Die Tochter türkischer Einwanderer über ihre interkulturellen Erfahrungen und Ansichten…
Von wegen „Deutschland schafft sich ab“ … Nachdem ein mäßig erfolgreicher früherer Finanzsenator in Berlin seine Thesen zur vermeintlich verfehlten Integrationspolitik vor einem Jahr vorstellte, schien alles klar. Deutschland muß sich wieder auf sich selbst besinnen – ohne Zugereiste und Gäste.
Dass so viel Besinnlichkeit nun auch alles andere als erfolgreich sein kann, beweisen die Turbulenzen um Euro, die weltweite Rezessionsstimmung und die suboptimalen Börsenkurse. Deutschland ohne Euro wäre wahrscheinlich so viel wie die DFB-Herren-Auswahl ohne die Spieler mit Migrationshintergrund – nämlich Mittelmaß.
Alles andere als Mittelmaß, sondern „erste Wahl“ ist Nazan Eckes, die im Olympia-Jahr 1976 geboren wurde, als es dass sich vorgeblich schon wieder abschaffende Deutschland in der Form noch gar nicht gab, als „Bundis“ und „DDRler“ noch getrennt um Medaillen kämpften. Nun kämpft Nazan Eckes auf beeindruckende Weise gegen Vorurteile gegenüber den Deutschen mit türkischen Wurzeln an. Ihre Biographie ist der Beweis: Auch Deutsche mit türkischem Background können es schaffen – ohne Quote und „Vitamin B“.
Ihr Buch „Guten Morgen Abendland“ ist eine beeindruckende Familiengeschichte, die offenbart, dass Deutschland doch nicht im „Abschaffungsprozess“ ist und Deutsche „mit Migrationshintergrund“ auch ihre Erfolgsgeschichten besitzen. Also, zwischen „Guten Morgen Abendland“ und dem Rostock-typischen „Moin, moin, Frau Eckes!“ ist es nicht mehr weit: Die Lesung findet am 29.09. bei Weiland Rostock statt.
Nachgefragt bei Nazan Eckes
„Es gibt in Deutschland wirklich gute Möglichkeiten, etwas aus seinem Leben zu machen …“
Frage: Frau Eckes, Sie kommen nach Rostock, in den Nordosten, wo bekanntlich alles 100 Jahre später passiert. Der Anteil von Ausländern und Migranten ist sehr, sehr überschaubar in M-V, wenn auch immer mehr Studenten aus aller Welt an den Unis in Rostock und Greifswald studieren wollen.
Was für ein „Bild“ haben Sie eigentlich vom Land Mecklenburg-Vorpommern und den dortigen „Eingeborenen“? Kennen Sie das Land zwischen Schönberg und Usedom schon intensiv?
Nazan Eckes: Von kennen kann nicht wirklich die Rede sein. Es handelt sich eher um hier und da angelesenes Wissen… Ich finde es bedauerlich, dass ich auch bei dieser Reise, keine Zeit haben werde, die Leute und die Umgebung wirklich kennen zu lernen. Das ist sehr schade und ein Opfer, das ich in meinem Beruf leider immer wieder bringen muss. Andererseits werde ich bei meiner Lesung gleich so viele „Eingeborene“ auf einmal kennen lernen, wie man das sonst selten erlebt.
Ich freue mich auf Rostock und auf die Lesung und bin sicher, dass ihr eine anregende und angeregte Diskussion folgen wird. Ich bin ja Kölnerin…Wir Rheinländer sind ein sehr aufgeschlossenes Volk mit einem sehr hohen Ausländeranteil. Unterschiedliche Meinungen sind mir willkommen. Hauptsache wir sprechen drüber.
Frage: Ihr Buch offenbart eine Geschichte mit Happy End. Wie ist Ihre Meinung zu Sarrazins Thesen – nach einem Jahr Dauer-Diskussion?
Nazan Eckes: Zu Thilo Sarrazin ist genug gesagt worden. Die Diskussion an sich hat es vor ihm gegeben und es wird sie auch weiterhin geben. Unsere Gesellschaft verändert sich und Veränderungen erfordern nun einmal, dass wir uns Gedanken über das Zusammenleben unter den neuen Umständen machen.
So lange es Probleme gibt, müssen sie auch Thema bleiben.
Allerdings begrüße ich grundsätzlich eine konstruktive Diskussion und nicht eine, die sich ausschließlich an Defiziten orientiert. Es ist motivierender für jeden Beteiligten, sich an dem zu orientieren, was bereits gut klappt, statt immer nur zu erwähnen, wo noch große Probleme sind. Eine beidseitige Betrachtung ist wichtig.
Frage: Unabhängig vom Migrationshintergrund … Der alte Engels meinte einst „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ Glauben Sie, dass diese Aussage für Deutschland des Jahres 2011 tatsächlich zutrifft oder ist es nicht so, dass „Vitamin B“, „Leisetreterei“, „Anpassung“ enorm wichtig auf dem Weg nach oben sind – nicht immer, aber oft?
Nazan Eckes: Es gibt ganz sicher genug Unternehmen, in denen das so ist. Es gibt aber auch genügend Betriebe – und davon bin ich fest überzeugt – in denen ausschließlich Ehrgeiz, Engagement und Talent zählen.
An eines sollte sich allerdings jeder, der Karriere machen will, gewöhnen: Man wird nicht immer mit offenen Armen empfangen. Nicht jeder sagt: Hey, schön, dass du hier bist. Ich freue mich für deinen Erfolg. Man muss sich durchbeißen und beweisen. Das von ihnen gewählte Zitat kann ich jedoch grundsätzlich unterschreiben. Es gibt in Deutschland wirklich gute Möglichkeiten, etwas aus seinem Leben zu machen. In vielen Ländern ist das nicht so. Das dürfen wir nicht vergessen.
