Den Pferdesport im Blickfeld

Nachgefragt beim Fachverband M-V

Die Europameisterschaften in der Vielseitigkeitsreiterei finden 2017 vom 17.August bis 20.August in Strzegom (Polen) statt, also dem Land des Springreit-Olympiasiegers von 1980, Jan Kowalczyk.

Das Vielseitigkeitsreiten, früher Military genannt, ist seit nunmehr einhundert Jahren eine olympische Reitsport-Disziplin. Seit den Spielen 1912 in Stockholm ist diese im Programm der Spiele und deutsche Reiterinnen sowie Reiter konnten in dieser anspruchsvollen Pferdesport-Disziplin in der olympischen Vergangenheit regelmäßig große Erfolge feiern.

Insgesamt gab es in der olympischen Historie im Vielseitigkeitsreiten jeweils 24 Entscheidungen in der Einzel- und in der Team-Wertung. Zehn Länder eroberten dabei Goldmedaillen: Deutschland achtmal, Schweden siebenmal, Australien und die USA jeweils sechsmal, die Niederlande und Großbritannien jeweils fünfmal, Frankreich viermal, Italien und Neuseeland jeweils dreimal und die Sowjetunion einmal.

Die ersten deutschen Olympia-Medaillen im Vielseitigkeitsreiten gab es gleich 1912 bei der Premiere: durch Friedrich von Rochow auf „Idealist“ mit Silber im Einzel hinter dem Schweden Alexander Nordlander auf „Lady Artist“. Für die deutsche Mannschaft wurde es ebenfalls Silber hinter Schweden.

Die ersten olympischen Goldmedaillen erkämpften die deutschen Vielseitigkeitsreiter dann 1936 in Berlin – dank eines gebürtigen Mecklenburgers.

Ludwig Stubbendorff, 1906 im mecklenburgischen Turloff/Dabel geboren, siegte auf „Nurmi“ vor dem Amerikaner Earl Foster Thomson und dem Dänen Hans Lunding. Auch die deutsche Mannschaft erkämpfte Gold vor Polen und Großbritannien.

Olympisches Team-Gold im Vielseitigkeitsreiten gab es für Deutschland dann noch 1988 in Seoul, 2008 in Peking und 2012 in London

Ein Norddeutscher sorgte in Peking 2008 zudem in der Einzelwertung für Furore: Hinrich Romeike, 1963 in Hamburg geboren, errang sowohl im Einzel auch als mit dem Team 2008 Olympia-Gold.

In London 2012 (Gold im Einzel bzw. im Team) und in Rio de Janeiro 2016 (Einzel) setzte Michael Jung, der 1982 in Bad Soden am Taunus geboren wurde, diese Erfolgsgeschichte der deutschen Vielseitigkeitsreiterei fort.

Eine junge Mecklenburgerin, Flora Reemtsma (Gross Walmstorf), gehört mittlerweile zu den olympischen Hoffnungsträgerinnen in puncto Reitsport, speziell in der Vielseitigkeitsreiterei, in M-V…

Was zeichnet Flora Reemtsma aus?!

Nachgefragt bei Hans-Joachim Begall, Geschäftsführer des Reitsportverbandes M-V

Frage: M-V ist ein so traditionsreiches Reitsportland, aber immer wenn es um Nominierungen für Olympia, Elite-WM und Elite-EM geht, wird M-V übergangen… Hat M-V keine Lobby beim deutschen Fachverband?

Hans-Joachim Begall: Ganz so stimmt das nicht. Als die deutsche Vielseitigkeits-Mannschaft für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona nominiert wurde, gehörte auch der Mecklenburger Christian Zehe aus Sanitz zum Team. Leider starb sein Pferd Gallus nach dem letzten Training kurz vor den Spielen. Um heute an einer EM oder WM teilnehmen zu können, werden hohe Ansprüche gestellt. Leider hat momentan kein Mecklenburger Reiter-Pferd-Paar diese Leistungsvoraussetzungen.

Frage: Eine begnadete Vielseitigkeitsreiterin ist Flora Reemtsma. Sie verfolgen ja deren Entwicklung seit Jahren. Was zeichnet Flora aus? Hat sie aus Ihrer Sicht, „das Zeug dazu“, bei Olympia 2020 oder 2024 zu starten?

Hans-Joachim Begall: Flora ist wie ihre ganze Familie sportlich sehr ehrgeizig. Natürlich gehören zum erfolgreichen Reiten auch viel Disziplin und eine gute Einstellung zu Pferden dazu, die Flora hat. Leistungen von Reiter und Pferd als Einheit müssen stimmen.  Flora beginnt jetzt ein junges Pferd in den Sport zu bringen und wird in diesem Jahr den Wallach Löwenstein ihrer Mutter in Drei-Sterne-Prüfungen reiten. Leider hat Flora, die jetzt Tiermedizin in Hannover studiert, ihren Mecklenburger Verein RSV Zierow verlassen und startet nun für Luhmühlen in Niedersachsen. Im Mekka des deutschen Vielseitigkeitssport hat sie bessere Trainingsmöglichkeiten, u.a. bei Claus Erhorn (Mannschafts-Olympiasieger 1988 in Seoul), zu dessen Lehrgängen sie in diesem Jahr schon zweimal war. Über eine Olympia-Teilnahme zu spekulieren, ist wohl noch zu früh.

Frage: Welche Erfolge von Flora Reemtsma imponierten Ihnen besonders?

Hans-Joachim Begall: Sie war bisher vier Mal Mannschafts-Europameisterin im Jugendbereich, angefangen von den Ponyreitern bis jetzt zu den Junge Reitern (U21). Das zeigt Kontinuität.

Frage: Nicht nur unter Tierschützern gibt es im Hinblick auf die Vielseitigkeitsreiterei kritische Stimmen. Wie beurteilen Sie die Vielseitigkeitsreiterei?

Hans-Joachim Begall: Der Vielseitigkeitssport hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel weiterentwickelt. Aus langen Prüfungen wurden kürzere. Heute wird viel mehr auf das Wohl der Pferde geachtet.

Letzte Frage: Wie ist übrigens der Zuspruch unter den Sporttalenten zum Reitsport, nicht allein zur Vielseitigkeitsreiterei, in M-V?

Hans-Joachim Begall: Der Zuspruch von jungen Talenten, sich vielseitig in Dressur, Springen und Gelände ausbilden zu lassen, ist da. Sie müssen weiter gefördert werden. Das Nachwuchsteam aus Mecklenburg-Vorpommern kam im vergangenen Jahr bei der „Goldenen Schärpe Pferde“ in Kreuth (Bayern) hinter Westfalen nach fünf bewerteten Teildisziplinen – Dressur, Stilgeländeritt, Springreiten, Vormustern und Theorie – und einem Fitnesstest auf den silbernen Rang. Beim Bundesnachwuchschampionat der Vielseitigkeitsreiter in Warendorf belegte das MV-Quartett 2016 den vierten Platz. Das sind doch gute Ergebnisse.

Vielen Dank!

M.Michels

Foto (Pferdesportverband M-V): Flora Reemtsma auf „Löwenstein“ in Luhmühlen.