Der Schriftsteller Reiner Kunze am 4.März zu Gast in Wismar

Persönliche Anmerkungen zur Lesung mit dem Lyriker und DDR-Dissidenten Reiner Kunze vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen „DDR-Verharmlosung“

„ Wer wirklich gelitten hat, lebt nicht von großen Sprüchen !“, schrieb mir mir einmal ein älterer Sozialdemokrat, der jahrelang unter der SED-Herrschaft gelitten hatte, von der DDR-Staatssicherheit bespitzelt wurde und dessen Leben eine irreparable Zerstörung erfuhr.

Verbittert vom Rechtsstaat und der Demokratie, die ihm Gerechtigkeit verweigerte, zog er sich zurück. Leider. Er hätte so ungemein viel zu sagen gehabt über die vermeintlich „kommode Diktatur“ der DDR, wie ein ostdeutscher Ministerpräsident nach 1990 (!) meinte, die mit russischer Hilfe und eigener „K 5“ die NS-Konzentrationslager weiter betrieb, um sich ihrer demokratischen Gegner zu entledigen

Sozialdemokraten, die einst gegen die Nazis standen, mußten ihre Abneigung gegen kommunistische Vereinigungsbestrebungen mit langen Haftstrafen, mit Demütigungen oder sogar mit dem Leben bezahlen. Geschehen nicht unter „Adolf Nazi“ sondern unter einem „gelernten Tischler namens Ulbricht“.
Ähnlich erging es konservativen und liberalen Demokraten oder sogar Kommunisten, die dem Stalinismus nichts abgewinnen konnten.

Wie meinte Peter Schulz, Sohn des legendären Rostocker Oberbürgermeisters Albert Schulz: „Wer Sozialdemokrat war, befand sich nach 1945 in einer schwierigen Lage. Um es mit einem Bild aus der Leichtathletik auszudrucken. Ihm erging es wie dem Langstreckenläufer, für den eine Runde vor Ende irrtümlich die Glocke für die letzten 400 Meter geläutet wird, und dem dann kurz vor dem Ziel gesagt wird, dass dieses leider ein Irrtum sei, dass das mörderische Rennen weiter gehe.

Die Sozialdemokraten in Ostdeutschland hatten nach Kriegsende, wie jene in Westdeutschland, geglaubt, durchatmen zu können, das Schlimmste hinter sich zu haben. Die Anspannung wich der Erleichterung und nun wurde ihnen signalisiert, dass das mörderische Rennen doch weiter ging, dass sie noch einmal ihr Leben für ihre demokratische Gesinnung einsetzen mußten, dass ihre Frauen wieder Angst um sie haben mußten, dass das Klingeln morgens um 5 Uhr nicht den Milchmann, sondern erneut die `Männer in den Ledermänteln` ankündigen würde …“.

Mehr als 5000 Sozialdemokraten wurden allein in Mecklenburg und Vorpommern bis 1949 inhaftiert, drangsaliert oder sogar ermordet. Namen, wie Albert Schulz (Rostock), Karl Moritz (Wismar), Bernhard Pfaffenzeller (Hagenow), Hermann Lüdemann (Schwerin), Willi Bieg (Greifswald) oder Friedrich Schwarzer (Neubrandenburg) zeugen vom Widerstand gegen die zweite deutsche Diktatur. Fast 3000 christliche Demokraten mussten ebenfalls schlimmste Repressalien zwischen Schönberg und Usedom hinnehmen. Der Stalinismus zeigte seinen kriminellen und mörderischen Charakter, den er bis 1989 beibehielt.

Unter größten Opfern kämpften die Menschen zwischen Ostseeküste und Erzgebirge nach 1945 nicht nur mit den Kriegsfolgen, sondern auch gegen die kommunistische Diktatur.

RKZu denen, die standen, die Vorbild sind, die sich trotz aller Widrigkeiten nicht brechen ließen, gehört der Schriftsteller Reiner Kunze, der keine „Patrone“ brauchte um das kommunistische Regime schwer zu treffen, sondern dessen „geschriebenes Wort“, dessen Gedichte, dessen Werke den SED-Machthaber so empfindliche „Wunden“ beibrachten, dass das „Schild und Schwert der Partei“, ihre Stasi-Spitzel, gegen ihn zu Felde zogen.