Frage: Im Sport funktioniert die Integration in Deutschland prächtig. Ohne die Deutschen mit „fremden Wurzeln“ wäre Deutschland weder im Fußball, noch im Eishockey, im Turnen, in der Akrobatik, im Boxsport, im Ringen, im Gewichtheben, in der Leichtathletik, im Eiskunstlaufen, usw. zur Weltklasse zugehörig. Was läuft im Sport so gut und woanders nicht?
Nazan Eckes: Darüber habe ich mit Freunden sowie mit Profisportlern schon oft gesprochen. Beim Sport kommt es verstärkt auf den Zusammenhalt an: Das Team zählt, nicht der Einzelne. Und es ist völlig egal, ob z.B. beim Fußball der Torwart türkisch spricht, griechisch oder afrikanisch. Hauptsache er lässt keinen Ball durch.
Die Sprachbarriere, die im Alltagsleben ein echter Kommunikationskiller ist, spielt beim Sport keine ganz so große Rolle. Man kann sich im wahrsten Sinne „mit Händen und Füßen“ verständigen und versteht sich trotzdem. Der Teamgedanke schweißt zusätzlich zusammen und baut schneller Vorurteile ab. Das perfekte Gesellschaftsmodell.
Frage: Sie sind 1976 in Köln geboren, kennen Deutschland und die Türkei bestens. Wenn Sie einen objektiv auf beide Länder blicken, was ist das Faszinierende für Sie an den beiden Ländern, wo sehen Sie Defizite?
Nazan Eckes: Aus meiner ganz persönlichen Sicht betrachtet sind beide Länder lebens- und liebenswert. Deutschland verfügt über ein gutes soziales Netzwerk. Zudem weiß ich sehr zu schätzen, dass ich mich hier als Frau frei bewegen, leben und arbeiten kann, wie ich es für richtig halte.
Erst neulich habe ich gelesen, dass in Saudi Arabien eine Frau zu zehn Peitschenhieben verurteilt wurde, weil sie am Steuer eines Autos gesessen hat. Solche Schlagzeilen machen mich sehr wütend.
Manchmal fehlt mir in Deutschland allerdings eine gewisse Leichtigkeit. Ich habe in vielen anderen, wesentlich ärmeren Ländern schon oft das Gefühl gehabt, dass die Menschen mit viel weniger zufrieden sind und sich nicht beschweren. Was die Türkei betrifft gibt es natürlich schon einmal vorab einen Bonuspunkt für das sonnige Wetter. Was einen weiteren tollen Effekt nach sich zieht: das Leben findet auf der Straße statt. Das trifft mein Lebensgefühl voll ins Herz. Ich liebe quirlige, lebendige Innenstädte. Dagegen bin ich mir nicht sicher, wie es um Themen wie die Pressefreiheit in der Türkei steht.
Frage: Sie lesen nun in Rostock … Wann werden Sie einmal in Schwerin oder in Wismar gastieren?
Nazan Eckes: Ich hoffe bei meiner nächsten Lesereise, mit hoffentlich mehr Zeit im Gepäck.
Dann weiterhin maximale Erfolge – persönlich und beruflich!
Die Fragen stellte M. Michels
Weitere Infos unter: www.nazan-eckes.de … Übrigens: Zurzeit, seit dem 25. September 2011, finden deutschlandweit und damit auch in M-V, in Schwerin, in Rostock oder in Greifswald, die Interkulturellen Wochen statt – mit vielen Angeboten und Veranstaltungen!
Zum Buch:
Guten Morgen, Abendland. Almanya und Türkei – eine Familiengeschichte
Ein paar Jahre wollten sie bleiben, ein ganzes Leben ist daraus geworden. Wie so viele türkische Gastarbeiter sind Nazan Eckes’ Eltern zum Geldverdienen nach Deutschland gekommen und hatten die Rückreise immer fest im Blick.
Doch es kam anders. Sie haben drei Kinder in Deutschland geboren und aufgezogen, Wurzeln geschlagen und eine zweite Heimat gefunden. Davon erzählt Nazan Eckes: Vom Aufwachsen in zwei verschiedenen Kulturen, von Integration, von Vorurteilen, vom Ankommen und ein Zuhause finden. Von der Normalität, anders zu sein. Ob Religion, Essgewohnheiten, Feiertage oder der alljährliche Türkeiurlaub mit der Großfamilie – die Geschichte ihrer Familie ist geprägt von Unterschieden und Vielfalt, aber auch von Vertrauen und Zueinanderstehen. Und eines weiß sie sicher: Es ist kein Nachteil in zwei Kulturen aufzuwachsen. Es ist eindeutig ein Vorteil.
Die Autorin:
Nazan Eckes, geboren 1976 in Köln, ist Tochter türkischer Einwanderer aus Eski?ehir. Ihre Medienkarriere begann 1996 bei VIVA. Anschließend wechselte sie zu RTL und moderiert dort bis heute eine Vielzahl an Sendungen und Shows, unter anderem EXPLOSIV-Weekend, Formel Exclusiv und Let’s Dance.
Nazan Eckes
Guten Morgen, Abendland
Almanya und Türkei – eine Familiengeschichte
237 Seiten, Klappenbroschur, mit 8 Seiten Tafelteil und 16 Abbildungen
€ (D) 14,99
ISBN 978-3-7857-6041-3
Auch als E-Book erhältlich.
Lesung:
29. September 2011
Universitätsbuchhandlung Weiland, Kröpeliner Str. 41
Beginn: 20.15 Uhr
Einlass: 20.00 Uhr
Eintritt: 8,- Euro / erm. 6,50 Euro