Die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit muß weiter gehen …

Die Bespitzelung der sozialen Demokraten in Rostock nach 1945

Die Linkspartei muß sich weiterhin mit ihrer Vergangenheit auch als SED-Nachfolger auseinandersetzen, die CDU kämpft gegen ihr Image als „Blockflöten-Partei“ insbesondere seit 1961, und auch die anderen Parteien haben ihre „dunklen Flecken“ in der DDR-Geschichte.

Wie wichtig eine Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit noch immer ist, zeigen die Schicksale von sozialen Demokraten in Rostock nach 1945 …

Ein Schwerpunkt der kommunistischen Spitzeltätigkeit nach 1945 bildete die Observierung der Rostocker Sozialdemokraten. In Rostock, seit Anfang des 20.Jahrhunderts eine Hochburg der mecklenburgischen Sozialdemokratie, hatte sich auch nach Kriegsende im Mai 1945 wieder eine starke sozialdemokratische Ortsgruppe mit Albert Schulz als Vorsitzenden konstituiert.

Mit Heinrich Beese, Grete Beese, Alfred Starosson, Willi Jesse, Wilhelm Hörning, Martin Müller und Hans Griem besaß die Rostocker SPD neben Albert Schulz erfahrene und kampferprobte Sozialdemokraten, die sich jeglicher totalitärer Strömung von links oder rechts verweigerten. Gerade in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur gehörten die Rostocker Sozialdemokraten zu einer der bedeutendsten Widerstandsbewegungen gegen das NS-Regime zwischen 1933 und 1945.

Albert Schulz, Willi Jesse und Heinrich Beese unterhielten engsten Kontakt zum Kreisauer Widerstandskreis. Nach 1945 gehörte die Rostocker SPD zu den mecklenburgischen SPD-Ortsgruppen, die eine Vereinigung mit der KPD strikt ablehnten. Gerade diese Haltung ließ führende Sozialdemokraten in Rostock schnell ins Blickfeld der kommunistischen Spitzel geraten, die bereits kurz nach Kriegsende „Tätigkeitsberichte“ über die Rostocker Sozialdemokraten verfassten.

So heißt es in einem Bericht der Staatssicherheit zur „Gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung der Bevölkerung der Stadt Rostock mit Warnemünde“ vom 14.Oktober 1953, der sich größtenteils aber auf kommunistische Spitzelberichte kurz nach Kriegsende stützte:

„ … Genosse Heiden (KPD/SED), gewesener Oberbürgermeister, war vor dem Zusammenschluß (von KPD und SPD) zweiter Sekretär (der KPD-Kreisleitung in Rostock), wurde zum ersten Sekretär gewählt, weil Genosse Henk, der damalige erste Sekretär (der KPD-Kreisleitung) eine sektiererische Haltung in der Frage der Vereinigung einnahm. Bevor er abgelöst wurde, wurde eine größere Funktionärsversammlung einberufen und durchgeführt, an der als Vertreter der Landesleitung Genosse Bernhard Quandt (KPD) teilnahm.

Auf Grund des Aufrufs beider Parteien zur Vereinigung (Gemeint ist die Erklärung von Kurt Bürger/KPD und Carl Moltmann/SPD vom Januar 1946. – Anm.d.A.) ging Genosse Heiden zum Oberbürgermeister (Albert) Schulz, um ihm den Vorschlag zur Vereinigung zu unterbreiten. Bei dieser Aussprache machte (Albert) Schulz die Urlaubsbestimmungen (Gemeint ist die Resolution der SPD Rostock vom Januar 1946. – Anm.d.A.) zur Hauptfrage, dies war damals die Schumacherlinie. (Albert) Schulz äußerte auch, dass (Carl) Moltmann (der gegenüber der KPD kompromissbereite SPD-Landesvorsitzender in M-V nach 1945 – M.M.) sich von den Kommunisten beschwatzen ließe …

Nachdem Rostock durch das Stärkeverhältnis der SPD im Landesmaßstab an der Spitze stand, wurde (Willi) Jesse zum zweiten Landessekretär gewählt. (Willi) Jesse war engster Verbündeter von (Kurt) Schumacher. Heinrich Beese, ebenfalls Mitglied der SPD, war bei (Willi) Jesse persönlicher Referent. Durch unsere Freunde (Gemeint ist die russische Geheimpolizei. – Anm.d.A.) erfolgte (Willi) Jesses Entlarvung (Eine Anspielung auf dessen Kontakte zum SPD-Vorsitzenden in den Westzonen, Dr.Kurt Schumacher. – Anm.d.A.). (Heinrich) Beese kam nach Rostock zur Stadtverwaltung als Personalleiter. Dagegen nahmen die klassenbewußten Genossen (der KPD/SED) den Kampf auf, konnten sich jedoch nicht durchsetzen, so dass (Heinrich) Beese bis August 1949 als Personalleiter tätig war.