Bereits früh fiel der 1933 in Greiz geborene Reiner Kunze der „SED-Obrigkeit“ „unangenehm“ auf. Kunze zunächst SED-Mitglied, Student der Philosophie und Journalistik, Staatsexamen 1955, merkte allerdings schnell, dass Anspruch und Wirklichkeit des SED-Sozialismus nicht zusammenpassten und er distanzierte sich zunehmend von deren Vorstellungen. Er musste die Universität verlassen, ohne seine Promotion beenden zu können. Er blieb SED-Mitglied, noch bis 1968, bis zur gewaltsamen Zerschlagung des Prager Frühlings 1968: Fast zwei Jahrzehnte Mitglied der SED geblieben zu sein, in einer Partei, die ihn nur widerwillig duldete – waren es für Reiner Kunze Jahre der Hoffnung, der Zuversicht, dass sich doch noch etwas zum Besseren in der DDR verbessern könnte, oder wollte er die selbst ernannten  Einheitssozialisten mit seiner bloßen Anwesenheit provozieren ?  Es dürfte sicherlich interessant sein, wie Reiner Kunze auf der Lesung in Wismar diese Frage beantwortet.

Sein wichtigstes Werk, zumindest für den Verfasser, war dessen Prosaband „Die wunderbaren Jahre“. Hatte ich bis dato (1985) Reiner Kunze nur als politisch denkenden Intellektuellen wahrgenommen – er hätte durchaus auch Ingenieur, Arzt, Maler oder Zahlen-Artist in der Mathematik sein können, Hauptsache da war jemand, der deutlich und prägnant den real existierenden Sozialismus kritisierte – doch mit diesem Werk, das bereits 1976 erschien, sprach jemand nicht nur mit dem Kopf sondern auch mit dem Herzen aus, wie die DDR wirklich war, wie sie funktionierte, wie inhuman sie sich verhielt, aller offiziellen „sozialen Errungenschaften“ zum Trotze.

RKEr schrieb meisterhaft, was viele Ostdeutsche dachten und sich leider nicht trauten, offen zu vertreten, und weil er es so meisterhaft tat, wurde er zu einem „Staatsfeind“ eines Staates, der weder freie Wahlen, offene Meinungsäußerung noch demokratische Auseinandersetzung kannte.

Dieses Buch brauchte jede/jeder, der die DDR verachtete, zum Überleben in diesem „Arbeiter-und-Bauern-Staat“, ohne zum Opportunisten, zum Handlanger eines maroden Regimes zu mutieren.

Kunzes Standhaftigkeit hatte und hat sich ausgezahlt – viele, die ihn lasen, ihn sogar verstanden, wussten nun, es gibt noch mehr als die schweigende Mehrheit gegen die „SEDler“.

Reiner Kunze mußten hingegen seinen Mut teuer bezahlen, wie z.B. auch seine Kollegen Ulrich Schacht oder Jürgen Fuchs. Seine Bücher wurden eingestampft, er wurde aus dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen (faktisch vergleichbar mit einem Berufsverbot), man machte ihm das Leben so schwer wie nur irgend möglich. Fast 3500 Seiten umfassen die Spitzelberichte der DDR-Staatssicherheit über ihn.

Einer der „Informanten“ war Kunzes früherer Freund und der damalige Vorsitzende der Ost-SPD Manfred (Ibrahim) Böhme, der nach Bekanntwerden seiner Spitzeltätigkeit später aus der SPD ausgeschlossen wurde. Reiner Kunze, der die Akten zunächst gar nicht haben wollte, schrieb dazu die Dokumentation „Deckname Lyrik“ – besser kann man das Leben und Innenleben der „Krake DDR-Staatssicherheit“ nicht „sezieren“.

Kunzes schriftstellerisches Schaffen ist herausragend, seine Lyrik unübertrefflich, seine Sprache einnehmend. Doch viel mehr als das alles ist die Tatsache, dass Reiner Kunze stets Mensch war und Mensch geblieben ist – mit allen Fehlern und noch viel mehr positiven Eigenschaften, mit Mut, Aufrichtigkeit und Standhaftigkeit.
Offen kritisiert er die zunehmende Verharmlosung der DDR. Die Toten und Verletzten an Mauer und Stacheldraht, Wehrunterricht und Militarisierung der DDR-Gesellschaft, Stasi und Misswirtschaft scheinen vergessen.

