Kirchenland, sind die Bewertungskriterien für Verpachtungen. In Pommern befinden wir uns derzeit in einem weiter zu intensivierenden Dialog zwischen Kirchengemeinden und Landwirten der unterschiedlichen Bewirtschaftungsformen. Ein thematischer „Dauerbrenner“ ist der Erhalt der rund 500 Kirchen in Pommern.

Und die Stärkung des Zusammenhalts und der Teilhabe der Menschen im ländlichen Raum spielt in unserem Kirchenkreis eine wichtige Rolle. Außerdem arbeiten wir an der Vorbereitung des Reformationsjubiläums.

Vielen Dank und gutes Gelingen und viel Kraft bei der Meisterung aller Herausforderungen!

Marko Michels