Nach der Flucht von Albert Schulz wurde (Heinrich) Beese verhaftet. Nach der Flucht von Albert Schulz traf Genosse Heiden am Abend zuvor Heinrich Beese, wo Heinrich Beese ihm berichtete, dass er in Hinrichshagen gewesen sei, und zwar bei Mass, der ebenfalls ein alter SPD-Mann und Bürgermeister in Hinrichshagen war. Bei Mass treffen sich die Mitglieder der SPD des öfteren zur Aussprache, auch während der Illegalität (nach der Zwangsvereinigung / mutmaßte der kommunistische „Berichterstatter“ – Anm.d.A.) …“. (BStU, Abt. XX, Rep. 2/104, BV Rostock)

Der Bericht des kommunistischen Spitzels beweist damit, dass kommunistische „Sicherheitsorgane“ mit der russischen Geheimpolizei – wie bei der Denunziation und Verhaftung Willi Jesses – bereits in den ersten Nachkriegsjahren eng kooperierten.

Die kommunistischen Spitzelberichte seit 1946 hatten für die Rostocker Sozialdemokraten eklatante Folgen. In politischen Schauprozessen wurden u.a. der 1947 verhaftete Hans Griem, der Rostocker Stadtrat für Handel und Versorgungsfragen, und der 1949 verhaftete Martin Müller, auch Vertreter im Landesausschuss des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes, zu Haftstrafen  verurteilt. Heinrich Beese, der Leiter des Personalamtes der Stadtverwaltung Rostock, wurde sogar vor einem russischen Militärtribunal zu einer langjährigen Haftstrafe verurtelt.

Zudem hatte seine Frau Grete Beese schlimme Repressalien hinzunehmen.
Zwischen 1946 und 1954 wurde auch Willi Jesse, der letzte SPD-Landesgeschäftsführer in Mecklenburg, von einem „Berija-Sondergericht“ verurteilt. Im Oktober 1950 erfolgte dessen Überführung nach Sibirien in ein Gefangenenlager bei Irkutsk am Baikalsee. Unter menschenunwürdigen Bedingungen mußte hier schwerste körperliche Arbeit verrichtet werden.

Der 1946 frei gewählte Oberbürgermeister Albert Schulz mußte ebenfalls zahlreiche Schikanen erdulden. Im Jahr 1947 wurde er von „russischen Sicherheitsbehörden“ des NKWD verhaftet, zu zehn Jahren Haft verurteilt, kam allerdings nach vier Monaten Haft – auch infolge des Einsatzes ehemals führender Sozialdemokraten des Zentralausschusses in Ostberlin – wieder frei. Jedoch wurde Albert Schulz weiterhin observiert und verleumdet. Im Jahre 1949 wurde er dann, trotz größter Beliebtheit unter der Rostocker Bevölkerung, als Oberbürgermeister abgesetzt. Eine erneute Verhaftung drohte …  Albert Schulz mußte deshalb nach Westdeutschland fliehen.

Die wahren Gründe für die Verfolgung, Bespitzelung und Verhaftung der genannten Sozialdemokraten waren deren Einsatz für Demokratie, für ihre Partei und für ein vereintes Vaterland.
– Schicksale, die beweisen, dass ein „Schlussstrich“ unter die DDR-Vergangenheit noch lange nicht gezogen werden darf.

M.Michels

 

1.F.: Widerstandszentren der SPD gegen die Vereinigung mit der KPD 1946. (erstellt M.M.)

2.F.: Albert Schulz, Rostocks legendärer Oberbürgermeister 1946-1949. (P.Schulz/privat)

3.F.: Carl Moltmann, der SPD-Landesvorsitzende in M-V nach 1945. (M.M./Privatarchiv)