Wirklich ? Es gibt auch andere Stimmen. Der vor fünf Jahren gestorbene letzte Leiter des SPD-Ostbüros (1966/71 „Referat für gesamtdeutsche Fragen“) Helmut Bärwald meinte in seinem  Aufsatz „Der gefährliche Flirt der SPD mit der SED-Fortsetzerin“ zu Recht: „… Viele nicht nur in der SPD und PDS sperren sich dagegen, das Faktum der Verwandtschaft, die Wesensgleichheit, von braunem und rotem Totalitarismus, von NSDAP und SED, zuzugeben. Zu den erklärten Feinden der Weimarer Republik gehörten die nationalen und die internationalen Sozialisten – das ist ein historisches Faktum ! Die NSDAP schuf, usurpierte und beherrschte den totalitären Unrechtsstaat `Drittes Reich`; die SED den totalitären Unrechtsstaat `Deutsche Demokratische Republik` … Zur Wesensgleichheit der national-sozialistischen und sozialistischen Diktatur stellte der Kurt-Schumacher-Kreis fest: In der NS-Diktatur gab es, bei ca. 80 Millionen Einwohnern, etwa 25000 hauptamtliche Mitarbeiter der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und schätzungsweise 30000 `freie Mitarbeiter` des Sicherheitsdienstes SD. Die SED-Diktatur beschäftigte, bei ca. 18 Millionen Einwohnern der DDR, etwa 100000 hauptamtliche und über 100000 `ehrenamtliche Mitarbeiter` …“.

Hier mag der „politisch Korrekte“ widersprechen: „Die Aktenberge der DDR-Staatssicherheit lassen sich mit den `Leichen-Bergen` der Nazis nicht vergleichen.“. Nur: Das ist dann eine Verhöhnung der Opfer an Mauer und Stacheldraht und der zahlreichen politischen Häftlinge in der DDR sowie den zahlreichen drangsalierten Ostddeutschen zwischen 1945 und 1989.

Schlimm, dass die Partei, die nach 1945 den höchsten Blutzoll im Kampf gegen die kommunistisch dominierte SED zahlte, die SPD, nun, nach der deutschen Vereinigung, die nicht nur ein Verdienst des Kanzlers Helmut Kohl, sondern auch der Kanzler Willy Brandt und Helmut Schmidt ist – auf rot-rote Bündnisse auf Länderebene setzte bzw. setzt.

Mit Reiner Kunze gibt es glücklicherweise einen herausragenden Intellektuellen, der mit seiner eigenen Vita, der „Verniedlichung“ der DDR entgegentreten kann, die eben nicht nur aus Sandmann, Schnatterinchen und Kobold Pittiplatsch bestand (obwohl die SED-Fernsehverantwortlichen den lieben, aber vorlauten Pitti nur missmutig duldeten …).

Auch ein weiterer DFF- Kobold „Drehrumbum, der Runde“ („Ich drehe alles um in der Sekunde …“) darf übrigens in dieser Aufzählung nicht fehlen. Gerade dieser fand nach der Wende viele Nachahmer in der Ex-DDR.
CDU- und LDP-Blockflöten avancierten plötzlich zu Widerstandskämpfern, DDR-Opportunisten wurden plötzlich Sozialdemokraten, aus „Kirche im Sozialismus“ wurde „Kirche für Demokratie“ – auch mit Hilfe der „westdeutschen Aufbauhelfer“, die mit „Buschzulage“ in die neuen fünf Bundesländer kamen.

Wie Reiner Kunze das deutsch-deutsche Miteinander sieht, seine Erfahrungen in der DDR skizziert, einen interessanten Einblick in sein Schaffen gibt – hoffentlich mit den „Friedenskindern“ – und den Zustand der „finanzkriselnden“ Bundesrepublik beschreibt – das alles ist oder könnte zumindest auch Bestandteil der Lesung des Lyrikers, eines der bedeutendsten Schriftsteller in Deutschland überhaupt, Reiner Kunze, am 4.März ab 19.30 Uhr im Zeughaus Wismar sein.

Reiner Kunze, der Schriftsteller – für mich ist er jedenfalls mehr !

M.Michels

Zeughaus> Termin der Lesung mit Reiner Kunze: am 4.März 2009, um 19.00 Uhr, im Zeughaus Wismar / Reiner Kunze liest Tagebuchnotizen und Gedichte aus 40 Jahren. / Die Begrüßungsrede hält Senator Thomas Beyer.

F.: Agentur (2) / mm (1)