Bundeswehr hält Kriegsdienstverweigerer weiterhin gefangen

Seit seiner Zuführung durch die ’Feldjäger’ der Bundeswehr am 05. April 2008, wird der totale Kriegsdienstverweigerer Matthias Schirmer aus Friedrichshafen am Bodensee in der Kaserne Viereck (6./ Logistikbataillon 142) bei Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) durch die Bundeswehr gefangen gehalten.

War der 21-jährige zu Beginn noch mit ’Arreste auf Stube’ belegt worden, wird seit dem 11. April ein vom Bataillonskommandeur verhängter ’Disziplinararrest’ vollstreckt. Am Donnerstagabend wurde der Arrest nach einer erneuten Verweigerung des Befehls zum Rasieren um weitere 21 Tage verlängert. Um seine Gewissensentscheidung, den Kriegsdienst zu verweigern, zu bekräftigen und deutlich zu machen sich auch nicht durch die Arrestierung davon abbringen zu lassen, kündigte Schirmer am Donnerstagabend an, in einen Hungerstreik zu treten. Schirmer bezeichnet die Wehrpflicht als “nicht vereinbar mit Demokratie und Freiheit sowie den Menschenrechten.“ Der Zwang zur Kriegsausbildung sei darüber hinaus ungerecht, da Einberufungen willkürlich vollzogen werden.

Die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) teilte in diesem Zusammenhang mit, dass heute nur noch ca. 55 Prozent aller wehrpflichtigen jungen Männer durch weit reichende Auslegungen der Bestimmungen als tauglich gemustert werden. Nach dem Abzug der durch eine Gewissensprüfung behördlich anerkannten Kriegsdienstverweigerer und ’Wehrdienstausnahmen’, werden sodann nur noch etwas mehr als 1/3 aller Wehrpflichtigen eines Jahrgangs zum Kriegsdienst bei der Bundeswehr einberufen. „Die Einberufung, besser Nichteinberufung, ist so für junge Menschen zu einer unkalkulierbaren Lotterie geworden. Von einer Wehrgerechtigkeit kann keine Rede sein.“ so Monty Schädel, politischer Geschäftsführer der DFG-VK, und forderte die Abschaffung der Wehrpflicht. Die Wehrpflicht sei ungerecht und werde von der Bundeswehr nunmehr lediglich zur Rekrutierung längerdienender Zeit- und Berufssoldaten benötigt. Die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten aus Gründen der “Prüfung zur Militärverwendungsfähigkeit“ sei nicht gerechtfertigt.

Die DFG-VK widerspricht auch der verbreiteten Meinung, der Zivildienst sei ein ’sinnvoller’ oder gar ’Friedensdienst’. So seien auch Zivildienstleistende im Gesamtkonzept der so genannten ’Gesamtverteidigung’ mit eingeplant und kaschierten in vielen Bereichen des Sozialwesens den Notstand. „Heutige Zivildienstleistende, eigentlich von Behörden anerkannte Kriegsdienstverweigerer, können so zu waffenlosen Diensten heran gezogen werden und wirken entsprechend kriegsunterstützend. Im sozialen Bereich werden sie nicht arbeitsmarktneutral und zusätzlich sondern anstelle von ausgebildeten Fachkräften eingesetzt.“ erklärte Schädel.

Der DFG-VK-Geschäftsführer, selbst 1995 in der Kaserne Viereck wegen totaler Kriegsdienstverweigerung inhaftiert, kritisierte am Freitag erneut die Praxis der Bundeswehr Kriegsdiensttotalverweigerer durch eine Inhaftierung innerhalb des Militärs als Persönlichkeit “brechen oder mindestens bestrafen“ zu wollen. Rechtlich, so Schädel, darf der ’Disziplinararrest’ nur darauf abzielen, einen Soldaten zur Erfüllung der Dienstpflichten zu ’erziehen’. Ein Arrest dürfe keinen Strafcharakter annehmen. Wenn der Arrest keine ’erzieherische Wirkung’ zeigt, wird er zu einer rechtswidrigen Freiheitsstrafe. „Bei Totalverweigerern zielt der Arrest grundsätzlich auf die Willensbrechung ab. Er sei in diesen Fällen daher von vornherein rechtswidrig.“

Nachdem die Bundeswehr in den letzten Jahren zeitweise auf die Einberufung erklärter totaler Kriegsdienstverweigerer verzichtet hatte, hat sie im vergangenen Jahr diese Praxis wieder aufgenommen. Zusätzlich zum Arrest innerhalb der Bundeswehr, stellt das Militär Strafanzeige. Eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren kann wegen Gehorsamsverweigerung ausgesprochen werden, jedoch beträgt der übliche Strafrahmen mehrmonatige Freiheitsstrafen auf Bewährung.

Ebenso durch die Bundeswehr gefangen gehalten wird auch Silvio Walther. Er lehnt die Wehrpflicht als Kriegsdienstrekrutierung grundsätzlich ab. Am 09. April war er im südhessischen Bensheim von den Feldjägern aufgegriffen und nach Bad Reichenhall (5./ Gebirgsfernmeldebataillon 210) gebracht worden. Seit dem wird ein mehrfach erneuerter Arrest vollstreckt. Außerdem wurde ihm eine Geldbuße in Höhe von 120 Euro auferlegt, eine im Umgang der Bundeswehr mit totalen Kriegsdienstverweigerern ungewöhnliche zusätzliche Strafe.

Beide Verweigerer sehen in ihrem zivilen Ungehorsam gegenüber der Wehrpflicht ihren persönlichen Beitrag zur Überwindung der Kriegsdienstpflicht.

Die DFG-VK fordert die sofortige Aufhebung der militärinternen Strafmaßnahmen und die Entlassung beider Totalverweigerer aus der Bundeswehr. „Die Bundeswehr sollte zur Wahrung der eigenen Glaubwürdigkeit nicht auch noch in der Bundesrepublik übers Ziel hinaus schießen!“ rät der DFG-VK-Geschäftsführer. Gewissenstäter durch das Einsperren gefügig zu machen und ihren Willen zu brechen, widerspricht jedem demokratischen Verständnis von freier Meinungsäußerung und Gewissensfreiheit. “Wer nicht einmal im eigenen Land verhältnismäßig auf Gewissensentscheidungen reagieren kann, kann nicht glaubhaft vertreten, in Kriegsgebieten demokratische und freiheitliche Rechte von Menschen zu achten“. Für die DFG-VK, so Schädel, würde so erneut erwiesen, dass der Einsatz von Soldaten zur Entwicklung freiheitlicher Ordnungen “völlig untauglich, gar gefährlich“ seien.